Blutegel - ein Selbsttest
Autor: Susanne Will
Bamberg, Donnerstag, 20. Sept. 2018
Würmer sind tierisch gute Ärzte, findet Autorin Susanne Will - auch wenn's blutig ist.
Wenn ein Erguss das Gelenk aufs Dreifache anschwellen lässt, wenn Arthrose die Finger plagt oder wenn Krampfadern aus Beinen Landkarten machen - dann schwören viele auf den Einsatz eines tierisch guten Arztes. Sein korrekter Name lautet Hirudo medicinalis, er hat keine Beine, dafür 80 winzige Zähne: der Blutegel. Sie sind jetzt schon angeekelt? Dann lesen Sie bitte nicht weiter, denn es wird blutig. Ich habe es ausprobiert. Ich hatte einen hartnäckigen Erguss im Kniegelenk und den festen Willen, diesen zu bekämpfen. Mit allen Mitteln. Falls Sie doch weiterlesen sollten, seien Sie beruhigt: Die Geschichte hat ein Happy End.
Der Ausgangspunkt für den Einsatz der bis zu 15 Zentimeter langen Tiere ist ab einem gewissen Alter ziemlich banal: Der Innenmeniskus - immerhin wie der Rest auch schon 49 Jahre alt - quittierte eine unbedachte Bewegung beim Skifahren mit einem Riss. Seit Februar humpelte ich ohne Aussicht auf Besserung, im Juni stand der OP-Termin fest.
Nach der Operation füllte sich das Gelenk mit Blut. Auch eine Punktion eine Woche später verschaffte keine Erleichterung. Via Drainage und Punktion war insgesamt bereits ein dreiviertel Liter Blut aus dem Gelenk entfernt worden. Und das Knie schwoll wieder an.
Die Optionen: Eine weitere Operation unter Vollnarkose, um den Bluterguss auszuräumen. Oder absolute Ruhe, der Einsatz von Hausmitteln und die vage Hoffnung, so um eine OP herumzukommen.
Nach drei Tagen roch es in meiner Wohnung wie auf einer frisch geteerten Straße vor einer Molkerei. Denn zur Kühlung schmierte ich mir Quark aufs Knie (Tipp vom operierenden Knie-Spezialisten und Mama), und um den Erguss "rauszuziehen", machte ich mir Umschläge mit einer Teersalbe (Tipp: mein Zahnarzt). Ich schluckte Ananas-Enzyme (Tipp: Hausarzt) und drei Mal täglich Ibu 600 (Anweisung vom Operateur). Ich legte mein Bein in einen transportablen Magnetresonanz-Apparat (Tipp: Heilpraktiker). Ich holte mir Erfrierungen durch Kühlpads. Ich musste die Sonne meiden, da Wärme die Gefäße erweitert (Anweisung Klinik-Chef). Das Ende vom Lied: Ich schaute den ganzen Tag bei 33 Grad Außentemperatur auf dem Sofa liegend Horror-Filme auf Amazon Prime - dass es den Film-Opfern noch schlechter ging als mir, das befriedigte mich zutiefst. Aber ich war nach zwei Wochen selbst so blass und depressiv wie die Zombies aus The Walking Dead. Mein Zustand: Ich hätte alles getan - gemahlene Hühnerknochen in die Ecke geworfen und drumrum getanzt, wenn es geholfen hätte. Doch nichts half.
Das letzte Mittel: Blutegel. Mythen ranken sich um diese Viecher. Sie würden bei Arthrose helfen. Bei Entzündungen. Bei Gelenksergüssen! Ich holte den Heilpraktiker an Bord. Der bestellte vier Würmer bei einer Blutegel-apotheke. Sie kamen per Post in einem Kästchen aus Styropor, ausgehungert und lethargisch in Baumwollsäckchen.
Der Heilpraktiker strich mein Knie mit Butter ein, "das mögen sie, dann beißen sie besser". Wie auf einem belegten Brot also schlängelten sich die feuchten, glatten Egel auf meinem Knie - bis mir ein Schmerz, ähnlich wie dem Stich einer Pferdebremse, signalisierte: angebissen. Das ist nichts für schwache Nerven: Blutegel haben um die 80 Zähne, die sich 1,5 Millimeter tief in die Haut fräsen. Aus ihren Speicheldrüsen wird Hirudin in die Wunde abgesondert, was eine Blutgerinnung verhindert. Sobald sie an der Schmerzstelle angedockt haben, saugen sie sich mit dem Hinterteil in der Nähe des Maules fest - und sofort beginnt der muskulöse Körper zu pumpen. Man meint, man kann ein Schmatzen hören.