Das kann man doch noch essen
Autor: Dominic Buckreus
Bamberg, Dienstag, 12. Juli 2016
Viele Lebensmittel landen im Müll. Die Politik will dagegen vorgehen und bis 2030 die Verschwendung reduzieren - Initiativen sind aber schon jetzt aktiv.
Es ist Sonntagnachmittag. Gerade wurde der Tisch abgeräumt und die Teller in die Spülmaschine verladen. Die Lust nach einer Nachspeise, etwas Süßem, kommt hoch. Im Kühlschrank steht weit hinten ein Schokopudding, der schon fast vergessen wurde. Genau das Richtige nach dem deftigen Sonntagsbraten. Aber auf dem Deckel steht ein Datum, das leider in der Vergangenheit liegt. Schade. Jetzt landet der Pudding eben ungeöffnet im Müll.
Elf Millionen Tonnen Lebensmittel landen jedes Jahr in Deutschland im Abfall, schätzte eine Studie der Universität Stuttgart im Jahr 2012. Fast zwei Drittel davon stammen aus Privathaushalten, der Rest aus Handel, Industrie und den Großverbrauchern. Bei diesen Gruppen gibt es verschiedene Gründe für die Verschwendung: So sortieren Händler viele Produkte aus, die sich aufgrund von Äußerlichkeiten nicht verkaufen lassen, etwa eingedrücktes Obst oder Gemüse.
Politik reagiert
Bei ihrer jüngsten Konferenz schlugen sie vor, freiwillige Vereinbarungen mit Industrie, Handel und Gastronomie zu treffen. Es seien verbindliche Ziele und Vereinbarungen zu prüfen, um den Anteil der Lebensmittelverluste deutlich zu reduzieren, hieß es in einem Beschluss der Minister. Dazu kämen Maßnahmen, die vorrangig auf "freiwilligen Vereinbarungen" basieren. "Wir sind mit allen Akteuren der Wertschöpfungskette im Gespräch über ihre Beiträge zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen und -verlusten und spüren ein hohes Eigeninteresse. Viele Unternehmen haben diesen Aspekt in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie verankert und suchen sich Partner für die Umsetzung", erklärt die Sprecherin des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) Friederike Lenz. Außerdem wolle man vorhandene Technologien prüfen, etwa sogenannte "intelligente Verpackungen" (siehe Infokasten).
Manch andere sind da schon etwas weiter als die Politik und sind aktiv. "Foodsharing", also "Essen teilen", heißt eine deutschlandweite Initiative, die seit Oktober 2014 auch in Bamberg ehrenamtlich tätig ist. Sie kooperieren mit Betrieben und bekommen von ihnen Lebensmittel, die dort nicht mehr verkauft werden. "Die Lebensmittel kommen hauptsächlich von Unternehmen wie Lebensmittelmärkten, Gärtnereien oder Bäckereien", sagt Nico Kosian von Lebensmittelretten in Bamberg.
Essen kann man auch teilen
Das gesammelte Essen, zwischen 150 und 250 Kilogramm pro Woche, verteilen sie dann. Entweder in öffentlich zugänglichen Kühlschränken oder Regalen, genannt "Fairteiler", oder in "Essenskörben". "Bei den offiziellen Fairteilern (in Bamberg in der Evangelischen Universitätsseelsorge und im Umsonstladen) dürfen wir nur Obst und Gemüse abgeben. Milch und andere tierische Produkte sind seitens des Ordnungsamts nicht genehmigt. Bekommen wir solche Lebensmittel, dürfen wir sie nur privat verteilen", erklärt Kosian. Bisher würden sie ihre Lebensmittel über ihre Facebook-Seite bekommen, aber man könne sich auch auf der Foodsharing-Webseite anmelden und dort eigene "Essenskörbe" erstellen.
Obst und Gemüse sind auch die Nahrungsmittel, die am häufigsten in privaten Mülleimern landen, geht aus dem diesjährigen Ernährungsreport des BMEL hervor. Dicht gefolgt von Backwaren. Am häufigsten werfen große Haushalte und Schüler ihr Essen in die Tonne. Oft werde einfach zu viel gekauft, sodass vieles dann verdirbt, gaben 70 Prozent der Befragten an. 43 Prozent entsorgen Nahrungsmittel dann, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) abgelaufen ist, obwohl vieles noch genießbar wäre.
Verschwendung halbieren
Würde es nicht helfen, dieses Datum abzuschaffen? "Ein Ansatzpunkt ist das MHD. Bundesminister Christian Schmidt will es systematisch prüfen und langfristig weiterentwickeln - auch, um ein besseres Verständnis und Bewusstsein für unsere Lebensmittel zu fördern.
Bei allen Überlegungen rund um die Weiterentwicklung des MHD steht der gesundheitliche Verbraucherschutz im Vordergrund", erläutert die Sprecherin des BMEL. Das Ziel sei, bis zum Jahr 2030 die Lebensmittelverschwendung zu halbieren. Weitere Informationen zum Foodsharing gibt es unter www.facebook.com/lebensmittelrettenbamberg oder www.foodsharing.de.
So werden weniger Lebensmittel verschwendet
Mindesthaltbarkeitsdatum gibt an, bis zu welchem Zeitpunkt ein Produkt auf jeden Fall genießbar ist, wenn es angemessen gelagert wurde. Nach Ablauf des Datums ist es somit nicht automatisch verdorben. Festgelegt wird es vom jeweiligen Hersteller.
Verbrauchsdatum gilt für leicht verderbliche Lebensmittel, die mikrobiologische Risiken bergen. Das Datum gibt an, bis wann das Produkt verbraucht werden muss. Es trägt die Aufschrift "Verbrauchen bis..."
Manche Lebensmittel sind von der Kennzeichnungspflicht befreit, etwa manche Obstsorten, Spirituosen, Salz oder Zucker.
Intelligente Verpackungen geben Infos über den Zustand abgepackter Lebensmittel, etwa über die Frische. Diese Frischeindikatoren ändern die Farbe, wenn das Produkt nicht mehr genießbar ist. Möglich ist das zum Beispiel bei Flaschen, aber auch bei abgepackter Wurst oder Käse.
Noch sind solche Verpackungen sehr teuer. Als Alternative gibt es Etiketten, die den Frischegrad anzeigen. Sie werden in Frankreich, Schweden und den USA bereits verwendet.
Tipps wie man unnötige Abfälle vermeidet, gibt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft:
Den Einkauf gut planen und lieber teurere, aber kleinere Portionen kaufen.
Lebensmittel richtig lagern. Da jedes Nahrungsmittel andere Vorlieben hat, sollte man diese beachten.
Die Haltbarkeit lieber selbst prüfen und nicht nur auf das Mindesthaltbarkeitsdatum verlassen.
Kommentar: Einfach weg damit
235 Euro, sagt die Studie, könnten wir Deutschen uns jährlich sparen. Wenn, ja, wenn wir nicht immer alles gleich wegwerfen würden. Die Banane ist zu braun, das Haltbarkeitsdatum überschritten - schon landet das Essen in der Tonne.
Erschreckend ist, dass laut einer Forsa-Umfrage die Gebildeteren und Wohlhabenderen am meisten verschwenden. Dass es hierzulande Essen im Überfluss gibt, führt anscheinend dazu, dass wir unsere Nahrungsmittel nicht mehr so wertschätzen, wie es die Generationen vor uns getan haben. Bedenkt man, dass man mit den entsorgten Gütern - theoretisch - ganze Völker ernähren könnte, ist das noch trauriger.
Was also tun? Die "Lebensmittelretter" sind schon mal ein Anfang und zeigen, dass Händler dazu bereit sind, ihre nicht verkauften Lebensmittel zu verteilen. Somit macht auch der Vorstoß der Umweltminister Sinn. Allerdings glaubt die Deutsche Umwelthilfe nicht, dass dies das Problem löst. Vielmehr seien Überproduktion und zu große Portionen verantwortlich.
Wir Verbraucher können zumindest besser planen, wieviel wir kaufen und das Essen richtig lagern. Außerdem sollten wir mit dem Haltbarkeitsdatum etwas lockerer umgehen und uns lieber auf unsere Sinne verlassen: Sehen, riechen, schmecken. Dann könnten sich die immensen Mengen, die täglich im Müll landen, hoffentlich verringern.