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Besuche im Altenheim in Corona-Zeiten erschwert: "Mein Vater weint"


Autor: Marion Krüger-Hundrup

Bamberg, Donnerstag, 17. Dezember 2020

Wer in dieser Corona-Zeit Angehörige im Altenpflegeheim besuchen will, muss Hürden nehmen. Diese sind gerade zu Weihnachten nicht unüberwindbar.
Besuche in Senioreneinrichtungen sind aufgrund des Corona-Lockdowns nur schwer möglich. Angehörige und betroffenen berichten.


Altenheime stehen in diesen Corona-Zeiten im besonderen Fokus: hohe Infektionsraten, Todesopfer, überforderte Angehörige und Pflegepersonal, das nur noch am Anschlag arbeitet. "Die Stimmung im Heim ist schlecht", sagt Veronika Winkler (Name von der Redaktion geändert), die ihren 92-jährigen Vater in einer Altenpflegeeinrichtung im Landkreis Bamberg nicht im gebotenen Maße umsorgt sieht.

Veronika Winkler, die anonym bleiben möchte, "weil es sonst mein Vater ausbaden muss", ist verzweifelt. Wenn sie ihn jetzt besucht, dann darf das Treffen wegen der Hygienevorschriften nur in der Cafeteria des Hauses stattfinden. "Da kommt keine private Atmosphäre auf, mein Vater weint, ist hilflos", beklagt Winkler. Sie habe sogar eine einstweilige Verfügung vom Amtsgericht oder eine Anordnung vom Verwaltungsgericht einklagen wollen, um ihren Vater wieder in seinem Zimmer aufsuchen zu können. Doch wegen der Aussichtslosigkeit einer Klage habe sie den Plan "schon ad acta gelegt", so Veronika Winkler.

Besuch im Altenheim durch Corona erschwert

Zu allem Ungemach baut die "Elfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung" weitere Hürden vor einem Altenheimbesuch auf. Mit Pflicht zur FFP2-Maske und Mindestabstand haben sich die Betroffenen gezwungenermaßen arrangiert. Doch jetzt darf jeder Bewohner von täglich höchstens einer Person besucht werden, die über ein schriftliches oder elektronisches negatives Testergebnis in Bezug auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 verfügt. Das Ergebnis einer Testung mittels eines POC-Antigen-Schnelltests darf höchstens 48 Stunden und mittels eines PCR-Tests höchstens drei Tage vor dem Besuch vorgenommen werden. Immerhin gilt vom 25. bis 27. Dezember jeweils ein Zuschlag von 24 Stunden.

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Wie Veronika Winkler steht auch Bernd Grämmel (sein richtiger Name) vor der Frage, wie er jetzt in Bamberg an einen Schnelltest kommt: "Ich besuche sonst vier Mal wöchentlich meinen 94-jährigen Vater in einem Bamberger Heim", berichtet Grämmel. Der alte Herr "erkennt mich, freut sich über meinen Besuch". Doch nun habe "die Politik etwas beschlossen, was nicht umsetzbar ist", vermutet Grämmel. Da das Testergebnis der Abstrichstelle an der Galgenfuhr erst nach drei bis fünf Tagen vorliege, sei er auf einen kostenpflichtigen Schnelltest angewiesen. "Mein Hausarzt testet nicht", weiß Bernd Grämmel.

Tatsächlich sind in Bamberg nur wenige Hausärzte bereit oder in der räumlichen und personellen Lage, die erforderlichen Tests durchzuführen. Dr. Franz Rudel in der Gartenstadt ist einer von ihnen, "weil ich helfen will, etwas abzufangen", wie er gegenüber unserer Redaktion sagt. Er tue dies mit seiner Praxiskollegin "vereinzelt" für Angehörige von Altenheimbewohnern und wolle auf keinen Fall "eine Werbung für diese Aktion". Denn mit den üblichen Covid-19-Abstrichen bei Infizierten habe er genug zu tun. Schnelltests seien eine sogenannte Igel-Leistung, räumt der Mediziner ein und verweist auf die Schließung seiner Praxis über die kommenden Feiertage.

Besuch nur mit negativem Corona-Test möglich

Ehrenamtliche werden es sein, die zu Weihnachten für Besuche in Alteneinrichtungen auf ihre private Familienfeier verzichten: "Die Hilfsorganisationen Johanniter, Malteser und Rotes Kreuz werden am 24., 25. und 26. Dezember Schnelltests durchführen", fasst Zweiter Bürgermeister Jonas Glüsenkamp (Grünes Bamberg) das Ergebnis des "Runden Tisches" von Stadt und Landkreis Bamberg sowie Trägern der Altenhilfe zusammen. Als Teststationen kämen voraussichtlich in der Stadt die Blaue Schule und im Landkreis die Abstrichstelle Scheßlitz in Frage.

Sozialreferent Glüsenkamp appelliert an die Vernunft der Bamberger: Es könne sich nicht jeder testen lassen, der es eben mal so wolle, sondern nur derjenige, der sich in einem Altenheim für einen Besuch angemeldet hat. Diese Namens- und Adresslisten würden den Hilfsorganisationen vorliegen.

Glüsenkamp weiß auch um die schwierige Situation, die aus den weihnachtlichen Besuchen der rüstigeren Heimbewohner bei ihren Lieben daheim entstehen kann. "Masken, Abstand, lüften, nicht umarmen", listet der Bürgermeister als notwendige Maßnahmen zum Gesundheitsschutz auch daheim auf. Jedenfalls werde das Gesundheitsamt nach Weihnachten Reihentestungen in den Altenheimen vornehmen.

Für Dr. Georg Knoblach, Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbandes Bamberg, sind die Weihnachtstage mit Senioren im großen Familienverband ohnehin fragwürdig genug. "Gerade Kinder und Jugendliche sind oft Träger des Virus ohne Symptome, können aber anstecken", so Knoblach. Und damit könnten die alten Menschen den Krankheitserreger "ins Heim tragen". Da die Inkubationszeit einige Tage dauere, würde auch ein Schnelltest des Rückkehrers nichts bringen. Ganz davon abgesehen haben die wenigsten Alteneinrichtungen die personellen Ressourcen für zusätzliche Arbeit. Die Heime "sind nicht verpflichtet, Schnelltests vorzuhalten", sagt zudem Claudia Steblein, die im städtischen Amt für soziale Angelegenheiten die Fachstelle für Pflege- und Behinderteneinrichtungen verantwortet. Gerade die Angehörigen von Heimbewohnern "müssen sich selbst um einen Test bemühen", erklärt Steblein.

Kommentar: Keiner soll Weihnachten allein sein? Der realitätsferne Wunsch der Politiker

Keiner soll Weihnachten allein sein? Der fromme Wunsch unserer Politiker, dass "Weihnachten niemand allein sein soll", ist an Realitätsferne nicht zu überbieten. Sicher, die Volksvertreter haben in diesen dramatischen Corona-Zeiten das Mögliche geregelt, um die Feiertage für Familien erträglich zu machen. Was ist aber mit den Menschen, die keine Familienangehörigen in gerader Linie haben? Sie dürfen nicht einmal Freunde einladen, die Gemeinschaft schenken könnten. Sie bleiben allein. Sind allein mit ihren Sehnsüchten nach Kontakten, mit ihren Emotionen gerade an Heiligabend, mit ihren Sorgen um die ungewisse Zukunft, mit ihrer Angst und Einsamkeit.

Derzeit stehen besonders die betagten Bewohner in den Altenpflegeeinrichtungen im Fokus, da ihre Angehörigen sie nur unter erschwerten Bedingungen besuchen dürfen. Zweifellos ist das bitter und tragisch, bedeutet so manche familiäre Zerreißprobe. Doch die Heimbewohner sehen täglich mehrmals Pflegerinnen und andere Helfer, erleben Hautkontakt in der Körperpflege und - wo Hilfe nötig - bei der Eingabe von Mahlzeiten. Um nicht missverstanden zu werden: Das alles ersetzt nicht die liebevolle Umarmung der Tochter und des Enkels.

Aber bei allem Verständnis für die Klagen von Angehörigen muss der Fingerzeig auf die vielen, gerade älteren Singles in ihren Wohnungen erlaubt sein. Wer tritt für sie ein? Wer wendet sich ihnen zu? Und zwar auch in coronafreien Zeiten? Wie geht unsere Gesellschaft generell mit älteren, alten Menschen um?

Eine alleinstehende Mitsiebzigerin, die am 23. Dezember als Patientin aus dem Bamberger Klinikum entlassen wird, stellt in einem Telefongespräch nüchtern fest, dass sie Weihnachten lediglich auf sich gestellt ist und keinerlei Chancen hat, irgendetwas für das Fest vorzubereiten. Sie hat nur eine Cousine, die sie jedoch wegen der bekannten Vorschriften nicht besuchen darf. Unfrohe Weihnachten werden es für sie. Und andere Betroffene.

Vielleicht sollten die Familien, die ihre seligen Weihnachtstraditionen unter dem Christbaum pflegen, einen kurzen Gedanken daran verschwenden, was da eigentlich gefeiert wird vom 24. bis 26. Dezember. Denn auch unter Corona-Bedingungen wird Gott Mensch. Wer staunt noch über das Unfassbare? Wer zieht Konsequenzen daraus und wird selber Mensch - zum Beispiel für die alte Nachbarin in der Wohnung nebenan?! Oder für den Altenheimbewohner, der keine Angehörigen mehr hat - oder von diesen vergessen ist?

Marion Krüger-Hundrup