Bamberger Gericht muss klären: War es versuchter Totschlag?
Autor: Jutta Behr-Groh
Bamberg, Freitag, 16. Oktober 2015
Ein 35-jähriger Mann steht in Bamberg vor dem Schwurgericht. Er hat im Mai 2015 in der Nähe des Gabelmanns zwei fremde Männer mit seinem Messer verletzt. Ihm werden versuchter Totschlag und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.
Ein Mann läuft nachts laut pöbelnd durch die Fußgängerzone, in der Hand ein Messer. Auf seinem Weg von Bamberg-Süd zum Grünen Markt schreibt er seiner Freundin mehrmals Handy-Nachrichten und kündigt darin an, er müsse "heute noch Blut lecken" und "heute leg ich noch einen um".
Tatsächlich verletzt er später zwei Passanten mit seinem Klappmesser ganz erheblich. Aber: Wollte er wirklich jemanden töten?
Staatsanwalt Stephan Schäl meint ja und beschuldigt den Bamberger Gerhard F. (Name von der Redaktion geändert) des versuchten Totschlags.
Die Wahrheit herauszufinden ist jetzt Aufgabe der Zweiten Strafkammer des Landgerichts als Schwurgericht. Kein einfaches Unterfangen, wie sich schon zu Prozessbeginn herausstellte. Denn alle Beteiligten waren in der Tatnacht mehr oder weniger stark betrunken.
Angeblich nur "Geschmarre"
In der Anklageschrift hört sich alles schlüssig an. Der Angeklagte (35) ist auch kein unbeschriebenes Blatt; rund acht Jahre saß er wegen verschiedener Straftaten schon im Gefängnis. Gerhard F. streitet nicht ab, dass er am 23. Mai nach 23 Uhr ziemlich betrunken und laut schimpfend in der Stadt unterwegs war, mit seinem Klappmesser. Durch seinen Verteidiger Thomas Gärtner lässt er zum Prozessauftakt aber erklären, dass er mit seinem "Whatsapp-Geschmarre" nur seine Freundin habe beeindrucken wollen. Zu keinem Zeitpunkt habe er die Absicht gehabt, einen Menschen zu verletzen oder gar zu töten.
In der Nähe des Gabelmanns kommt es dann zu einer verhängnisvollen Begegnung zwischen F. und einer Gruppe junger Leute, die vom Weinfest auf dem Maxplatz Richtung Sandstraße unterwegs sind. Zwei von ihnen erleben das aggressive Auftreten des Mannes als so gefährlich, dass sie ohne langes Überleben handeln.
Im Zeugenstand schildern die beiden 24-Jährigen ihr Vorgehen. Demnach hat der eine die pöbelnde Person umgerempelt und zu Boden gedrückt, der andere dem Mann in dieser Situation das Messer aus der Hand getreten.
Alle drei verletzt
Wenig später, als sie schon wieder bei ihrer Gruppe stehen, machen andere die beiden 24-Jährigen darauf aufmerksam, dass sie stark bluten. Im Klinikum stellen die Ärzte bei dem einen eine stark blutende Stichwunde am Oberarm fest, die notoperiert werden muss. Der andere trägt eine Wadenverletzung davon, die mit zwei Stichen genäht wird. Auch der Angeklagte hat am Ende eine Platzwunde am Kopf und blutende Lippe.Zwei für das Gericht ganz wichtige Fragen können die ersten Zeugen nicht beantworten: Wie und in welchem Moment des nur kurzen Aufeinandertreffens kam es zu den Stichverletzungen? Und: Hatte der Angeklagte das Messer aufgeklappt in der Hand, als er der Gruppe begegnete?
Der eine Zeuge meint, es offen gesehen zu haben, der andere glaubt, es sei wohl zugeklappt gewesen. Die Einstiche in Oberarm beziehungsweise Wade haben beide nicht gespürt. Vielleicht lag es am Adrenalinschock, versucht sich einer der Zeugen das zu erklären. Die Situation habe sehr gefährlich gewirkt.
Beide betonen auf Nachfrage von Vorsitzenden Richter Manfred Schmidt wiederholt, sie hätten sich von dem Unbekannten nicht persönlich bedroht gefühlt. "Nennen Sie es Zivilcourage oder Wahnsinn. Ich habe das einfach aus dem Bauch heraus entschieden." Mit diesen Worten begründete einer der Zeugen, ein Brauer aus Nordrhein-Westfalen, warum er dennoch gehandelt hat: "Man läuft nicht mit einem offenen Messer durch die Bamberger Altstadt, wenn man keinen Blödsinn vorhat".
Drogen, Alkohol, Straftaten
Das Leben des Angeklagten ist geprägt von frühen Heimaufenthalten, einem tiefgehenden Hass auf seine Mutter - "sie hat mich mit neun ins Heim abgeschoben, nur um dem Vater eins 'reinzudrücken" -, einem Wechsel von Jobs und Inhaftierungen. Wenn er keine Drogen nimmt, trinkt er Alkohol. Eine Blutentnahme in der Tatnacht ergab bei ihm - zurück gerechnet - 1,8 Promille. Er will in den Stunden davor etliche Gläser "Hugo" und etwa eine Flasche Wodka konsumiert haben.
Seine Freundin, die sich als Zeugin betont genervt von den Fragen der Prozessbeteiligten zeigte, wusste nichts von Wodka. Sie sagte aber, F. sei "auf 180" gewesen, als er in die Stadt geradelt sei. Der Grund: Er habe mal wieder "Stress" mit ihrer Mutter gehabt. Die ihr angekündigten Taten des Mannes per Handy-Nachricht nahm die 35-Jährige nicht ernst: "Ich bin davon ausgegangen, dass es nur so ein Gewaaf war."
Der Prozess wird fortgesetzt.