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Nazis holten 17-jährige Ruth zuhause ab - ihr grausames Schicksal teilten viele


Autor: Elisabeth Offial, Ralf Welz

Bamberg, Sonntag, 12. Dezember 2021

"Gegen das Vergessen" ist das Motto der Willy-Aron-Gesellschaft Bamberg, die für die Stolpersteine in Bamberg verantwortlich ist. Um die von den Nazis gejagten Menschen sichtbarer zu machen, gibt es jetzt eine interaktive Karte mit Steckbriefen, darunter auch den der damals 17-jährigen Ruth.
Ruth war erst 17 Jahre alt, als die Nazis sie aus ihrem Zuhause in der Bamberger Altstadt abholten und schließlich grausam ermordeten.


Die Stolpersteine, die mittlerweile in vielen Städten wie auch Bamberg zu finden sind, dürften den meisten Menschen bekannt sein. Sie tragen einen Namen, ein Geburtsdatum sowie den Todestag der Person und erinnern an Opfer der NS-Zeit. Der in Bamberg dafür verantwortliche Verein, die Willy-Aron-Gesellschaft, hat nun unterstützend dazu eine interaktive Karte erstellt, über die man mehr über das Leben der jeweiligen Personen erfahren kann.

Die Idee dazu gab es schon länger, erklärt Mechthildis Bocksch, eine der Verantwortlichen aus dem Verein, inFranken.de. Ein ähnliches Projekt listet online Bamberger Denkmäler auf. "Über Corona hatten wir dann viel Zeit, so ein Projekt ist ein riesiger Aufwand, und da haben wir gesagt, jetzt fangen wir es mal an." Für jeden einzelnen der 151 in Bamberg zu findenden Stolpersteine gibt es nun seit August 2021 einen Lebenslauf online. "Hinter jedem Stein steckt ein Name und hinter jedem Namen eine Lebensgeschichte. Die sind so reich und bunt. Letztendlich sieht man dabei, dass das ganz normale Menschen waren und nicht die Monster, die die Nazis gerne gehabt hätten", so Bocksch.

Gebürtige Bambergerin nach Auschwitz deportiert - dort wird Ruth (20) ermordet 

So erinnert am Zinkenwörth etwa ein Gedenkstein an die 1923 in Bamberg geborene Ruth Weil. Ihr Vater war ab 1916 Direktor der Bamberger Schuhfabrik "Gebr. Neuburger AG", die seit 1911 ihren Sitz in der Hartmannstraße 7 hatte.

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Ruth Weil lebte mit ihren Eltern und ihrer Halbschwester zunächst in der Amadeus-Hoffmann-Straße 2, später in der Schützenstraße 15 und ab 1937 schließlich am Zinkenwörth 35. Am 15. Dezember 1937 floh ihre Halbschwester von Bamberg ins US-amerikanische Exil. Die Schuhfabrik, in der ihr Vater eine Führungsposition innegehabt hatte, wurde 1938 zwangsverkauft.

Die damals 17-jährige Ruth musste ab 15. Oktober 1940 im jüdischen Forsteinsatzlager 37 bei Kersdorf in Brandenburg, einer Außenstelle des KZ Sachsenhausen, Zwangsarbeit leisten. Von dort aus wurde sie zusammen mit weiteren 687 jüdischen Menschen in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet. Ruth Weil wurde gerade einmal 20 Jahre alt.

"Fahnenflucht“: Anton (21) aus Gaustadt wird zum Tode verurteilt - Erschießung in Geisfelder Straße

In der Michael-Rümmer-Straße weist ein weiterer Stolperstein auf ein anderes trauriges Schicksal hin: Anton Langhammer wurde 1924 in Gaustadt geboren, das seiner Zeit noch nicht zu Bamberg zählte. Anton wohnte in der Hans-Schemm-Straße 6. Im Zweiten Weltkrieg wurde der gelernte Maschinenschlosser Artillerist bei der Marine. In Roßstadt bei Eltmann am Nordtor des Steigerwaldes, gut 13 Kilometer von Bamberg entfernt, heiratete er am 17. April 1943 die dort wohnhafte Margareta Hümmer. Das Ehepaar bekam ein Kind.

Im März 1945 desertierte der Obergefreite Anton Langhammer und schlug sich nach Roßstadt zu seiner Frau durch. Mit ihrer Hilfe konnte er sich in einem alten Bierkeller im Wald verstecken und wurde von ihr versorgt. Als sie wenige Tage vor dem erhofften Eintreffen der Amerikaner schwer erkrankte, wollte Anton in Stettfeld (heute: Kreis Haßberge) Lebensmittel besorgen.

Als er nach Roßstadt zurückkam und nicht mehr in das Versteck zurückging, wurde er entdeckt, festgenommen und in das Amtsgerichtsgefängnis in Eltmann gebracht. Am 7. April 1945 wurde Anton Langhammer vom Bamberger Standgericht wegen "Fahnenflucht" zum Tode verurteilt und am Schießstand in der Geisfelder Straße erschossen. Anton Langhammer war 21 Jahre alt.

Bamberger Seniorin muss in "Judenwohnung" umziehen - Deportation nach Theresienstadt

In der Bamberger Eckbertstraße erinnert heute ein Stolperstein an Elsbeth Neisser. Diese wurde 1867 in Schlesien geboren.1891 heiratete sie den Justizrat Gustav Neisser aus Breslau. Die Eheleute traten beide vom jüdischen zum evangelischen Glauben über. Das Paar bekam eine Tochter und einen Sohn. Elsbeths Ehemann starb mit nur 56 Jahren.

1934 zog Elsbeth Neisser von Breslau nach Bamberg. Dort lebte sie in der Aillywaldstraße (heute: Adam-Senger-Straße) 24. Im selben Jahr emigrierte ihre Tochter nach London, ihr Sohn  über London in die USA. 1940 musste Elsbeth Neisser in die Lagardestraße (heute: Eckbertstraße) in eine sogenannte "Judenwohnung" umziehen.

1942 wurde sie aus Bamberg nach Theresienstadt deportiert. Dort kam sie am 19. September 1942 ums Leben - im Alter von 74 Jahren. 

"Niemand kann mehr leugnen, dass es geschehen ist" - Stolpersteine gegen das Vergessen

Die Hauptaufgabe der Bamberger Stolperstein-Aktion sieht Mechthildis Bocksch von der Willy-Aron-Gesellschaft darin, gegen die Vernichtung der Erinnerung zu arbeiten, die die Nazis erreichen wollten. "Einmal hat jemand gesagt: 'Das ist so schön. Niemand kann mehr leugnen, dass es geschehen ist", berichtet sie. 

Für jeden einzelnen der Bamberger Stolpersteine gibt es Pflegepatinnen und -paten. "Damit geben wir ihnen Würde. Damals wurden sie menschenunwürdig behandelt, jetzt gut gepflegt", erklärt Bocksch. Genauso wichtig wie solche Patenschaften seien dabei aber auch Spenden. Der gemeinnützige Verein sei auf diese angewiesen, um beispielsweise mehr Projekte wie die interaktive Stolperstein-Karte umsetzen zu können.