Druckartikel: Chefarzt-Prozess: Anwalt fungiert als "körperlicher Schutzschild"

Chefarzt-Prozess: Anwalt fungiert als "körperlicher Schutzschild"


Autor: Anna Lienhardt

Bamberg, Dienstag, 10. November 2015

Als eines der mutmaßlichen Opfer von Heinz W. aussagte, positionierte der Anwalt der jungen Frau seinen Stuhl direkt neben ihr - um Abstand zum Angeklagten zu schaffen.
Das Justizgebäude am Wilhelmsplatz in Bamberg Foto: Barbara Herbst


Kaum hatte die 27-Jährige auf dem Zeugenstuhl Platz genommen, kam es zu einer kurzen Diskussion: Ihr Rechtsanwalt Martin Reymann-Brauer setzte sich direkt rechts neben sie, um damit als "körperlicher Schutzschild" - wegen der räumlichen Nähe zum Angeklagten - zu fungieren, wie Reymann-Brauer sagte.

Die Tische im Sitzungssaal 0.107 des Bamberger Landgerichts sind so angeordnet, dass sich der Zeugenstand in der Mitte des Raumes befindet. Frontal gegenüber sitzen u-förmig angeordnet die Richter und Schöffen, links vom Zeugenstand die Staatsanwaltschaft sowie Sachverständigen und rechts der Angeklagte und seine Verteidiger - und zwar so, dass sie die Zeugen direkt seitlich anblicken.

Chefarzt-Verteidiger Klaus Bernsmann kritisierte das Verhalten von Reymann-Brauer, der eine körperliche Barriere zwischen seine Mandantin und den Angeklagten bringen wollte.



Vorsitzender Richter Manfred Schmidt löste die Situation dahingehend auf, dass er den Anwalt des mutmaßlichen Opfers bat, etwas nach hinten zu rutschen. Heinz W. selbst ging ebenfalls auf Abstand, bis er mit seinem Stuhl an die Wand stieß.

Nachdem die Sitzordnung geklärt war, wurde die 27-jährige ehemalige Patientin des Gefäßchirurgen vernommen - unter Ausschluss der Öffentlichkeit, da die Krankheitsgeschichte der Zeugin sowie Umstände aus ihrem persönlichen Lebensbereich zur Sprache kamen.


Ungewöhnlich langer Ausschluss

Mit über zwei Stunden dauerte es außergewöhnlich lange, bis die Prozessbeobachter wieder den Saal betreten durften. Warum der lange Ausschluss, das klärte Gerichtssprecher Leander Brößler auf: Die Zeugin war zwischen 2008 und 2011 mehrfach im Bamberger Klinikum, teils stationär, behandelt worden. Entsprechend ausführlich stellte die Zweite Strafkammer Fragen zu den Krankenhausaufenthalten.

Die damals 20-Jährige war 2008 wegen einer Beckenvenenthrombose operiert worden. Gerichtssprecher Brößler gibt Teile der Aussage der Zeugin folgendermaßen wieder: Bei einer Nachuntersuchung habe ihr Heinz W. ein Kontrastmittel gespritzt, auf das sie "komisch reagiert" habe. Sie sei am nächsten Tag im Krankenhausbett aufgewacht und habe nicht gewusst, wie sie dorthin gekommen sei.

Bei einer weiteren Untersuchung habe sie den Arzt auf mögliche Nebenwirkungen angesprochen. Der habe ihr erklärt, dass er ihr aus medizinischen Gründen erneut ein Kontrastmittel spritzen müsse. "Dann verabschiede ich mich schon mal, wenn ich nichts mehr mitbekomme", soll die Reaktion der Patientin gewesen sein.

Generell könne sie zur Person Heinz W. nichts Negatives sagen. Dass er Bilder von ihrem Intimbereich machte, sei aber nicht abgesprochen gewesen. Die Anklage geht davon aus, dass W. zwölf Frauen kein Kontrastmittel, sondern das Hypnotikum Midazolam gespritzt hat. Dann soll er nicht nur deren entblößten Unterleib fotografiert, sondern auch sexuelle Handlungen vorgenommen haben. Der Gefäßchirurg argumentiert vom ersten Prozesstag an, aus medizinischen Gründen gehandelt zu haben, etwa zu Dokumentationszwecken.

Die heute 27-jährige Zeugin wäre möglicherweise sogar mit solchen Wund-Fotos einverstanden gewesen, sofern sie gefragt worden wäre. Allerdings klagt sie - in mehreren Fällen - über Erinnerungslücken, nachdem sie vom Angeklagten mit einem Kontrastmittel-Ultraschall untersucht worden war.

Die Mutter beschrieb im Zeugenstuhl den Zustand ihres Kindes, das sie nach dem Termin bei W. mit dem Rollstuhl zurück ins Krankenhauszimmer schob, mit den Worten: "Meine Tochter hat's wohl weg gebeamt. Sie hat von der Untersuchung nichts mitgekriegt." Am nächsten Tag hat die Mutter beim Arzt nachgefragt. "Er hat erklärt, dass vielleicht die Dosierung zu hoch war. Dadurch, dass meine Tochter so klein und zierlich ist, könne das schon mal passieren. Das war für mich eine plausible Erklärung." Auch nach der letzten Untersuchung bei W. im Jahr 2011 habe die Tochter Erinnerungslücken gehabt. "Sie wusste nicht mal mehr, dass wir danach bei McDonald's was zu Essen mitgenommen haben."


Fortsetzung am 11.11.2015

Der Prozess wird am Mittwoch, 11.11.2015, ab neun Uhr fortgesetzt. Es werden die Aussagen von zwei weiteren Opferzeuginnen erwartet.