Druckartikel: Blut fehlt

Blut fehlt


Autor: Robert Wagner

LKR Kitzingen, Samstag, 11. Juni 2016

200 Blutbeutel fehlen täglich in Bayern. Am kommenden Dienstag, 14. Juni, ist Weltblutspendetag. Erstspender sind überall gefragt. Ein Selbstversuch.
Mein erstes Mal: Blutspenden ist nicht schlimm. Man kann sogar Spaß dabei haben.  Fotos: Robert Wagner


I ch bin kein großer Fan von Spritzen. Deshalb ist mir ein bisschen mulmig, als ich die Treppen im Kitzinger BRK-Haus empor steige. Es ist Blutspendetermin - und ich bin das erste Mal dabei.
Mit meinen 31 Jahren entspreche ich genau der Zielgruppe. Viele Spender sind viel älter, mit spätestens 69 ist aber Schluss. Zwar darf man schon mit 18 spenden, wichtiger sind jedoch die Menschen um die 30. "Die kommen dann öfter", sagt Martina Kern, Gebietsreferentin beim Blutspendedienst. Die Menschen seien da bereits gesetzter und verantwortungsbewusster.

Im ersten Stock reihe ich mich zunächst in eine kleine Schlange ein. Drei Formulare sind auszufüllen. "Sie sind gerade in einer Hochphase gekommen", sagt die ehrenamtliche Helferin am Empfang. Es ist früher Abend, da kommen viele direkt von der Arbeit, oft in Gruppen. Ich bin eine Ausnahme: "Gerade Erstspender kommen selten alleine", erklärt mir Kern.

Der Blutspender ist eben ein Gemeinschaftsmensch.

Die Unterfranken sind traditionell beides. Fünf der zehn Kreise mit dem höchsten Pro-Kopf-Spendenaufkommen in Bayern liegen in Unterfranken. Platz eins halten die Hassberge mit 14,15 Prozent - gefolgt vom oberfränkischen Lichtenfels mit 13,71 Prozent. Mit knapp über zehn Prozent liegt auch der Anteil der Blutspender im Landkreis Kitzingen deutlich über dem bayerischen Durchschnitt von sieben Prozent. Und der bayerische Durschnitt ist wiederum doppelt so hoch, wie der bundesdeutsche Schnitt.

In Bamberg gab es im vergangenen Jahr 13 000 Spenden. Drei Mal so viel, wie im gesamten Raum München (4000). Die oberbayerische Metropole bildet das Schlusslicht im Ranking. Im Landkreis Kitzingen kamen 2015 zu 67 Terminen insgesamt 6 885 Spender. Kein Wunder: "In Unterfranken gab es vor 60 Jahren unsere erste Blutspendeaktion", erzählt Kern.

Seitdem gibt es aber auch immer problematische Zeiten. So wie jetzt. "An den ersten schönen Tagen kommen viele Spender nicht", sagt Kern. Gerade die Pfingstferien und später die Sommerferien sind traditionell schwierig. "In Bayern brauchen wir täglich 2 000 Blutbeutel. Zur Zeit gibt es 200 zu wenig pro Tag." Das sei zwar wegen der Vorräte nicht kritisch, aber doch ein Fakt, der nachdenklich macht.

Aus dem Aufenthaltsraum hört man Stimmen, immer wieder unterbrochen von lautem Lachen. Ein bisschen hatte ich die kalte, sterile Atmosphäre eines Krankenhauses erwartet. Jeder mit sich und seinen Problemen beschäftigt. Dazu hektisches Treiben. Ich habe mich geirrt. "Da ist eigentlich immer gute Stimmung", bestätigt Harald Erhard, Kreisgeschäftsführer des BRK. "Die sind ja freiwillig da und werden nicht her geprügelt."
Bevor ich mich der geselligen Runde bei Bockwurst, Käsebrot und Kaffee anschließen darf, habe ich aber noch einiges zu erledigen. Als erstes gehe ich in den einzigen stillen Raum. Mit den aufgestellten Sichtblenden erinnert er an ein Wahllokal. Man soll ja seine Privatsphäre haben, wenn man den Anamnese-Bogen ausfüllt. Gefragt wird nach allen möglichen Krankheiten und Leiden, von denen ich oft - Gott sei Dank - noch nicht einmal gehört habe. Neben mir macht gerade ein Vater seine Kreuzchen. Die Tochter fragt: "Darfst du auf das Blatt kritzeln?" Alle lachen. Der Hintergrund ist hingegen ernst: Die Blutempfänger gehen mit jeder Transfusion ein Risiko ein. Schließlich handelt es sich jedes Mal um eine kleine Transplantation. Statt einer fremden Niere bekommt man fremdes Blut - eine Herausforderung für den eigenen Körper.

Danach geht es zur Ärztin. Auch dort wartet bereits eine kleine Schlange. Vor mir steht ein älterer Herr. Zum 121. Mal ist er beim Blutspenden. Warum er das macht? "Mich treiben keine altruistischen Gründe an", sagt er. Vielmehr gehe es ihm vor allem um sich selbst: "So werden regelmäßig die Blutwerte überprüft und ich spare mir den Gang zum Doktor."

Der Doktor ist in meinem Fall Katja Krüger. Sie geht mit mir meinen Fragebogen durch. Viele Krankheiten können zwar vorher im Labor festgestellt werden, aber wenn jemand beispielsweise eine kurz zurückliegende Grippe verschweigt, können sich die Patienten damit anstecken. Bei den oft geschwächten Patienten kann das fatale Auswirkungen haben. Deshalb sei es so wichtig, dass alle Spender wahrheitsgemäß antworten. Krüger misst meinen Blutdruck, 128 zu 80. Dann misst sie Temperatur und Puls. Mit 66 Schlägen pro Minute und einer Temperatur von 36,9 Grad liegt beides im Rahmen. Ich darf also Erstspender werden.

Zuvor werden noch mein Eisengehalt und die Blutgruppe bestimmt. Ein Pieks ins Ohrläppchen, vier Tropfen Blut und schon stehen beide Werte auf einem Formular. "Ihr Eisenwert ist hervorragend", sagt der Mann vom BRK, ich nicke zufrieden. Von den etwa fünf Prozent der Spender, die vom BRK abgelehnt werden, wird ein Großteil wegen Eisenmangels ausgeschlossen.

Danach kommt der vermeintlich schlimme Teil. Ich lege mich auf eine Liege. "Bitte eine Faust machen." Das Desinfektionsspray ist ziemlich kalt, dann naht schon die Nadel. Ganz schön dick, denke ich noch, dann ist die Kanüle schon in meinem Arm verschwunden. Hatte ich mir schlimmer vorgestellt.

Während mein Blut - insgesamt knapp 500 Milliliter - in einen Transfusionsbeutel läuft, erzählt mir mein Nebenmann, dass er schon ewig zum Spenden geht. "Dann könnten Sie das wohl auch alles selber machen?", frage ich. "Ja, schon", antwortet er lachend - doch sein Arm sehe danach sicher auch dementsprechend aus. Ein bisschen Fingerspitzengefühl gehört eben doch dazu.

Wenig später habe ich meine erste Blutspende hinter mir. Ich horche in mich hinein. Irgendwie erwarte ich, dass mir schwindlig wird oder ich sonst etwas merke. Fehlanzeige - aber Hunger auf eine Bockwurst habe ich. Im Aufenthaltsraum erzählt mir eine ältere Frau - auch sie kurz vor ihrer 100. Spende - dass sie immer wieder kommt, weil sie sich danach besser fühle. Ärztin Katja Krüger erklärt mir, dass gerade für Menschen mit Bluthochdruck regelmäßige Blutspenden wohltuend sein können.

Viele Spender haben aber auch das Gemeinwohl im Sinn. "Irgendwann brauche ich vielleicht Blut, dann bin ich dankbar dafür", sagt der Mann neben mir. Tatsächlich braucht jeder Dritte Deutsche irgendwann im Leben eine Bluttransfusion, erzählt mir Martina Kern. Daneben wirken die zehn Prozent Spenderanteil sehr gering. Umso schlimmer, dass viele aktive Spender auf die Altersgrenze zugehen. "Uns macht der demografische Wandel schon zu schaffen", sagt Kern. Viel Blut wird bei chronischen Krankheiten benötigt. Von denen sind ältere Menschen tendenziell eher betroffen. Glücklicherweise sei es durch technische Neuerungen und bewussteren Umgang mit den Konserven gelungen, den täglichen Bedarf an Blut in Bayern zu senken. Kritisch sei die Lage deshalb noch nicht.

Trotzdem sei man froh über jeden Erstspender. Ein Grund mehr für mich, wiederzukommen.