Druckartikel: 94 Millionen Euro mehr: Bundestag droht teure Politiker-Flut

94 Millionen Euro mehr: Bundestag droht teure Politiker-Flut


Autor: Matthias Litzlfelder

Berlin, Dienstag, 24. Januar 2017

Nach der Wahl im Herbst könnten 700 Abgeordnete in Berlin sitzen. 500 seien genug, fordert der Bund der Steuerzahler. Doch bisher tut sich wenig.
Im Moment besteht der Bundestag aus 630 Mitgliedern. In der nächsten Legislaturperiode könnten es aufgrund des Wahlrechts deutlich mehr werden. Foto: Kay Nietfeld, dpa


Reiner Holznagel lässt nichts unversucht. Am Mittwoch will der Präsident des Bundes der Steuerzahler (BdSt) das Ergebnis einer Online-Petition an Bundestagspräsident Norbert Lammert überreichen. Es geht um die Zahl der Bundestagsabgeordneten. 598 sieht das Gesetz eigentlich vor. Aktuell besteht das Parlament aber aus 630 Mandatsträgern, dafür sorgen Überhang- und Ausgleichsmandate.


"Eine Katastrophe"

Und bei der Wahl im Herbst könnte es nach Einschätzung des BdSt noch schlimmer kommen. Der Bundestag könne sich auf über 700 Mitglieder aufblähen. "Schon die jetzige Zahl ist aus unserer Sicht viel zu hoch", sagt Holznagel. "Eine weitere Zunahme wäre eine Katastrophe."
Das Problem ist das derzeitige Wahlrecht. Es sieht vor, dass alle entstehenden Überhangmandate - also wenn eine Partei mehr Direktmandate über die Erststimmen erhält, als ihr Sitze im Bundestag gemäß der Anzahl der Zweitstimmen zustehen - durch zusätzliche Ausgleichsmandate für die Parteien kompensiert werden. Modellrechnungen gehen davon aus, dass sich der Bundestag gewaltig vergrößert - erst recht, wenn weitere Parteien wie FDP und AfD ins Parlament einziehen.


Reform ja, aber wie?

"500 Abgeordnete sind genug", fordert der BdSt schon seit Monaten. Dass eine solche Verkleinerung jetzt so kurz vor der Wahl noch möglich sein wird, glaubt aber auch der Verein nicht mehr. Mit seiner Petition fordert er den Bundestagspräsidenten auf, das Wahlrecht in zwei Schritten zu reformieren: Für die kommende Wahl soll die Bundestagsgröße bei den gegenwärtigen 630 Mandaten gedeckelt werden. In einem zweiten Schritt möchte der BdSt, dass direkt nach der Wahl eine grundlegende Wahlrechtsreform unter Neueinteilung der Wahlkreise in Angriff genommen wird, die eine Verkleinerung des Bundestags auf maximal 500 Abgeordnete vorsieht.
Zumindest vom ersten Schritt muss der BdSt Bundestagspräsident Lammert nicht überzeugen. Der ist schon lange der Meinung, die Zahl der Mandate auf höchstens 630 Abgeordnete zu begrenzen - die aktuelle Zahl an Mandatsträgern. Doch seine bisherigen Initiativen, unter anderem mit dem Vorschlag, Überhangmandate nicht mehr auszugleichen, sind alle gescheitert. Das letzte Wort haben die Fraktionen. Doch die konnten sich bisher nicht auf eine neue Regelung einigen.


"Jährlich 94 Millionen Euro mehr"

In der öffentlichen Diskussion ist das Thema noch nicht so richtig angekommen. Das will der Bund der Steuerzahler jetzt ändern. Mehr als 110 000 Bürger hatten die Online-Petition am Dienstag unterzeichnet, die Holznagel am Mittwoch übergeben will.
"Ein XXL-Bundestag wird für die Bürger zum Luxus-Bundestag", sagt der BdSt-Präsident. Und er rechnet vor: 2016 hätten sich die mandatsbezogenen Kosten für die aktuell 630 Abgeordneten (Diäten, Kostenpauschale, Mitarbeitergehälter, Dienstreisen ...) auf 408 Millionen Euro summiert. 700 Abgeordnete und gegebenenfalls weitere Fraktionen kosteten dann jährlich 94 Millionen Euro mehr.

Das sagen Bundestagsmitglieder aus der Region dazu:


Thomas Silberhorn
(CSU) Wahlkreis Bamberg

"Die Aufblähung des Bundestages durch Ausgleichsmandate, die das Bundesverfassungsgericht fordert, ist der Öffentlichkeit kaum zu vermitteln und kann die Funktionsfähigkeit des Parlaments erheblich schwächen. Eine Reform des Wahlrechts ist daher unumgänglich."

Hans Michelbach (CSU) Wahlkreis Coburg

"Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach alle Überhangmandate kompensiert werden müssen, verlangt eine Wahlrechtsreform. Leider weigern sich SPD und Grüne bisher auf die Reformvorschläge von Bundestagspräsident Lammert kurzfristig einzugehen."

Andreas Schwarz (SPD) Wahlkreis Bamberg

"Wir müssen das Wahlrecht so reformieren, dass wir grundsätzlich zu einer Begrenzung der Parlamentsgröße kommen. Der Vorschlag sie auf 500 Abgeordnete zu begrenzen, würde aber praktisch bedeuten, dass wir die Wahlkreise massiv vergrößern müssten."

Emmi Zeulner (CSU) Wahlkreis Kulmbach

"Ich bin für eine Deckelung und gegen ein aufgeblähtes Parlament, denn die rot-rot-grüne Blockade gegen den Vorschlag von Lammert dient nur dazu, mehr Sitze zu erhalten mit dem Ziel eine Mehrheit für einen eigenen Kanzler zu sichern."

Dorothee Bär (CSU) Wahlkreis Bad Kissingen

"Dass zu viele Köche nicht nur den Brei, sondern auch eine effektive Parlamentsarbeit verderben können, sollte man nicht vergessen. Daher wäre eine Deckelung der Mandate richtig. Wir sollten dieses Thema endlich ernsthaft angehen - am besten noch vor der Wahl 2017."

Sabine Dittmar (SPD) Wahlkreis Bad Kissingen

"Es steht für mich außer Frage, dass es eine Begrenzung und eine umfassende Wahlrechtsreform braucht. Die Frage der Überhangmandate muss abschließend geklärt werden, so dass eine einzelne Partei oder Fraktion nicht überproportional profitiert."

Stefan Müller (CSU) Wahlkreis Erlangen

"Eine Volksvertretung muss einerseits groß genug sein, um die Bürger in allen Teilen des Landes angemessen vertreten zu können. Andererseits leidet die Arbeitsfähigkeit des Parlaments, wenn es zu groß wird. Mit 630 Abgeordneten ist dies gerade noch gewährleistet."

Martina Stamm-Fibich (SPD) WK Erlangen

"Bei den bisher diskutierten Vorschlägen ergeben sich Nachteile für kleinere Parteien. Sie verzerren die regionale Mandatsverteilung, bilden das Zweitstimmenergebnis der Parteien nur unzureichend ab oder wären eine völlige Abkehr vom personalisierten Verhältniswahlrecht."

Elisabeth Scharfenberg (Grüne) Wahlkreis Hof

"Wir haben ein Konzept vorgeschlagen, das vorsieht, dass Überhangmandate unter den Bundesländern innerhalb der Parteien ausgeglichen werden. (...) Entscheidend ist für mich, dass eine Reform dem Grundsatz entspricht, dass jede Stimme gleich viel wert ist."

Klaus Ernst (Die Linke) Wahlkreis Schweinfurt

"Eine Ausweitung der Mandate im Bundestag durch Überhangmandate kann dadurch eingeschränkt werden, dass ein Ausgleich von Überhangmandaten nicht auf Landes-, sondern auf Bundesebene erfolgt. Das würde zu deutlich weniger Ausgleichsmandaten führen."