Bamberg liest - Frivoles auf der "Christel"
Autor: Rudolf Görtler
Bamberg, Dienstag, 27. Mai 2014
"Bamberg liest" auch auf dem Schiff und diskutiert in der Villa Concordia. Es ging um deutsche Italien-Sehnsucht und die "Heimat", einen vielfältig missbrauchten Begriff. Im Video finden Sie Passagen aus Boccaccios Meisterwerk.
"Auch ich in Arkadien" stellte Goethe seiner "Italienischen Reise" voran, und wenn auch Arkadien in Griechenland liegt, gilt das Motto doch als Ausdruck deutscher Mittelmeer-Sehnsucht. Arkadisch war das Wetter am Montagnachmittag nicht, als ein Vorlese-Quartett immerhin einen klassischen italienischen Text vortrug, und das auf einem Schiff, der "Christel", vor der Kulisse von Klein Venedig.
Ausgedacht hatten sich das Martin Beyer und sein Team von "Bamberg liest". Das Literaturfestival hatte sich dieses Jahr "Italien. Sehnsucht" auf die Themen-Fahne geschrieben und mit einer Ausstellung deutscher wie italienischer Künstler in Nürnberg, einer Buch-Vorstellung "Adorno in Neapel" und einem Kinder-Workshopschon einige Veranstaltungen hinter sich gebracht. Jetzt also eine Lesung aus dem "Decamerone" des Boccaccio (1313-1375), jener berühmten Novellensammlung aus der Frührenaissance. Was das mit Bamberg zu tun hat? In Boccaccios Buch spielt die Pest, die 1348 in Florenz wütete, eine wichtige Rolle, und von der Seuche, die sich über Handelswege verbreitete, blieb auch die Domstadt nicht verschont. Das erklärte eine Referentin des museumspädagogischen Vereins "Agil", mit dem zusammen "Bamberg liest" die literarische Bootsfahrt organisiert hatte. So lasen also wegen des Regens unter Deck die Leiterin des Zentrums Welterbe Bamberg, Patrizia Alberth, Martin Beyer, Michael Ehlers und die eigens angereiste Tanja Kinkel, Meister Boccaccios wie immer im "Decamerone" frivole Geschichte vom lendenlahmen Richter Ricciardo, dem der virile Seeräuber Paganino die Gattin ausspannt.
Es schlossen sich ein Auftritt einer allegorischen Pest-Figur vor dem und Musik im Schloss Geyerswörth an, wobei man ein solches für Touristen aufbereitetes Fake-Mittelalter schon hinterfragen darf. Abends dann abermals Sehnsucht: In der Villa Concordia diskutierten die Autoren Kerstin Specht und Thomas Kraft sowie die Journalistin Meike Winnemuth unter dem Motto "Heim kommen. Fern sehnen" über den "schwierigen Begriff" (Moderator Martin Beyer) Heimat, der in Deutschland mannigfaltig missbraucht worden ist. Große Differenzen taten sich nicht auf. Meike Winnemuth, die bei einem Fernsehquiz eine halbe Million Euro gewonnen hatte und daraufhin, dirigiert von einer Online-Gemeinde, zwölf Städte auf der ganzen Welt besucht hatte, sprach von einer Art "Urvertrauen" auch in brenzligen Situationen und dass sie auch im Mikrokosmos ihrer Heimatstadt Hamburg reisen könne. Specht, zurzeit Stipendiatin des Künstlerhauses Villa Concordia, hat nach Wanderjahren in ihrer Frankenwald-Heimat wieder ein Zuhause gefunden, auch der Fürsorge für ihre Eltern geschuldet, und für Kraft, Verfasser eines autobiografisch getönten Bamberg-Romans, kann Heimat überall sein: "wo Familie, Freunde und ein schönes Zimmer sind".
"Heimat" hielt der Foto-Künstler Matthias Ley fest, der, aus Wunsiedel stammend, in Japan und Korea lebt und auf großformatigen Fotografien Jean-Paul-Landschaften rund um seine Heimatstadt festgehalten hat, ergänzt von Jean-Paul-Zitaten, die Künstlerhaus-Direktorin Nora Gomringer ausgesucht hat. Die Ausstellung ist in der Villa Concordia bis 6. Juli Mo.-Do. 8-12 und 14-16 Uhr, Fr. 8-13 Uhr, Sa./So. und feiertags 11-16 Uhr zu sehen. Eintritt frei.
Beim Kontakt-Festival am Samstag, 31. Mai, 16 Uhr, Gelände der Maisel-Bräu, Moosstraße, wird junge Literatur aus Hildesheim vorgestellt.