Druckartikel: "Bücherscheune" als Treffpunkt

"Bücherscheune" als Treffpunkt


Autor: Anette Schreiber

Grasmannsdorf, Freitag, 17. August 2012

Im Frühjahr hat Annette Weiß im Burgebracher Gemeindeteil Grasmannsdorf ein Projekt zur Leseförderung gestartet. Jeder kann hier kostenlos Bücher mitnehmen und gut erhaltene Eemplare abgeben.


"Darf ich das wirklich mitnehmen?", fragt die neue Besucherin zaghaft. Beim ersten Mal hat jeder Hemmungen. Annette Weinmann nickt heftig, "das ging mir am Anfang auch so und jetzt sind wir schon hier zuhause". Hier, das ist die "Bücherscheune" in Grasmannsdorf, die Annette Weiß seit dem Frühjahr betreibt. Nach dem Prinzip: Jeder, der hier ein Buch sieht, das er haben möchte, darf es mitnehmen und behalten. Damit das möglich ist, können gut erhaltene Bücher in überschaubaren Mengen (keine Haushaltsauflösungen oder Sammlungen) hier abgegeben werden. Sollte sich jemand bei der Mitnahme eines Buches dennoch unbehaglich fühlen, steht eine kleine Box für Spenden bereit. Deren Inhalt kommt der Deutschen Schlaganfall-Hilfe zugute. Denn der Schlaganfall der Betreiberin steht am Anfang des innovativen Leseförderungs-Projektes.

Der Schlaganfall vor drei Jahren veränderte ihr gesamtes Leben, das heißt die Krankheit bestimmte es. Irgendwann dachte sich die Grasmannsdorferin, es müsse doch noch was anderes geben außer der Krankheit und natürlich der geliebten Tochter Sofie. Bücher hatte sie während ihrer Zeit des Abendgymnasiums für sich entdeckt und damit auch die wunderbare Möglichkeit in andere Welten einzutauchen und alles andere für die Zeit des Lesens zu vergessen.

Nach dem Schlaganfall kann sie nicht mehr arbeiten, ist gezwungenermaßen in Rente. Sie hatte immer Jobs, bei denen sie mit Leuten zu tun hatte. Und: Sie wollte auch wieder Bestätigung. "Da fielen mir die Bücher ein", sagt die 42-Jährige. Ihr Blick fiel auf den leeren Stall. Denn nach ihren Jahren in Nürnberg und Rosenheim war Annette Weiß in ihren Heimatort Grasmannsdorf zurückgekehrt, wo sie das Wohnhaus auf dem so genannten Güttler-Anwesen mietete. Dessen Bewohner hatten schon immer eine Affinität zu Büchern, weiß die derzeitige Mieterin, die dabei unter anderem auf den früheren Grasmannsdorfer Bürgermeister Hans Güttler verweist.
Annette Weiß hatte unter anderem in Buchhandlungen gearbeitet und kennt sich deswegen in dem Metier aus. "Geld ist mit alten Bücher nicht zu verdienen", weiß sie, aber darum ging es ja nicht. Vor eineinhalb Jahren startete sie einen Aufruf, wer Bücher nicht mehr braucht, könne sie bei ihr abgeben. Bücher werden bekanntlich ungern weggeworfen. Und so hat sich aus zwei Kartons mit 50 Büchern die "Bücherscheune" entwickelt. Die überlässt ihr der Vermieter für diesen guten Zweck übrigens mietfrei.

Der einstige, etwa 50 Quadratmeter große Stall ist in seinen Grundzügen durchaus als solcher zu erkennen: Futterkrippen, Schraubstock und auch die Wasserhähne sind noch sichtbar. Nachdem die Grasmannsdorferin einen gewissen Grundstock für ihr Vorhaben beisammen hatte, startete sie das Projekt im Frühjahr. Annette Weinmann kam zur Eröffnung, "aus Neugier". Nun sind die 49-Jährige und ihre Söhne Aaron (15) und Leon (13) in der "Bücherscheune" schon fast zuhause. Sie nutzen die Öffnungszeiten - mittwochs von 10 bis 18 Uhr, sonntags von 17 bis 18 Uhr und immer wenn das Plakat "Bücherscheune geöffnet" an der Straße steht - so oft wie möglich. Denn die "Bücherscheune" ist zum Begegnungszentrum geworden. Willkommen sind alle Besucher. "Fast aus jedem zweiten Haushalt war schon jemand da", freut sich Annette Weiß über den Zuspruch im 250-Seelen-Ort. Auswärtige sind gleichfalls willkommen. Da man an zwei Wanderwegen liegt, macht so mancher einen Abstecher in die Scheune. Für die Information der Touristen sind übrigens die einzigen fünf Bücher bestimmt, die man nicht mitnehmen darf.

Besondere Atmosphäre


Annette Weiß freut sich, auf ihre Weise Leseförderung betreiben zu können. Büchereien mit den Fristen sind nicht jedermanns Sache, und Bücher kaufen kann sich heute auch nicht mehr jeder, weiß sie. Andererseits sorgen Bücher im Zuhause für eine besondere Atmosphäre. Wie in der "Bücherscheune", wo die Brüder Aaron und Leon sich immer wieder in Bücher und Magazine vertiefen. Nachbarin Dragica Seelmann, die hier regelmäßig ihre Bunte, Instyle und Lisa abliefert, steuert oft auch noch Kaffee bei. Das passt gut zum Kuchen, den die Burgebracherin Ulrike Jäger-Schade mitbringt. Hier wird noch mehr als Lesekultur gefördert. Auch wenn Annette Weiß oft Schmerzen hat, macht sie die "Bücherscheune" auf, und hat es noch nie bereut. Das Projekt ist noch ausbaufähig, findet sie. Wenn sich jemand erkundigt, warum die Spenden für die Schlaganfallhilfe bestimmt ist, nutzt sie das für Aufklärungsarbeit.