Druckartikel: Deichkind sind in Bamberg für alle da

Deichkind sind in Bamberg für alle da


Autor: Christoph Hägele

Bamberg, Dienstag, 27. November 2012

In der Bamberger Stechert-Arena feiert die Hamburger Elektro-Band Deichkind am Montagabend eine Riesenparty. Das Geheimnis ihres Erfolgs? Keine Grenzen, für nichts und niemanden.
Foto: Thomas Kraus


Deichkind gelten als politische Band, aber sie gelten es aus den falschen Gründen. Sie sind es nicht, weil sie über moralisch und ästhetisch anstößigen Spaß singen ("Leider geil")oder den Verteidigern des Urheberrechts frech ins Gesicht lachen ("Illegale Fans"). Und Deichkind sind auch nicht politisch wegen Zeilen wie diesen: "Bück dich hoch/ Mach dich beim Chef beliebt/Bück dich hoch/ Auch wenn es dich verbiegt." Wenn Hartmut Engler und seine Band Pur auf ihrer aktuellen Platte jetzt über die Katze" Lucy" singen, dann thematisieren sie darin auch nichts anderes als das Unbehagen des irgendwie bindungslosen und verunsicherten Menschen in der modernen Arbeitswelt. Niemand käme deshalb aber gleich auf die Idee, Pur als Band mit sozialkritischer Botschaft zu bezeichnen. Es kommt bei Deichkind also nicht auf ihre Themen und Texte an, es ist etwas anderes: ihre maximale Offenheit und Zugänglichkeit.

Bei Deichkind können alle dabei sein. Die Jungen und die Alten, die Coolen und die Stumpfen, die Arbeiter und die Studenten. Wer 35 Euro für die Karte und einen Zehner für zwei Bier übrig hatte, war willkommen bei ihrem Konzert am Montagabend in der Bamberger Stechert-Arena. Es brauchte nichts anderes als die Bereitschaft zur Euphorie und zum vorübergehenden Bruch mit den Regeln bürgerlichen Sozialverhaltens. "Lehrer, Kellner, Gärtner, Banker, Broker, Richter/Sehnen sich nach Druckbetankung durch den Trichter", singen Deichkind in ihrem Lied "Arbeit nervt. Es gibt bei Deichkind keine Szene, kein notwendiges Spezialwissen, keine ästhetischen Codes. Und wer unbedingt möchte, kann gerade dieses Einreißen von Grenzen als das politische Statement einer dann eben doch politischen Band interpretieren.

Demonstrativ untrainierte Bäuche

Wie Deichkind das gelingt, eine Band für alle und jeden zu sein, konnten die Besucher in der nicht ausverkauften, aber gut gefüllten Bamberger Stechert-Arena präzise beobachten. Die Musik der vier Hamburger verschmilzt die einflussreichsten Jugendkulturen der vergangenen zwei Jahrzehnte: House, Techno und Hip-Hop. Wer bei Liedern wie "Bon Voyage" oder "Luftbahn" nicht die Hände in die Höhe reißen und mitwippen will, ist wohl auf ewig dazu verdammt, abgestandene Rockmusik zu hören. Hauptsache handgemacht, versteht sich. Und dann haben Deichkind zwar Angst vor dem Sumpf der Seriosität, nicht aber vor dem Hau ins Flache, Banale und leicht Proletenhafte. Sicherlich kommt ihnen dabei entgegen , dass Ironie und ein gerne auch etwas verschwitzter Humor die Weltsprache unserer Zeit sind: "Kein Gott, kein Staat, lieber was zu saufen."

Krawall und Remmidemmi

In Bamberg sangen Deichkind einmal aus einem Bierfass oder ruderten in einem Plastikboot über die Hände der Zuschauer. Es gab aberwitzige Verkleidungen, demonstrativ untrainierte Bäuche, eine Riesenhüpfburg und Wasserpistolen. Damit sich aber ja keiner unter Niveau amüsierte, hatten Deichkind auch in Bamberg zupackende Slogans en masse dabei: "Wenn jeder so wie ich drauf wär,/gäb's morgen keinen Berufsverkehr."

Den gab es am Tag danach natürlich trotzdem. Zum einen, weil Deichkind ihr Konzert bereits um halb elf beendet haben. Chefs und Lehrer konnten aufatmen, die Arbeitskraft der abhängig Beschäftigten und Schüler stand zu keinem Zeitpunkt ernsthaft zur Disposition. Auch weil wahrscheinlich kein einziger der Deichkind hört, tatsächlich das lebt, was sie singen. Der pubertäre Hedonismus von Deichkind ist ja nur dann wirklich charmant, wenn er zeitlich begrenzt und eine Ausnahme bleibt. Das Aufflackern einer alternativen Lebensweise, nicht mehr. Das kann man Eskapismus nennen, gewiss. Aber auch Spitzen-Entertainment. Großes Kino. Krawall und Remmidemmi. Yippie yeah!