Druckartikel: "Das geht einem verdammt nahe"

"Das geht einem verdammt nahe"


Autor: Anette Schreiber

Bamberg, Donnerstag, 04. Oktober 2012

Unfälle mit Kindern sind für die Einsatzkräfte vor Ort oft schwer zu verarbeiten. Die Bilder, mit denen die Wehren bei dem Geisterfahrt-Unfall auf der A 73 konfrontiert waren, werden einigen wohl zu schaffen machen.
Solch schwere Unfälle gehen auch den  erfahrensten Einsatzkräften an die Substanz, links Einsatzleiter  KBI Reinhold Schumm. Foto: Ronald Rinklef


Den Anblick müssen sie erst einmal verarbeiten. Am Dienstagmorgen krachte eine Geisterfahrerin auf der A 73 frontal in einen anderen Wagen. Dessen Fahrer und die Frau waren sofort tot. Ebenso deren siebenjährige Tochter, die vierjährige Tochter überlebte schwerst verletzt. Hans Schuberth hat drei Töchter, 7 , 16 und 18 Jahre. Der Kommandant der Buttenheimer Feuerwehr und seine Leute holten das jüngere Mädchen aus dem Auto. Über 2000 Einsätze hat der 45-Jährige schon absolviert, wahrlich einiges gesehen. Aber das am Dienstag, "das geht einem verdammt nahe".

Unfälle mit Kindern sind für die Helfer besonders schlimm. Das bestätigt Reinhold Schumm. Der 55-jährige Kreisbrandinspektor hat gestern den Einsatz seitens der Feuerwehr geleitet. Die Wehren aus Hirschaid und Buttenheim waren vor Ort. Ihre jungen Kameraden behielten Schumm und die Kommandanten besonders im Blick.

Nicht weil man ihnen nichts zutraut. Sondern weil keiner weiß, wie sie das bewältigen.

Wie es schien, kamen wohl alle mit der Situation klar. Es gab keine Anzeichen dafür, dass man einen Notfallseelsorger hätte holen müssen. Ein Knopfdruck hätte genügt und Georg Brand in der Integrierten Rettungsleitstelle Bamberg-Forchheim einen in Gang gesetzt. Ein Pool von knapp 20 steht ihm zur Verfügung, für Einsätze an der Unfallstelle oder auch für Angehörige von Opfern. Der in Rufbereitschaft kommt selbst oder alarmiert den Geistlichen in der Nähe des Unfallortes. "Jeder reagiert anders", weiß Schumm aus seiner 40-jährigen Feuerwehr-Erfahrung. Und er weiß auch: "Manche Unfälle vergisst man nie." So wie das erste tote Kind, das Schumm bergen musste. Das war vor 35 Jahren, bei einer Tankstelle in einem Landkreisort. Es war verbrannt. Die Kameraden mussten ihn erst von einem Acker holen, wohin er geflüchtet war, um sich zu übergeben, berichtet er heute sachlich. Was der Unfall am Dienstag mit den Helfern angerichtet hat? Das wird sich wohl erst herausstellen.
Was muss der Helfer nach einem furchtbaren Unfall tun? "Reden, reden, reden!", sagt Schumm, "es muss raus!"

Schumm und die anderen alten Hasen wissen, worauf sie während so eines Einsatzes bei ihren jungen Kollegen besonders achten müssen: auf deren Mimik. Manche werden kreidebleich, andere bekommen einen starren Blick, manche geraten ins Torkeln. Wiederum andere reagieren auf den oft schier unfassbaren Anblick, indem sie beginnen, Witze zu reißen. Auch das ein Anzeichen dafür, dass sie das nicht verkraften. Die Jungen werden von den Älteren gezielt und oft angesprochen, erhalten einfache Aufträge. Die Reaktion zeige, ob mit ihnen noch alles in Ordnung ist. Wenn nicht, werden sie erst einmal weggeschickt, notfalls nach Hause. Wichtig ist bei all der Unfall-Routine, die Helfer beim Hilfseinsatz nicht aus den Augen zu lassen. Während der Unfall-Abwicklung werden Routine-Tätigkeiten abgespult, so wie sie immer wieder eingeübt wurden. Das ist schließlich der Sinn der Übungen. Schlimm werde es demnach oft erst dann, wenn man zur Ruhe kommt.

Die Bilder im Kopf


"Es sind die Bilder, die man nicht los wird." Dekan Albert Müller weiß, wovon er spricht. Der Pfarrer von Ebrach und Burgwindheim ist selbst aktiver Feuerwehrmann und Notfallseelsorger. Nie vergessen wird er den Einsatz am Debringer Berg im Jahr 1997, als man einen jungen Mann, der im Auto verunglückt und verbrannt war, bergen musste. "So ein Einsatz macht etwas mit einem", ist Müllers persönliche Erfahrung. Und: "Die Bilder kann ich heute noch abrufen, aber sie kommen nicht mehr von selber." Das ist der Unterschied, das Resultat der Auseinandersetzung mit dem traumatischen Erlebnis. Denn auch die Helfer brauchen Hilfe.

Eine Möglichkeit, mit solchen Bildern fertig zu werden, ist, sich mit den Kameraden darüber auszutauschen. Man muss merken, dass man nicht besonders empfindlich oder weich ist, wenn einen so etwas mitnimmt. Das ist wichtig. "Meine Jungs halten schon was aus, aber das war starker Tobak", kommentiert Schubert den gestrigen Einsatz. "Das geht einem nach." Nicht nur ihm, machen die verschiedenen Aussagen deutlich. Deswegen wird eine Nachbesprechung angedacht, gemeinsam mit Experten. Albert Müller kann das nur begrüßen. Gerade im Sinne kommender Einsätze. Erst, wenn ein traumatisierender Einsatz bewältigt ist, sind Helfer wieder in der Lage, erneut zu helfen.

Eine Nachbesprechung wird in der Regel spätestens zwei Wochen nach dem Unfall anberaumt, so Reinhold Schumm. In geschützter Umgebung, ohne Handys und vor allem in Ruhe und absolut vertraulich.

Wie wichtig es ist, sich austauschen zu können, das bestätigen Schumm und Schuberth übereinstimmend. Aus anderer Warte tut das Notfallseelsorger Müller. Auch für ihn seien solche Gespräche nicht einfach, sie erfordern ein hohes Maß an Sensibilität, nehmen ihn oft mit. "Auch mir hilft es, wenn ich mit Notfallseelsorge-Kollegen sprechen kann." Manchmal, so erklärt Müller weiter, genüge die Nachbesprechung nicht, werde weitere professionelle Hilfe benötigt. Psychologen, Therapeuten.

Was hat Kommandant Schuberth am Dienstag gemacht? "Ich habe mich in Arbeit gestürzt, in eine, wo ich abgelenkt wurde." Vielleicht war es deswegen gar nicht schlecht, dass ein Großteil "meiner Jungs zur Arbeit musste".