Chefarzt-Verteidiger kritisieren Chirurgie-Professor
Autor: Anna Lienhardt
Bamberg, Dienstag, 28. Juni 2016
An Verhandlungstag 57 sagte erneut ein Chirurgie-Professor zu den Untersuchungsmethoden von Heinz W. aus.
Es war erneut ein Sachverständiger, den Heinz W. und seine drei Verteidiger von seiner Gutachten-Erstattung entbunden haben wollten - und zwar sofort. Doch die Zweite Strafkammer am Bamberger Landgericht entschied: Chirurgie-Professor Doktor Arnulf Thiede soll angehört werden.
Daraufhin las der Angeklagte persönlich seinen Befangenheitsantrag vor. "Signifikant" sei "das Fehlen jeglicher Sorgfalt", zudem habe der Sachverständige in seinem Gutachten zwischenzeitlich erschienene und aktuelle Fachliteratur nicht berücksichtigt. Heinz W. unterstellte dem Professor entweder Belastungseifer oder Inkompetenz und berief sich dabei auf eine Diskussion, die offenbar in nichtöffentlicher Sitzung stattgefunden hatte.
Prozessbeobachter mussten mehrmals den Saal verlassen
Demnach könnte laut W., ehemals Leiter der Bamberger Gefäßchirurgie, "jeder Dritte Außenstehende" die Bilder einordnen. Bei einem Foto sei klar, "dass es sich um eine Narbe handelt und nicht um einen Gelstreifen". Auch gestern mussten die Prozessbeobachter mehrmals den Sitzungssaal verlassen, als über die Fotos diskutiert wurde, die W. aus dem Intimbereich der Frauen gemacht hatte. Zu Dokumentationszwecken, wie er selbst sagt, und, um sich eine zweite Meinung einzuholen.
Bei allgemeinen Fragen zum Gutachten durften die Zuhörer dagegen bleiben. Professor Thiede erläuterte unter anderem, dass der vaginale Ultraschall zur Diagnostik einer tiefen Beckenvenenthrombose nicht angewandt werde. "In letzter Zeit wird darüber diskutiert, ob das Sinn macht", fügte er hinzu. Allerdings müsse man dazu über technische Daten genau Bescheid wissen. "Ich kann jeden Fachexperten sofort fragen", merkte Thiede an.
Genau hier entbrannte eine Diskussion, als es zum Beispiel darum ging, ob ein spezieller Ultraschall mit Kontrastmittel die Untersuchung verbessert - wie es W. aus einem Werk zitierte. Der Sachverständige dagegen vertritt die Ansicht, "die Farbduplexsonografie wird nicht mit Kontrastmittel gemacht."
Thema, Datum und Inhalt
Chefarzt-Verteidiger Klaus Bernsmann stellte den Antrag, dass der Gutachter sämtliche "befragte Mitglieder der Netzwerke benennen solle sowie Thema, Datum und Inhalt der Gespräche". Und dann wollte Bernsmann noch etwas anderes geklärt haben: In seinem schriftlichen Gutachten habe der Sachverständige ausgeführt, dass W. durch "eine unnötige Untersuchung an einer Patientin das Risiko einer Lungenembolie billigend in Kauf" genommen hätte. Der Verteidiger wollte wissen, wie Thiede dies gemeint habe und deutete an, dass er W. möglicherweise Körperverletzung oder gar ein versuchtes Tötungsdelikt unterstellt hätte.
Doch nach Ansicht des Gerichts steht dieser Vorstoß der Verteidigung nicht im Zusammenhang mit dem Anklagevorwurf. "Diese Fragen dienen dem Zweck, einen bereits abgehandelten Befangenheitsgrund erneut anzubringen. Aber die Frage ist, ob der Angeklagte Midazolam verabreicht hat oder nicht", sagte Richter Manfred Schmidt.
Die Staatsanwaltschaft wirft Heinz W. vor, zwölf Frauen ein Betäubungsmittel gespritzt zu haben, um ohne deren Wissen Fotos und Videos aus deren Intimbereich zu machen und sie zu missbrauchen. Im Blut der Hauptzeugin war ein Beruhigungsmittel nachgewiesen worden. Die Forderung der Verteidigung, ein weiteres Labor mit der Untersuchung der Proben zu beauftragen, lehnte das Gericht ab. Fragliche Punkte seien von einem sachverständigen Zeugen bereits umfangreich erläutert und erklärt worden.
Der Prozess wird am Mittwoch (29.06.16) um 9 Uhr fortgesetzt.