Druckartikel: Das "Balkanzentrum" in Bamberg hat ausgedient

Das "Balkanzentrum" in Bamberg hat ausgedient


Autor: Michael Wehner

Bamberg, Freitag, 15. Juli 2016

Kurswechsel im ehemaligen Bamberger Balkanzentrum: Künftig werden hier Fälle von Asylbewerbern aus allen Ländern bearbeitet, auch aus Syrien und Marokko.
Bis zu zehn Millionen Euro werden investiert: Der Freistaat baut die US-Kaserne zur Großunterkunft aus.  Foto: Rinklef


Es hat nicht einmal ein Jahr gedauert. Doch nun hat sich das heftig umstrittene Balkanzentrum gewissermaßen von selbst erledigt. Was nicht heißt, dass die Großunterkunft aufgelöst oder verkleinert würde. Im Gegenteil: Die beschleunigte Bearbeitung von Asylverfahren von Flüchtlingen aus den Balkanländern ist ab Montag nur noch ein Teil von mehreren Funktionen, die in der Großunterkunft an der Pödeldorfer Straße eine Rolle spielen.

Die wichtigste Änderung: In der auf eine Kapazität von 4500 Menschen anwachsenden Einrichtung sollen künftig auch Menschen aus Syrien, Irak, Iran, Eritrea und auch aus Marokko leben, teilten uns die Regierung von Oberfranken und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) auf Anfrage mit.

Vor allem die grünen Bamberger Stadträte hatten diesen Wechsel stets befürwortet, ohne freilich die Dimension der Einrichtung gut zu heißen.


Turboanerkennung

Neu ist auch die Doppelfunktion: Die ehemalige US-Flynn-Siedlung wird Turboabschiebe- und Turboanerkennungszentrum zugleich. Das heißt: Auch für Menschen mit sicherer Bleibeperspektive sollen die Asylverfahren verkürzt werden - im Idealfall auf 72 Stunden.

Die Metamorphose von einer Rückführungseinrichtung zur gemischten Großunterkunft wird vom Freistaat und vom Bund gleichermaßen vorangetrieben. Dazu gehört auch eine oberfränkische Komponente. So nimmt ab Montag kommender Woche die Erstaufnahme für den Regierungsbezirk ihren Betrieb auf, die bisher in Bayreuth beheimatet war. Für Bamberg heißt dies: Alle in Oberfranken ankommenden Flüchtlinge werden künftig hier registriert und, für den Fall, dass sie aus sicheren Herkunftsländern kommen, wie bisher überwiegend in die Heimat zurückgeschickt.


150 Flüchtlinge im Monat

Klar scheint: Die Flüchtlinge, die die oberfränkische Erstaufnahmeeinrichtung zuletzt erreichten, ca. 150 im Monat, werden die angestrebten Kapazitäten von 4500 Menschen ebenso wenig füllen können wie der mittlerweile stark zurückgegangene Zustrom aus dem Balkan. Vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, dass es in Stadt und Landkreis bereits Befürchtungen gibt, gut eingeführte dezentrale Unterkünfte könnten Zug um Zug aufgelöst werden, um die Kaserne in Bamberg zu füllen und um Kosten zu sparen, wie es ja auch das erklärte Ziel der Bundesregierung ist.

Hier kommt nun auch das Bundesamt für Migration ins Spiel. Es will in Bamberg im Laufe des Jahre eines von insgesamt 25 deutschen Ankunftszentren eröffnen, in dem die Asylverfahren nach einem Cluster-Modell über alle Herkunftsländer schnell und effizient abgearbeitet werden sollen. Die Behörde will mittelfristig mit 130 Vollzeitstellen in Bamberg vertreten und so in der Lage sein, täglich 250 Aslyanträge anzunehmen.

Auf unsere Frage, ob und wann die Zahl von 4500 Flüchtlingen in Bamberg erreicht werden soll, erhielten wir von keiner Behörde erschöpfende Antwort. Martin Steiner von der Regierung von Oberfranken sagte zwar, dass die 20 (!) Wohn- und fünf Verwaltungsgebäude nicht leer stehen sollen. Doch angesichts des derzeitigen Flüchtlingsstroms und der auch andernorts geschaffenen Kapazitäten, blieb offen, wie die Bamberger Räumlichkeiten durch neu ankommende Flüchtlinge konkret gefüllt werden könnten.
Ungeachtet dessen läuft der Ausbau in Bamberg weiter. Wie Martin Steiner auch sagte, steckt der Staat bis zum Jahresende acht bis zehn Millionen Euro in eine neue Großküche, in Speisesäle, eine Lagerhalle und eine Materialausgabe in Bamberg.

Der Bamberger Stadtrat kann die Entwicklungen an der Pödeldorfer Straße nur kommentieren, direkten Einfluss hat er nicht. "Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir ein Konzept für höchst fragwürdig halten, das von 4500 Menschen ausgeht", sagt Dieter Weinsheimer (BA). Heinz Kuntke (SPD) kritisiert die Ausbaupläne, die, wie es jetzt scheint, am Bedarf vorbei gehen und wertvolle Stadtfläche blockieren. "Als SPD fordern wir, dass ein Teil der Fläche rausgekippt wird - für Wohnungsbau für anerkannte Asylbewerber und für deutsche Familien."
Doch es ist fraglich, ob es noch gelingt, den Freistaat davon zu überzeugen, dass das an Platzmangel leidende Bamberg kein guter Ort ist, um Aufnahmekapazitäten für Krisenfälle aufzubauen. Bambergs OB Andreas Starke (SPD) spricht von den "Verlockungen" der mietfrei vom Bund zur Verfügung gestellten Immobilien und den Unsicherheiten der weltweiten Entwicklung. Starke hatte zuletzt mehrfach gefordert, einzelne Häuser freizugeben, um dem Wohnungsmangel in Bamberg entgegenwirken zu können.

Auch die Hilfsorganisation "Freund statt fremd" steht den Entwicklungen im Bamberger Osten kritisch gegenüber. Sie fürchtet, der Lagercharakter in einer ehemaligen Kaserne erschwere die Integration und lasse das Risiko von Konflikten unter den Bewohnern steigen.Wörtlich spricht "Freund statt fremd" von einer drohenden "Ghettoisierung", sollten in der Bamberger Großunterkunft 4500 Menschen leben.