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Chefarzt-Prozess: Gericht gibt rechtliche Hinweise


Autor: Jutta Behr-Groh

Bamberg, Mittwoch, 20. Januar 2016

Statt Vergewaltigung könnte es in zwei von zehn Fällen auch ein schwerer sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen gewesen sein. Diesen Hinweis und viele mehr gab die Zweite Strafkammer am Mittwoch im "Chefarzt-Prozess".
An Verhandlungstag 41 waren keine Kameras mehr auf den Angeklagten Heinz W. (rechts) und seine Verteidiger gerichtet. Foto: Matthias Hoch


Der 41. Verhandlungstag im so genannten Chefarzt-Prozess dauerte nicht einmal eine Stunde. Die Nicht-Juristen verließen den Sitzungssaal anschließend trotzdem ziemlich ratlos.

Was hatte Vorsitzender Richter Manfred Schmidt da eben verlesen, gespickt mit Paragrafen und Fallnummern aus der umfangreichen Anklageschrift gegen Heinz W., den ehemaligen Leiter der Gefäßklinik im Bamberger Klinikum?

Es handelte sich um sogenannte rechtliche Hinweise: Die Kammer teilte den übrigen Prozessbeteiligten ihre grobe vorläufige Einschätzung der Sach- und Rechtslage mit, wie sie sich ihr nach der bisherigen Beweisaufnahme darstellt.

So ließ Schmidt erkennen, dass bei zwei der zehn angeklagten Fälle von Vergewaltigung ein anderer Straftatbestand in Betracht kommen könnte - und zwar der eines schweren sexuellen Missbrauchs von widerstandsunfähigen Personen.


Was sind rechtliche Hinweise?

Was heißt das für das Verfahren? Welche Bedeutung haben "rechtliche Hinweise"? Das wollte die Lokalredaktion von Bernd Weigel wissen, dem stellvertretenden Pressesprecher am Oberlandesgericht.

Wie er sagt, sind Richter nach Paragraf 265 der Strafprozessordnung zu solchen Hinweisen immer dann verpflichtet, wenn sich aus ihrer Sicht durch die Beweisaufnahme die Sach- und Rechtslage, die der Anklage zugrunde lag, geändert haben könnte. Das habe zum Einen mit der Fürsorgepflicht für den Angeklagten zu tun:

Dieser müsse auf eine mögliche Veränderung rechtlicher und tatsächlicher Gesichtspunkte im laufenden Verfahren hingewiesen werden und Gelegenheit haben, Stellung zu nehmen.

Zum Anderen müsse man wissen, dass niemand für Straftatbestände schuldig gesprochen werden darf, zu dem ihm nicht vorher "rechtliches Gehör" gewährt wurde. Insofern bieten rechtliche Hinweise laut Weigel einem Gericht auch die Möglichkeit, eine Anklageschrift zu ergänzen und zu korrigieren. Davon habe die Zweite Strafkammer nun Gebrauch gemacht, indem sie ausgeführt hat, dass der angeklagte Sachverhalt statt einer Vergewaltigung auch ein sexueller Missbrauch von widerstandsunfähigen Personen sein könnte.

Was die gefährlichen Körperverletzungen angeht - W. soll sie in Tateinheit mit den Vergewaltigungen begangen haben, indem er den mutmaßlichen Opfern ein angebliches Kontrastmittel injiziert hat, das laut Anklageschrift jedoch ein Betäubungsmittel war - regen die Richter eine Einstellung des Verfahrens an; genauer gesagt, das vorläufige Absehen von der Verfolgung.

Laut Weigel führt das Gericht zwei Gründe an. Erstens würden diese Straftaten in der Gesamtstrafe, die W. im Fall einer Verurteilung erwarten, nicht wesentlich ins Gewicht fallen. Es diene aber der "Verschlankung" des Verfahrens, wenn untergeordnete Anklagepunkte quasi vorläufig beiseite gelegt würden.

Zweitens gebe das Gericht zu bedenken, dass eine konkrete Gesundheitsgefahr zweifelhaft sei: Immerhin ist der Angeklagte ein Arzt, der Spritzen setzen kann.

Wie der OLG-Sprecher betont, sind rechtliche Hinweise zwar Anregungen, aber wichtig für sämtliche Prozessbeteiligte, also Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Nebenklage.

Die Anklagebehörde speziell sei angesprochen, wenn das Gericht Einstellungen ins Gespräch bringt: Einstellungen könnten nur auf Antrag des Staatsanwalts beziehungsweise mit dessen Zustimmung erfolgen.


Staatsanwalt muss zustimmen

Ob Leitender Oberstaatsanwalt Bernd Lieb die Einschätzungen der Zweiten Strafkammer bei den angeklagten Körperverletzungen teilt, wird die Öffentlichkeit frühestens am 2. Februar erfahren. Dann geht der "Chefarzt-Prozess" weiter.