Bamberg: Politikexperte zu Koalitionen - Deutschland bekommt verspätet europäische Verhältnisse
Autor: Ralf Welz
Bamberg, Dienstag, 28. Sept. 2021
Wer regiert Deutschland künftig? Nach der Bundestagswahl zeichnet sich eine schwierige Regierungsbildung ab. Der Bamberger Politik-Professor Ulrich Sieberer erklärt, warum - obwohl solche Konstellationen doch anderswo in Europa längst Normalität sind.
Die Bundestagswahl 2021 ist beendet. Das vorläufige Endergebnis steht fest. Völlig ungewiss ist dagegen, wer Deutschland in der kommenden Legislaturperiode regieren wird. Der Grund: Es sind verschiedene Parteien-Konstellationen möglich. Für unsere Leserinnen und Leser scheint die Sache derweil klar - laut unserer Umfrage haben sie einen eindeutigen Favoriten.
inFranken.de hat den Politikwissenschaftler Prof. Ulrich Sieberer von der Universität Bamberg gefragt, was eine Regierungsbildung so schwierig macht. "Rechnerisch möglich sind im Prinzip drei Koalitionen. Das ist zum einen Jamaika, zum anderen die Ampel.“ Darüber hinaus könnte es theoretisch weiterhin eine Große Koalition aus Union und SPD geben – wenngleich künftig "unter SPD-Führung".
Bamberger Politik-Experte hält Große Koalition für unwahrscheinlich
Ulrich Sieberer betont zugleich: "Politisch, glaube ich, ist diese Große Koalition eigentlich ausgeschlossen.“ Sowohl die Union als auch die SPD hätten beide sehr deutlich gemacht, dass sie eine entsprechende Fortsetzung nicht wollten. "Nachdem, wie die letzten vier Jahre in dieser Koalition verlaufen sind, ist das wohl auch allseitiger Konsens, dass man so eine Große Koalition nicht mehr haben möchte.“
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In der Konsequenz bleiben Sieberer zufolge im Grunde nur ein Ampel- oder Jamaika-Regierung. "Das wird in den nächsten Wochen wirklich sehr spannend zu sehen, wie sich die beiden – in Anführungszeichen – kleinen Parteien, Grüne und FDP, verhalten.“ Beide Parteien könnten sich letzten Endes aussuchen, wen sie zum neuen Bundeskanzler machen.
Obwohl die SPD bei der Wahl die meisten Wählerstimmen erhalten hat, sei eine unionsgeführte Bundesregierung grundsätzlich möglich. "Denkbar ist das. Es gibt keine Regel in Deutschland, wonach die größte Partei den Kanzler stellen müsste.“ In der Vergangenheit habe es bereits Fälle gegeben, in denen die zweitgrößte Partei den Kanzler gestellt habe. "Das war damals immer die SPD. Insofern ist es nicht ausgeschlossen, dass es diesmal anders herum möglich wäre“, hält der Bamberger Professor fest.
Wahlsieger oder Wahlverlierer: Für wen entscheiden sich Grüne und FDP?
Laut Sieberer komme es nun darauf an, wie sich die Dynamik in den nächsten Tagen im Zuge möglicher Sondierungsgespräche entwickelt. "Die Frage wird sein: Können es Grüne und FDP ihren Wählern verkaufen, mit dem eigentlich deutlichen Wahlverlierer zu koalieren – anstelle des deutlichen Wahlgewinners?“
Unter diesen Voraussetzungen hält es der Politologe für denkbar, dass für die jeweiligen Parteiführungen "ein gewisser Druck“ entstehe, mit der stärksten Kraft zu regieren – "und nicht mit einer Partei, die gerade acht Prozentpunkte verloren hat“.