Kirchenasyl: Barmherzigkeit wird zur Straftat
Autor: Marion Krüger-Hundrup
Bamberg, Dienstag, 29. August 2017
Immer öfter ermittelt in Bayern die Staatsanwaltschaft gegen Pfarrer, die Kirchenasyl gewähren. Schlaglichter aus dem Erzbistum Bamberg.
Es ist schon ein idyllisches Fleckchen Erde hier am Schönstatt-Zentrum Marienberg bei Dörrnwasserlos im Landkreis Bamberg. Von seiner Vergangenheit als Raketenstützpunkt der Nato erzählt nur noch der hohe Wachturm am Eingangstor. Heute späht niemand mehr von oben auf die Felder und Wiesen, auf das Gebäudeensemble, das nun als modernes Begegnungszentrum der Kirche alle Generationen einlädt.
Girmay und Akheret (Namen von der Redaktion geändert) fühlen sich bei aller Ungewissheit ihres Schicksals hier erst einmal sicher. Die beiden jungen Eritreer leben seit März 2017 im Kirchenasyl. Gewährt vom Hausherrn Martin Emge, katholischer Pfarrer in Forchheim, Schönstattpräses und als Regionaldekan in die Leitung des Erzbistums Bamberg eingebunden.
"Ich möchte nicht gegen den Staat agieren und ihn provozieren, sondern lediglich eine rein humanitäre Hilfe leisten, weil mein Gewissen reagiert", sagt der Pfarrer.
Für ihn bedeutet die Gewährung von Kirchenasyl ein "Werk der Barmherzigkeit den Ärmsten gegenüber im Geist des Evangeliums", fügt er hinzu. Dabei sei es eine Selbstverständlichkeit, mit den staatlichen und kirchlichen Behörden zu kooperieren, "während wir auf dem Marienberg die Eritreer schützen". Pfarrer Emge wird aktiv unterstützt vom Trägerverein des Schönstatt-Zentrums und vom Bamberger Verein "Freund statt fremd", der entsprechende Fallstudien über Girmays und Akherets Asylverfahren erstellt hat.
Rechtliche Grauzone
"Die habe ich vor dem Kirchenasyl sorgfältig geprüft", betont Emge. Dass jetzt etliche seiner katholischen und evangelischen Kollegen in Bayern Ermittlungsverfahren wegen Kirchenasyl am Hals haben, ist ihm durchaus bewusst. Bislang "hatte ich noch keinen Polizeikontakt", doch ein solcher würde für ihn auch nichts ändern: "Ich lasse mich von Abschreckung nicht beeindrucken", sagt der Priester klipp und klar, wissend, dass Kirchenasyl eine "rechtliche Grauzone" bedeutet.Kirchenasyl gibt es seit 2000 Jahren, eine allseits anerkannte christliche Tradition und ein Gewohnheitsrecht zum Schutz von Menschen. Kirchenasyl ist die zeitlich befristete Aufnahme von Flüchtlingen ohne legalen Aufenthaltsstatus, denen bei Abschiebung in ihr Herkunftsland Folter und Tod drohen oder für die mit einer Abschiebung nicht hinnehmbare soziale, inhumane Härten verbunden sind.
Während des Kirchenasyls werden alle in Betracht zu ziehenden rechtlichen, sozialen und humanitären Gesichtspunkte geprüft. In den meisten Fällen gelingt es nachzuweisen, dass Entscheidungen von den Behörden überprüfungsbedürftig sind und ein neues Asylverfahren erfolgsversprechend ist.
Allein in Bayern gibt es derzeit in katholischen und evangelischen Kirchengemeinden, Klöstern, kirchlichen Einrichtungen rund 220 Kirchenasyle, Tendenz steigend. Darunter sind etliche sogenannte Dublin-Fälle, also solche, bei denen Flüchtlinge gemäß der EU-Zuständigkeitsregeln nach Bulgarien, Ungarn oder Italien zurückgeschoben werden sollen. Somit in Länder, in denen Betroffenen Gefängnis, Elend oder Obdachlosigkeit erwarten.
Dass scheint den Freistaat Bayern nicht zu kümmern. Denn landauf landab erhalten Pfarrer und Pfarrerinnen einschlägige Post von der Polizei. So auch geschehen in Stadt und Landkreis Bamberg, Erlangen, Forchheim, Fürth, Haßfurt, Herzogenaurach, Möhrendorf, Nürnberg und, und, und.
Die drei bayerischen Generalstaatsanwälte - also die von Bamberg, München und Nürnberg - haben sich auf ein einheitliches Vorgehen gegen "Beihilfe zum illegalen Aufenthalt" verständigt. Dieses dreistufige Vorgehen beinhaltet beim ersten Fall von Kirchenasyl die polizeiliche Vernehmung des Pfarrers. Wegen geringer Schuld nach Paragraf 153 Strafprozessordnung wird in der Regel das Verfahren eingestellt. Bei einem zweiten Fall von Kirchenasyl endet das Verfahren gegen den Pfarrer nur noch gegen Geldbuße nach Paragraf 153a Strafprozessordnung. Bei einem dritten Fall bekommt der Pfarrer einen Strafbefehl.
Rückendeckung durchs Bistum
Pfarrer Martin Emge sieht diesem möglichen Procedere gelassen entgegen. Zumal der besonnene Priester im Ernstfall Rückendeckung durch das Erzbistum Bamberg bekäme. So wie es beispielsweise sein Mitbruder Matthias Wünsche, bis 2013 Pfarrer in Bamberg-Gaustadt und jetzt Pfarrer von Herz-Jesu in Erlangen, erlebt. Im Laufe der letzten drei Jahre hat er schon vierzehn Personen ins Kirchenasyl aufgenommen. Sein aktueller Schützling, ein Äthiopier, brachte nun für die Polizei das Fass zum Überlaufen: Sie eröffnete gegen Pfarrer Wünsche das Ermittlungsverfahren "wegen Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz".Der oberste Jurist des Erzbistums Bamberg, Rechtsdirektor i.K. Johannes Siedler, legte in einem Brief an die Polizeiinspektion Erlangen-Stadt (der Brief liegt unserer Zeitung vor), detailliert klar, warum das Verfahren einzustellen ist.
Siedler pocht unter anderem auf die am 24. Februar 2015 zwischen den Kirchenvertretern und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geschlossene Vereinbarung zu den Kirchenasylfällen, die nach wie vor gelte. Kern der Vereinbarung sei, dass gemeldete Kirchenasyle, die auf der Grundlage der Vereinbarung durchgeführt werden, nicht als Untertauchen angesehen und nicht als solches im Dublinverfahren weitergemeldet werden könnten. Das von Pfarrer Wünsche und seinen Gemeindegremien gewährte Kirchenasyl sei "offen und öffentlich" und den zuständigen Behörden bekannt gegeben worden, unter welcher Anschrift die betroffene Person sich aufhalte.
"Von einem Untertauchen kann wirklich keine Rede sein", erklärt Pfarrer Wünsche. Ihm ist aber klar, dass er möglicherweise als "Wiederholungstäter überführt und die bisherigen Kirchenasyle wieder ausgegraben werden könnten". Dabei "nehmen wir Flüchtlinge nicht leichtfertig auf, es zählen ausschließlich humanitäre Gründe", so Wünsche.
Aus dem Bayerischen Justizministerium kommen dagegen abwiegelnde Töne: "Eine Vorgabe aus dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz, derartige Verfahren einzuleiten, gibt es nicht. Es gibt keine Verschärfung der Verfolgungspraxis bei den bayerischen Staatsanwaltschaften", sagt Thomas Pfeiffer, Pressesprecher dieses Ministeriums, auf Anfrage unserer Zeitung.
Regelmäßige Anhörungen
Ein "eventueller Eindruck" zunehmender Strafverfolgung dürfte deshalb zum einen mit dem vermehrten Zuzug von Flüchtlingen nach Bayern und der damit einhergehenden Zunahme von Kirchenasyl zusammenhängen, so Pfeiffer. Zum anderen könnte der Eindruck auf die nunmehr regelmäßig erfolgenden Anhörungen zurückzuführen seien, die es mit sich brächten, dass Verfahren heute in breiterem Umfang bekannt würden. Denn seit jeher könne die Gewährung von Kirchenasyl den Anfangsverdacht der Anstiftung oder Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt gemäß Strafgesetzbuch (§ 95 Abs.1 Nr. 2 AufenthG, §§ 26, 27 StGB) begründen. Justiz-Pressesprecher Pfeiffer: "Die Pflicht der Staatsanwaltschaften, auch in Fällen sogenannten Kirchenasyls einzuschreiten, ergibt sich daher seit jeher aus dem Gesetz." So könne eine Abweichung von der bisherigen Linie "keine Rede sein". Auch in der Vergangenheit seien in Kirchenasylfällen bereits Verfahren durchgeführt worden.Der Unterschied zu den vorangegangenen Jahren bestehe lediglich darin, so Pfeiffer, dass die Staatsanwaltschaften den Pfarrern vor Abschluss des Ermittlungsverfahrens Gelegenheit geben, sich zu dem Vorwurf zu äußern, "wenn das Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt wird". Dies sei früher regional uneinheitlich gehandhabt worden, heute aus Gründen der Gleichbehandlung der Pfarrer und zur Aufklärung ihrer Motivation geschehe dies einheitlich.
Vereinbarung "strikter beachten"
Pfeiffer verweist auf das Gespräch "seines" Ministers Winfried Bausback mit dem evangelischen-lutherischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm im April dieses Jahres. Dabei hätten die beiden gemeinsam erörtert, dass die Kirchen künftig ihre Vereinbarung mit dem BAMF "noch strikter beachten sollten". Im Übrigen befasse sich diese Vereinbarung nicht mit strafrechtlichen Aspekten des unerlaubten Aufenthalts und einer eventuellen Beihilfe hierzu, sondern lediglich mit den ausländerrechtlichen Aspekten.Das Justizministerium hat sogar einen Tipp dafür parat, wie in Fällen von Kirchenasyl Strafbarkeit vermieden werden könnte: "Die Kirchen können noch vor dem Abschiebungstermin beim BAMF erfolgreich eine Aufhebung des Termins erwirken", führt Pfeiffer an. Für den betroffenen Erlanger Pfarrer Wünsche klingt dieser Rat absurd. Denn "der Termin für eine Abschiebung steht ja nicht fest und ist nicht bekannt ...".