Das wahrscheinlich älteste Haus Hirschaids
Autor: Werner Baier
Hirschaid, Mittwoch, 20. Februar 2013
In ehemaligem Bauernhaus an der Nürnberger Straße 12 in Hirschaid sind Balken aus dem 16. Jahrhundert und eine Mikwe in erstaunlich gutem Zustand entdeckt worden.
           
Im Tausch gegen Ackerland will die Marktgemeinde Hirschaid das ehemalige jüdische Schulhaus (Nürnberger Straße 12) vom derzeitigen Eigentümer erwerben. Der Gemeinderatsbeschluss ist jedoch noch nicht notariell vollzogen: Bürgermeister Andreas Schlund (CSU) steht in abschließenden Verhandlungen mit der Familie Büttel über eine kleine angrenzende Fläche, die zur Arrondierung nötig ist. 
Denn je mehr das seit Jahrzehnten dem Verfall preisgegebene frühere Bauernhaus untersucht wird, umso deutlicher wird, dass Hirschaid keine andere Wahl bleibt, als die im Volksmund "Judenschule" genannte Immobilie einer neuen Bestimmung als Anschauungsobjekt für die im Nationalsozialismus zerstörte jüdische Tradition zuzuführen. 
In dem Haus wurden Balken gefunden, die aus 1517 gefällten Bäumen gesägt worden sind. Ferner lässt sich eine Umbauphase 1697/98 nachweisen. 
An den Wänden sind die Einlassöffnungen für die Regenrinnen vorhanden, mit denen das "lebendige Wasser" für die Reinigung der Frau nach der Menstruation oder für Brautpaare vor der Hochzeit eingeleitet worden ist.
Ein wenig Komfort für die Mikwe
In einer Kammer sind der Kamin und ebenfalls zwei Öffnungen für Zuleitungen zu einem verschwundenen Warmwasserkessel zu sehen: Die Hirschaider Juden wollten ein wenig Komfort in ihrer Mikwe.
All das und die Wohnung des letzten jüdischen Kantors von Hirschaid könnte man jetzt wieder museal aufbereiten und der Nachwelt als Beleg für das Leben fränkischer Landjuden in Ehren halten. Als sich auf Einladung von Schlund dieser Tage eine Reihe von Gemeinderäten in der ehemaligen "Judenschule" umsahen, wuchs die Einsicht, dass es höchste Zeit ist, dieses Denkmal vor dem Untergang zu retten. Und Schlund ist sicher, dass Hirschaid dabei finanziell nicht auf sich allein gestellt sein wird. Zuvor schon kamen die Mitglieder des Arbeitskreises "Kultur und Bildung" aus dem Staunen nicht heraus: die Begehung der ehemaligen Judenschule in Hirschaid empfanden sie als Zeitreise, sogar als Abenteuer.
Unter der fachkundigen Führung von Bauforscher Robert Endres aus Bamberg stiegen sie über Schutt und kletterten über steile Treppen. Dabei erläuterte der Fachmann die Bauphasen des alten Hauses, das in Teilen bis ins 16. Jahrhundert zurückgeht. Nach Jahrzehnte langer Diskussion kann der Markt Hirschaid das heruntergekommene Gebäude, in dem sich zwischen 1883 und 1924 erst die jüdische Religionsschule, dann die israelitische Elementarschule befand, nun erwerben.
Im Zuge des im Herbst begonnen Gemeindeentwicklungskonzepts hat sich aus Gemeindebürgern der Arbeitskreis "Kultur und Bildung" gebildet, der sich eine neue Nutzung des Gebäudes zum Ziel gesetzt hat. Dazu wurde Otto Lohr, Referent für jüdische Museen bei der Landesstelle für die Nichtstaatlichen Museen in Bayern, zu einer Begehung eingeladen. Daran nahmen auch Schlund, dem das Projekt besonders am Herzen liegt, und die Geschäftsführung des Vereins "Kunst- und Kulturbühne Hirschaid" teil.
Sie alle erfuhren von Bauforscher Endres, dass die Fassaden, das Obergeschoss und der Dachstuhl aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammen. Das haben dendrochronologische Proben ergeben, bei denen anhand der Jahresringstruktur des Bauholzes das Fälljahr des verbauten Baumes ermittelt werden kann.
Mit Holzbohlen verkleidet
Die meisten im Haus verwendeten Hölzer stammen aus den Jahren 1851 bis 1853. Eine echte Überraschung birgt allerdings das Erdgeschoss. Unter Tapeten und Wandverkleidungen der 1960er Jahre stecken ein Unterzugbalken und ein Türständer, deren Konstruktion auf eine Bauzeit in der Mitte des 16. Jahrhundert schließen lassen. Eine exakte dendrochronologische Datierung ist aktuell in Arbeit. Jedenfalls war die frühere Stube im Erdgeschoss vermutlich mit Holzbohlen verkleidet und solche Bohlenstuben waren ab 1550 in unserer Region nicht mehr üblich. Damit ist die ehemalige Judenschule womöglich das älteste noch bestehende Haus in Hirschaid.
Da es direkt an der alten Handelsstraße von Nürnberg nach Erfurt steht, könnte es ursprünglich das Wohnhaus eines wohlhabendes Kaufmanns oder Handwerkers gewesen sein. Den Einfall schwedischer Soldaten im Dreißigjährigen Krieg und die Zerstörung des Dorfes hat das Haus auf jeden Fall erlebt. Vorschläge zur künftigen Nutzung des Gebäudes wird der Arbeitskreis in Zusammenarbeit mit der Kunst- und Kulturbühne Hirschaid in den nächsten Wochen entwickeln. Die ersten Ideen gehen in Richtung einer Dokumentationsstätte für die ausgelöschte jüdische Gemeinde Hirschaids.
Als ersten Schritt in diese Richtung werden im April mit Schülern der Hirschaider Realschule vor dem historischen Haus "Stolpersteine" verlegt, die an David Kahn, den letzten jüdischen Lehrer und Vorsänger und seine Familie erinnern sollen.