Druckartikel: Bayern in der Schneekugel

Bayern in der Schneekugel


Autor: Marion Krüger-Hundrup

Bamberg, Donnerstag, 03. Mai 2018

Die Landesausstellung 2018 im Kloster Ettal beleuchtet den "Mythos Bayern" aus "Wald, Gebirg und Königstraum".
Im Klostergarten grüßt höchstpersönlich König Ludwig II. nebst Neuschwanstein. Marion Krüger-Hundrup


"Ich bin ja auch kein Mensch,
ich bin ein Bayer."
(Karl Valentin)

D ie Versuchung ist groß. Nämlich die, Pater Johannes Bauer flugs einen Weihrauchkessel in die Hand zu drücken. Die Szene hat etwas Sakrales an sich: Versunken steht der Cellerar der Benediktiner-Abtei Ettal in seinem schwarzen Habit vor dem Holz-Pavillon im Klostergarten. Der Mönch schaut auf die Bespannung: ein überdimensionales Plakat vom "Kini" nebst Neuschwanstein. Wie eine riesengroße Schneekugel aus dem Souvenirshop!
König Ludwig II., der "Kini", bleibt populär, irgendwie unsterblich: als Träumer mit seinen fantastischen Märchenschlössern, als Visionär für das nahe Graswangtal, als tragische Figur des politisch Gescheiterten, als Projektionsfläche für große Gefühle und Verschwörungstheorien. Und als sprudelnde Quelle für den "Mythos Bayern", dem sich die Landesausstellung des Hauses der Bayerischen Geschichte in diesem Jahr widmet.
"Der Mythos ist die Manifestation eines Sonderstatus, den Bayern einfordert und der Bayern zugestanden wird", sagt Haus-Direktor Richard Loibl. Dieser Mythos sei "hier am Originalschauplatz Ammergauer Alpen entstanden und strahlt vom regionalen Kern auf ganz Bayern aus".
Niederbayer Loibl hat diese Ausstellung als Teil des Jubiläumsprogramms "Wir feiern Bayern" inszeniert: 100 Jahre Freistaat Bayern, 200 Jahre Bayerische Verfassung. Doch die Schau im Kloster Ettal (Landkreis Garmisch-Partenkirchen) hat kaum etwas von der 1918er Revolution oder von 1818er Verfassungsparagrafen an sich: "Das politische Bayern ist 2019 Thema in Regensburg", blickt Richard Loibl auf die nächste Landesausstellung voraus.
2018 stehen "Wald, Gebirg und Königstraum" im Zentrum. Das Kloster Ettal, 1330 von Kaiser Ludwig dem Bayern gegründet, machte bereitwillig 1500 Quadratmeter Fläche im Südflügel für die Ausstellungsmacher frei, darunter die Schulaula seines Gymnasiums und Teile des Tagungsbereichs. Die Abtei mit ihrer barocken Basilika und ihren 180 Hektar Schutzwald, mit ihrer eigenen Brauerei und dem süffigen "Ettaler Kloster Liqueur" verkörpert selbst schon diesen Mythos Bayern, der eben im Voralpenland seinen Ursprung hat. Berge, Seen, Wälder, das Leben und Wirtschaften in dieser Millionen Jahre alten und menschengemachten Kulturlandschaft spielen denn auch eine wesentliche Rolle.
Ein Drittel der präsentierten Exponate kreist um die Themen Wald, Forstwirtschaft als Keimzelle bayerischer Staatsverwaltung, Förster als legendären Berufsstand und Nachhaltigkeit. Schon der Auftakt beim Rundgang durch die Schauräume versetzt auf die Alpenbühne. Auf den Berg Schachen bei Garmisch-Partenkirchen, auf dem König Ludwig II. sein Ferienhaus erbauen ließ. Da steht sogar der Leiterwagen bereit, um Geschirr und Silberbesteck, Speisen und Getränke hinauf zu dem Adlerhorst zu transportieren, in dem der "Kini" die Bergeinsamkeit suchte. Die Szenerie ist in magisches Licht getaucht. Fehlt nur noch der streunende Wolf. Oder pfeifende Murmeltiere.
Wenn der "Kini" dem Mythos Bayern die Krone aufsetzt, sind es die Ludwig-Ganghofer-Typen, die dem Mythos bajuwarisch-bodenständiges Leben einhauchen. Fesche Sennerinnen, schneidige Jäger, tapfer-renitente Wilderer, kraftvolle Waldbauern, schlitzohrige Originale bevölkern die Ausstellung. Begleitet vom Jodeln via Hörstation sieht der Besucher Lederhosen und Dirndl, Bierkrüge und Schuhplattler: Die typischen Bayern-Klischees lassen grüßen, die das Land heute zum Touristenmagneten und einst zum Traumziel der wandernden Romantiker gemacht haben. Auch Künstler, Maler wie Dichter, entdeckten die bayerische Bergwelt. Landschaftsmalerei, die das idyllische Bayern-Bild in die Weltausstellungen und in die bürgerlichen Wohnzimmer trug, bieten in Ettal eine Augenweide - für den, der solch geballte Heimattümelei mag. Auf Postkarten gedruckt kamen diese Bilder massenhaft um den Globus. Befeuerten den Mythos Bayern und die Reiselust.
Die Entdeckungsreise in Sachen Mythos trifft im Kloster Ettal natürlich auf die Wittelsbacher, eine Dynastie, die häufig mit Bayern gleichgesetzt wird. Kein Wunder, regierten sie doch das Land fast 800 Jahre, von 1180 bis 1918. Stoff genug für den Mythos Bayern. Dabei gehört die ausgestellte königliche Badewanne als hochherrschaftliches Statussymbol eher in eine Abteilung Kuriosa denn sagenhafte Geschichten. Letztere sind gewiss die Passionsspiele von Oberammergau, die Anhänger aus Europa und Amerika herbeiströmen lassen. Schon vor der nächsten Premiere im Jahr 2020 öffnet sich jetzt im Kloster Ettal der Vorhang vor besonderen Exponaten aus dem Umfeld der Laienschauspieler.
Kernelement der gesamten Landesausstellung ist jedoch der eigens errichtete Pavillon aus heimischer Fichte und Lärche im Klostergarten. Die Architektur des Holzbaus erinnert an die Kontur einer herausragenden Felsformation. Sein Inneres befriedigt die Sehnsucht des Publikums nach der perfekten Illusion. Moderne Technik, Farb- und Lichteffekte dienen dazu, die Realität zugunsten einer erträumten Welt zu verlassen. Eine Welt, die König Ludwig II. zwischen seinem Schloss Linderhof und Ettal vorschwebte. Seine Pläne etwa eines chinesischen und eines byzantinischen Palastes im Graswangtal sind in diesem Rundpanorama verwirklicht.
"Es ist notwendig, sich Paradiese zu schaffen!" sagte der "Kini" einmal. Sein Oberbayern mag ein solches Paradies sein. Ein Mysterium. Wie die Bayern selbst. Carl Amery hat 1980 in seiner Geschichte "Leb wohl geliebtes Volk der Bayern" zusammengefasst, was als besonders bayerisch - besser: altbayerisch - einzuschätzen sei: neben den gebirglerischen, krachledernden und aufdrahrerischen Klischees Mentalitäten wie Direktheit bis zur Grobheit, theatralische Kraft, ein Strang von Rebellion oder Partikularismus bis zur Anarchie.
Da brüllt der bayerische Löwe. Die Raubkatze gehört auch zum Mythos. Zum Wappen des Freistaats Bayern, das als Installation im Kloster Ettal selbstverständlich nicht fehlt. Sozusagen zur Selbstvergewisserung eigenstaatlicher Traditionen in Bayern. Und als Zugeständnis an die Franken, Oberpfälzer, Schwaben, die in dieser Landesausstellung dem Mythos Bayern kurzerhand einverleibt werden.


INFO Die Bayerische Landesausstellung ist bis zum 4. November täglich von 9 bis 18 Uhr im Kloster Ettal zu sehen (www.hdbg.de). Das tagesaktuelle Rahmenprogramm mit Führungen, Konzerten, Vorträgen finden Sie unter www.landesausstellung-ettal.de