Bamberger Chefarzt hält sich für Opfer eines Justizirrtums

3 Min
Gibt es eine medizinische Erklärung für die Missbrauchs-Vorwürfe? Erstmals hat sich der beschuldigte Bamberger Klinikarzt zu den Anschuldigungen geäußert. Foto: Matthias Hoch
Gibt es eine medizinische Erklärung für die Missbrauchs-Vorwürfe? Erstmals hat sich der beschuldigte Bamberger Klinikarzt zu den Anschuldigungen geäußert. Foto: Matthias Hoch
Was geschah seit 2008 im Bamberger Klinikum? Foto: Ronald Rinklef
Was geschah seit 2008 im Bamberger Klinikum? Foto: Ronald Rinklef
 

Der des sexuellen Missbrauchs beschuldigte Bamberger Chefarzt sieht sich offenbar als Opfer eines Justizirrtums und versucht, sein Verhalten zu rechtfertigen. Er habe zur wissenschaftlichen Aufklärung beitragen wollen, schreibt er früheren Kollegen. Der Anwalt von vier Opfern fürchtet weiteren Schaden für die betroffenen Frauen.

Ein einfacher Brief. Und möglicherweise auch viel mehr. Es ist eine mit der Hand geschriebene Botschaft aus dem Gefängnis in die Welt da draußen. Mit ihr bricht der Beschuldigte des Bamberger Missbrauchsskandals sein Schweigen.

Kein Schuldeingeständnis. Keine Reue. Wie der Ärztliche Direktor des Klinikums Bamberg, Georg Pistorius, bestätigte, sieht sich der 48-jährige Gefäßspezialist offenbar als Opfer eines Justizirrtums. Der des vielfachen Missbrauchs bezichtigte Mann hofft darauf, dass sich die mit einer Haftstrafe von bis zu 15 Jahren sanktionierten Vorwürfe in Kürze in Luft auflösen werden. Davon geht auch sein Rechtsanwalt, Dieter Widmann, aus. "Es ist alles erklärbar."

Erkenntnisse über Thrombose

In gut informierten Kreisen in Bamberg war schon früher von einem Wechsel der "Sichtweise" die Rede.
Eine Perspektive, die ganz im Gegensatz zu den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft steht. Offen wurde und wird darüber spekuliert, dass der Mann, der seit 2008 Patientinnen und Mitarbeiterinnen betäubt und sich an ihnen vergangen haben soll, nicht aus sexuellen Motiven gehandelt habe, sondern, weil er Erkenntnisse über Krankheiten wie die Beckenvenenthrombose sammeln wollte.

Ist die Rolle des durchgeknallten Wissenschaftlers, die dem Verdächtigten zugeschrieben worden war, möglicherweise mehr als nur Spekulation in einem erschütternden Krankenhausskandal? Und geht sie möglicherweise auf Aussagen zurück, die der Bamberger Arzt selbst streut?

Darauf deutet der Umstand hin, dass die Bamberger Klinikleitung Kenntnis von mindestens drei Briefen hat, in denen sich der seit 20. August inhaftierte Chefarzt gegenüber früheren Kollegen zu den Vorwürfen äußert und versucht, sein Verhalten zu rechtfertigen. Der Tenor dieser Schreiben, wie ihn Ärztlicher Direktor Georg Pistorius zusammenfasst: Der Beschuldigte mache deutlich, dass er mit den Untersuchungen nichts Schlechtes im Schilde geführt habe. Es sei ihm um die Bekämpfung der Beckenvenenthrombose gegangen. Der Arzt hoffe, dass sich die Missbrauchs-Vorwürfe bald aufklären lassen.

Pistorius mag sich zu Details der möglichen sexuellen Verfehlungen seines früheren Chefarztkollegen nicht äußern. Auch er kennt die Fotos von den Opfern nicht, die den Verdacht des schweren Missbrauchs an immerhin 15 Frauen nahe legen. Nichtsdestotrotz reichen für ihn die Erklärungen des Beschuldigten nicht aus, um wesentliche Vorwürfe zu entkräften.

So habe der Gefäßchirurg gegen die elementare Regel verstoßen, das Einverständnis bei den Patientinnen einzuholen. "In seinem Schreiben geht er mit keinem Wort darauf ein, dass die Frauen ohne ihr Wissen betäubt wurden. In seiner Position hätte er wissen müssen, dass es den Straftatbestand der Körperverletzung erfüllt, wenn ein solcher Eingriff ohne Einwilligung und ohne Notsituation durchgeführt wird."

Chefarzt am Pranger?

Doch es gibt auch andere Meinungen: Der Bamberger Rechtsanwalt Dieter Widmann beurteilt den bisherigen Verlauf des Ermittlungsverfahrens als wenig glücklich. Der beschuldigte Mediziner, der seit kurzem sein Mandant ist, sei voreilig an den Pranger gestellt worden. Widmann geht nach der Durchsicht der Akten davon aus, dass sich die Vorwürfe gegen den Arzt wegen sexuellen Missbrauchs bald entkräften lassen. Der Staatsanwaltschaft hält er eine "Fehlinterpretation" der Fakten vor. "Meines Erachtens kann alles, was mein Mandant gemacht hat, medizinisch begründet werden."

Was darf ein Arzt, was nicht? Existieren tatsächlich Hinweise, die geeignet sind, die Vorwürfe gegen den Mediziner abzuschwächen oder in ein neues Licht zu tauchen? Fragen wie diese lassen die Anklagevertreter derzeit von einem Sachverständigen beantworten. Gleichwohl rückt Oberstaatsanwalt Bardo Backert keinen Millimeter von den Beschuldigungen ab. Die Annahme, die Handlungen des Tatverdächtigen seien wissenschaftlich zu begründen, ist aus seiner Sicht ausgeschlossen: "Die Gesamtermittlungen zeigen ein anderes Bild."

Es geht beim Bamberger Klinikskandal um sexuellen Missbrauch, aber auch um andere Verbrechen: Von einem "Spaziergang durch das Strafgesetzbuch" spricht Martin Reymann-Brauer. Für den Rechtsanwalt aus Erlangen, der vier der betroffenen Frauen als Nebenkläger vertritt, erfüllen die vermeintlichen Untersuchungen auch den Tatbestand der schweren Körperverletzung, weil das Betäubungsmittel Dormicum ohne Einwilligung verabreicht worden sei.

Gebrochenes Vertrauensverhältnis

Was mindestens ebenso schwer wiegt: Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patientinnen, zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiterinnen sowie Auszubildenden sei gebrochen worden.

Nach den Gesprächen, die er geführt hat, weiß Reymann-Brauer, was eine solche Tat im Seelenleben der Opfer bewirkt. Den Frauen, die bis August noch nicht wussten, was geschehen war, habe es förmlich den Boden unter den Füßen weggerissen, als sie die Bilder sahen. "Das ist etwas Fürchterliches. Die Frauen fallen in ein tiefes Loch." Vor einer Verteidigungsstrategie, die auf billige Ausflüchte hinausläuft, kann er deshalb nur warnen. Sie würde für die Opfer das Erlebte doppelt unerträglich machen. "Dann müssen sie noch in den Zeugenstand."