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Bombe beim Oktoberfest: Führt die Spur nach Ermreuth?


Autor: Günter Flegel

Neunkirchen am Brand, Dienstag, 21. Januar 2014

1980 zerfetzte in München beim Oktoberfest eine Bombe 13 Menschen. Der Film "Der blinde Fleck" könnte neue Ermittlungen zum schlimmsten Terroranschlag in der bundesdeutschen Geschichte anstoßen. Die Spuren führen auch nach Franken.
Gundolf Köhler


Eines hat der Fim "Der blinde Fleck" mit Benno Führmann schon jetzt bewirkt: Das Oktoberfest-Attentat rückt wieder ins öffentliche Bewusstsein. 33 Jahre nach der Explosion, die 13 Menschen zerfetzte, verfestigen sich Zweifel an der Theorie vom Einzeltäter. Und Parallelen zur NSU-Mordserie werden offenkundig.

Am 26. September 1980 detonierte um 22.19 Uhr am Hauptzugang zur Theresienwiese eine Bombe. 13 Menschen, darunter der mutmaßliche Attentäter Gundolf Köhler, starben im Splitterhagel. 211 Besucher des Oktoberfestes wurden teils schwer verletzt. Mehreren Opfern mussten Arme und Beine amputiert werden.

Kontakte nach Franken
Unmittelbar nach der Bluttat richtete sich der Verdacht zunächst auf Täter aus dem linksextremen Spektrum.

Anfang der 80er Jahre war die "dritte Generation" der Roten Armee Fraktion (RAF) aktiv, der blutige Linksterror im öffentlichen Bewusstsein präsent.

Doch Gundolf Köhler, der die Bombe gezündet hatte und dabei selbst getötet wurde, war alles andere als ein Linker: Der damals 21-Jährige galt als fanatischer Neonazi und Waffennarr. Aus diversen Dokumenten lässt sich ablesen, dass Köhler enge Kontakt zur rechtsextremen "Wehrsportgruppe Hoffmann" hatte, die der damalige Innenminister Gerhard Baum wenige Monate vor dem Oktoberfest-Attentat verboten hatte. Gründer der Gruppe war der Nürnberger Karl-Heinz Hoffmann (geboren 1937), der das Schloss Ermreuth bei Neunkirchen im Landkreis Forchheim zum "Hauptquartier" machte.

Keine Mittäter?
Als die Bundesanwaltschaft und das Landeskriminalamt ihre Ermittlungen zum Attentat auf das Oktoberfest 1982 einstellten, lautete das offizielle Ergebnis: Köhler war ein fanatischer Einzeltäter, geistig verwirrt, ohne Hintermänner. Beweise für einen unmittelbaren rechtsradikalen oder politischen Hintergrund für die Tat fanden die Ermittler angeblich nicht.

Doch diese Lesart wurde schon damals und wird bis heute angezweifelt, nicht zuletzt von Vertretern der Opfer. Immer wieder hat es Anläufe gegeben, die Ermittlungen neu aufzurollen und den Anschlag mit den Methoden der modernen Kriminaltechnik noch einmal zu untersuchen - ungeachtet der Tatsache, dass die Spuren, die 1980 am Tatort gesichert wurden, nicht mehr existieren: Sie wurden 1997 vernichtet, weil der Fall als geklärt gilt.
Geklärt ist aber vieles nicht, wie der Journalist Ulrich Chaussy (Bayerischer Rundfunk) herausgefunden hat, dessen Biografie die Grundlage für den Film "Der blinde Fleck" ist, der am Donnerstag in die Kinos kommt.

Wem gehörte die Hand?
Zu den zahlreichen Ungereimtheiten, Schlampereien oder bewussten Manipulationen, die Chaussy in den Ermittlungsakten zum Attentat entdeckt hat, gehört eine Hand, die am Tatort gefunden wurde. Die Ermittler konnten sie weder dem Attentäter noch einem der Opfer zuordnen. Mit der modernen DNA-Analyse könnte man wohl zu neuen Erkenntnissen kommen.

Diese Spur passt zu zahlreichen Zeugenaussagen, wonach Köhler unmittelbar vor dem Anschlag mit Unbekannten am Eingang zur Wiesn gesehen wurde; diesen Spuren gingen die Ermittler nur halbherzig nach.
In Chaussys Buch "Oktoberfest: Ein Attentat" (1985) und in dem neuen Kinofilm wird der Verdacht auf rechtsradikale Gruppierungen wie die Wehrsportgruppe Hoffmann gelenkt. Deren Gründer bestreitet jegliche Verwicklung in den Anschlag und ist bekannt dafür, dass er rechtlich gegen jeden vorgeht, der solche Verbindungen herstellt. Hoffmann ist jetzt wieder aktiv geworden, sicherlich nicht zufällig mit der Veröffentlichung des Films.

"Finstere Mächte"
Der in rechten Kreisen als Held im Fidel-Castro-Look Verehrte dreht den Spieß herum: Aus den offenen Fragen konstruiert Hoffmann die Theorie, deutsche und ausländische Geheimdienste, so die Nato-Aktion "Gladius", seien verantwortlich für den Anschlag. Die "finsteren Mächte", so schreibt er, sorgten dafür, dass die Bombe den Attentäter zerriss und damit die wichtigste Spur beseitigte.

Hoffmann, der sich auch in Sachen NSU-Terror wiederholt mit ähnlichen Theorien zu Wort gemeldet hat, belässt es nicht bei Worten: Er hat bei der Kriminalpolizei in Bamberg Strafanzeige: gegen den Bundesnachrichtendienst (BND) wegen Beweismittelfälschung, und gegen Walter Ulrich Behle wegen gemeinschaftlichen Mordes. Der Leitende Oberstaatsanwalt in Bamberg, Bardo Backert, bestätigt den Eingang der Anzeigen.

Behle, der untergetaucht ist, war als V-Mann des Verfassungsschutzes in der Wehrsportgruppe Hoffmann eingeschleust. Von ihm stammt der später revidierte Satz, der den Anhängern jeder denkbaren Theorie zum Oktoberfest-Attentat den Stoff für Spekulationen liefert: "Der Anschlag, das waren wir." Und Wir bedeutet bei allen Verwirrungen um die Bombe von München: Es war mehr als ein Täter.

Wehrsportgruppe Hoffmann
1973 gründete Karl-Heinz Hoffmann, der 1937 in Nürnberg geboren wurde, die nach ihm benannte Wehrsportgruppe Hoffmann (WSG). Als Hauptquartier der WSG diente ab 1974 das Schloss Almoshof in Nürnberg und später bis zum verbot der Gruppe Anfang 1980 das Schloss Ermreuth bei Neunkirchen am Brand im Landkreis Forchheim. Hier ist Hoffmann bis heute zuhause.

Die WSG Hoffmann war eine nach dem Führerprinzip ausgerichtete Organisation und bezeichnete sich selbst als "nach militärischen Gesichtspunkten organisierter, straff geführter Freiwilligenverband". In einem "Manifest" formulierte Hoffmann 19 Leitsätze. Darin bekannte er, dass er "jedes Vertrauen in die bisher der Welt angebotenen Ideologien, Staats- und Wirtschaftsformen restlos verloren" hätte. Als Konsequenz forderte er "eine radikale Veränderung der Gesamtstruktur."

Blutige Spur
Die Wehrsportgruppe Hoffmann übernahm den Saalschutz für rechtsextreme Veranstaltungen. In mehreren Orten kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen. Hoffmann paramilitärische Truppe entwickelte sich rasch zur größten deutschen Wehrsportgruppe und hatte Vorbildcharakter. Nach dem Auffliegen des NSU wurde bekannt, dass Personen aus dem Umfeld der Zwickauer Terrorzelle offenbar mit Hoffmann Kontakt war. Wie eng diese Drähte waren und ob sich die Neonazis aus dem Osten in dem fränkischen Schloss mehr als nur ideologisch aufrüsten ließen, ist bislang nicht bekannt.

Die WSG Hoffmann wurde am 30. Januar 1980 durch Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) als verfassungsfeindlich verboten, nachdem die bayerische Staatsregierung die Umtriebe lange geduldet hatte. "Wehrsport ist doch nicht verboten", sagte der Ministerpräsident und damalige CSU-Kanzlerkandidat Franz-Josef Strauß.

Sowohl der mutmaßliche Oktoberfest-Attentäter Gundolf Köhler als auch der Mörder des jüdischen Verlegers Shlomo Levin und seiner Frau in Erlangen, Uwe Behrendt, waren Mitglieder der WSG. Behrendt beging 1981 im Libanon Selbstmord.





Kommentar von Günter Flegel: Täter, Opfer, Helden - so einfach ist das (nicht)

Der Film "Der blinde Fleck" kann gefährlich werden: Er kann den Finger auf die offenen Wunde eines Staates legen, in dem Terror von links unerbittlich bekämpft und Terror von rechts lange Zeit nicht wahrgenommen wurde.

Der Film kann aber auch gefährlich werden, weil er es sich im simplifizierten Schema des Kinoformats einfach macht: die Bombe, Schreie, unschuldige Opfer. Die Ermittler, unfähig, von Hintermännern gelenkt. Undurchsichtige Gestalten und geheime Staatsaktionen. Ein Journalist als einsamer Held.

Das ist der Stoff, aus dem große Dramen werden, man denke nur an Oliver Stones Epos "JFK, Tatort Dallas", das auf den ungeklärten Hintergründen der Ermordung John F. Kennedys basiert.

In der Akte "JFK" gibt es bis heute viele weiße Blätter. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass sich ein Staat durch einen Film, der in weiten Teilen eben doch Fiktion ist, dazu drängen lässt, an einmal zu den Akten Gelegtem zu rütteln. Im Fall München wäre dies zu wünschen. Es ist unglaublich, wenn so ein Verbrechen in diesem Rechtsstaat nach oberflächlichen Ermittlungen für alle Zeiten abgehakt werden sollte.

Der Film wird dem Staat mit seinem blinden Fleck im rechten Auge gefährlich, wenn er das öffentliche Bewusstsein ändert. Die Gefahr ist aber, dass er genau das nicht tut, weil er am Ende doch nur schwarz-weiß malt und damit Reflexe bedient. Böser Staat, guter Journalist. Der Zuschauer verlässt das Kino erschüttert und nimmt die Erschütterung als Placebo; wir haben es ja geahnt.

Der Nährboden für rechte Gewalt in dieser Gesellschaft ist aber sehr viel breiter: Intoleranz, Ignoranz, Obrigkeitsdenken und Egoismus. Rechte Mörder brauchen viele Mit-Täter. Und es braucht ganz viele Helden, um ihnen das Handwerk zu legen.