Druckartikel: "Bloß keine 20 Zentimeter höher!"

"Bloß keine 20 Zentimeter höher!"


Autor: Werner Baier

, Freitag, 14. Januar 2011

Ein alter Bauernhof in der Talaue der Itz steht wie ein Fels in der Brandung. Die Bewohner sind in Sorge, aber nicht aus dem Häuschen.
Die Itz steht vor der Tür: Emil Müller schaut nach dem Hochwasser, das den Bauernhof im Rattelsdorfer Ortsteil Speiersberg fast ganz eingeschlossen hat.  Foto: Baier


Im Ortsteil Speiersberg, Hausnummer 2, sitzen Hertha und Emil Müller auf der Terrassenbank und bangen: Um Gottes Willen möge doch die Itz nicht noch um 20 Zentimeter steigen! Würde sie's tun, dann liefe die Brühe über die Haustürschwelle in den Flur, die Küche und die Wohnstube des seit alters her in der Talaue stehenden, wohlweislich nicht unterkellerten Bauernhofes. Und dessen Wohntrakt einschließlich der weißen Fassade mit ihren dekorativen Sandsteinverzierungen haben die Müllers erst 2010 für einen stattlichen fünfstelligen Betrag erneuern lassen.
Halbwegs beruhigend ist in der Mittagsstunde des Freitags die amtliche Wasserstandsmeldung: Der Itzpegel Coburg pendelt seit Donnerstagabend bei 4,12 Meter um die Meldestufe 3, Tendenz leicht fallend. Das Schlimmste scheint abgewendet, zumal es nicht regnet, ja sogar die Sonne wieder auf die Seenlandschaft des Itzgrundes scheint.

Endlich!

Hertha Müller entstammt dem Bauernhof, um den bei fast jedem stärkeren Hochwasser gebangt wird. Auch gestern Vormittag schon hat die Gemeindeverwaltung angerufen und sich erkundigt. Das Angebot von Sandsäcken, die von der Feuerwehr Rattelsdorf vorsorglich gefüllt worden sind, lehnen die Müllers (noch) dankend ab. Sie haben die Ruhe weg und wissen um die Gefahr. Nur einmal, so erinnert sich die Bauerstochter, im Januar 2003, musste das Pferd aus dem zum Stall umgebauten ehemaligen Backofen geborgen werden. Sonst seien ihre Eltern und Großeltern und deren Hab und Gut immer davongekommen.

Der pensionierte Polizeibeamte Emil Müller, der vor 40 Jahren eingeheiratet hat, brachte immerhin schon die Familienkutsche, einen Mercedes, aus der tiefer liegenden Garage in Sicherheit. Das Pferd ist noch im Stall, aber der Traktor steht bis zur Achse im Wasser, während sich der Vorgarten des stolzen Anwesens in ein Feuchtbiotop verwandelt hat. Vielleicht verirrt sich ja ein Karpfen ins Blumenbeet, dann könnte es bei Müllers frischen Fisch geben...
Wer so nah am Wasser gebaut hat, der hat übrigens das größte Mitleid mit den Menschen, die sich derzeit zum Beispiel in Australien oder Brasilien von den Wassermassen um ihr Lebenswerk gebracht sehen. "Unvorstellbar," meint Hertha Müller, "wenn bei uns so viel Wasser herunterkommen würde."

Kreisbrandinspektor Willi Scholz aus Baunach hat sich diesbezüglich schon Gedanken gemacht. Für eine solche Sintflut wäre man auch hierzulande nicht gewappnet, obzwar durch bewusstes Freihalten von Retentionsräumen viel für die Wasserrückhaltung getan worden sei. Oder es wurden - wie im Maintal zuletzt bei Ebing - Hochwasserdämme angelegt, die der Wohnbevölkerung Schutz vor den Fluten bieten.

Die Ebinger Feuerwehr hat in der Nacht zum Freitag Sandsäcke befüllt und die Spundwand quer zur Kreisstraße, die zur B 173 führt, geschlossen. Nun kann zwar niemand auf direktem Weg zum Ebinger Bahnhof gelangen, aber lieber einen weiten Umweg zu Fuß oder mit dem Auto, als dass der Main die Bahnhofstraße hochgekrochen kommt.
Anlieger Jakob Schlichtig und Dritter Bürgermeister Hans-Jürgen Scheerbaum befinden von der Dammkrone aus: "Keine Gefahr!" Zwar ist wieder einmal der Ebinger Campingplatz überflutet, aber das trifft wohl nur einen Camper hart: Sein zurückgelassener Wohnwagen bekommt langsam einen nassen Bauch. Ansonsten schätzt man sich in Ebing endlich auf der sicheren Seite. "Gott sei Dank", sagt Scheerbaum.

Angesichts der derzeitigen Hochwassersituation völlig unaufgeregt ist Kreisbrandinspektor Scholz. "Unsere Feuerwehren kennen alle gefährdeten Stellen und stehen zur Verfügung." Vielerorts seien vorsorglich Sandsäcke bereitgelegt worden. Und wo im Maintal oder Itzgrund Keller überschwemmt würden, entstünde in der Regel kein Schaden: Die Hausbesitzer wüssten sich zu helfen, notfalls komme die Feuerwehr und pumpe, versichert Scholz.

Die Lage im Kreis Bamberg bleibt laut der Hochwasserprognose des Wasserwirtschaftsamtes Kronach weiterhin angespannt. Aufgrund der vergangenen Niederschläge und der anhaltenden Tauwetterlage steigen die Wasserstände im Main- und Regnitzeinzugsgebiet weiter an.

Kritisch sieht es in Kemmern aus. Hier befindet sich der Main-Pegel bei weiterhin steigenden Wasserständen in der Meldestufe 3. Der Hochwasserscheitel wird bis etwa Samstagmittag erreicht. Der Main-Pegel bei Trunstadt befindet sich bei steigender Tendenz in der Meldestufe 2. Der Pegel der Itz bei Schenkenau schwankt im Grenzbereich zur Meldestufe 4 in Hochwasserscheitellage. Der Pegel der Baunach bei Leucherhof befindet sich in Meldestufe 3 und zeigt bereits wieder leicht fallende Wasserstände.

Der Rauhe-Ebrach-Pegel in Vorra hat mit leicht fallender Tendenz die Meldestufe 3 wieder unterschritten. Der Regnitz-Pegel bei Pettstadt wird voraussichtlich bis Samstagvormittag die Meldestufe 3 erreichen.