Balkanzentrum Bamberg: Sind die Kinder die Verlierer?
Autor: Michael Wehner
Bamberg, Donnerstag, 28. Januar 2016
Im Stadtrat machen SPD und Grüne dem Freistaat schwere Vorwürfe: In der Abschiebeeinrichtung würden die Menschenrechte mit Füßen getreten. Grund: Die Beschulung der Flüchtlingskinder läuft auf Sparflamme. Die Bamberger CSU und auch das Kultusministerium sehen das nicht so.
So deutliche Worte gegen das Balkanzentrum hat man im Bamberger Stadtrat noch nicht gehört. Die offiziell Ankunfts- und Rückführungseinrichtung (Are) genannte Unterkunft stand im Kreuzfeuer der Kritik von SPD-Fraktion und den Grünen. Nur die CSU hielt sich zurück.
Anlass für die Standpauke, mit der Klaus Stieringer (SPD) den Schlagabtausch eröffnete, ist die vergleichsweise magere Beschulung, die die Regierung den Kindern der rund 1150 Flüchtlinge angedeihen lässt. 235 Kinder sind es, für die, wären es deutsche Kinder, selbstverständlich die Schulpflicht gelten würde.
Doch in der Are herrschen andere Bedingungen. Statt eine Schule im zugehörigen Schulsprengel in Bamberg besuchen zu können, erhalten derzeit 95 Kinder in fünf Gruppen etwa sechs bis acht Stunden Unterricht pro Woche - auf freiwilliger Basis. Nur drei Lehrer bestreiten den Unterricht in den Fächern Mathematik und Naturwissenschaften, der in Teilen in englischer Sprache erfolgt.
Dass das ein Notangebot ist, räumte sogar Klemens Brosig von der Regierung von Oberfranken ein. Brosig ist für die Umsetzung der Vorgaben aus dem Kultusministerium zuständig, hat aber selbst wenig Einfluss auf die Rahmenbedingungen. Ein üppigeres Lehrprogramm scheitert nach seinen Worten nicht nur am Geld, sondern auch am Mangel an Lehrern und Räumen sowie versicherungsrechtlichen Fragen, wenn zum Beispiel Kinder in Schulen außerhalb der Einrichtung transportiert werden müssten. Das Urteil von Brosig: "Sechs bis acht Stunden sind immer noch besser als nichts. Das wäre nämlich die Alternative."
Auch das Bayerische Unterrichtsgesetz scheint hier an seine Grenzen zu stoßen. Zwar gilt nach einem viertel Jahr für Flüchtlingskinder Schulpflicht. Doch was ist mit Kindern, deren Familien jederzeit abgeschoben werden können und sollen? Zumal die Hoffnungen, mit denen das Abschiebezentrum gestartet worden war, sich nicht durchgängig erfüllt haben: Laut Brosig beträgt die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in der Are aktuell 36 Tage. Viele Bewohner leben sogar länger als 120 Tage an der Pödeldorfer Straße. Und wie soll man es bewerten, wenn Kinder mit ihren Eltern aus ganz Bayern in die Are kommen und dafür aus vorhandenen Klassenverbänden herausgerissen werden. Die Hilfsorganisation "Freund statt Fremd" hat diese Praxis angeprangert.
Die Kritik von SPD und Grünen stellt einen Kurswechsel im Rathaus dar. Im vergangenen Sommer war die Are von der großen Mehrheit im Stadtrat gebilligt worden, auch von der SPD. Umso ärgerlicher zeigte sich nun SPD-Sprecher Klaus Stieringer. Man müsse erleben, dass "elementare Menschenrechte mit Füßen getreten werden", sagte er in einer Brandrede. "Wir werden nicht zulassen, dass Menschen und insbesondere Kinder zur Abschreckung in Bamberg vernachlässigt werden." Stieringer beruft sich bei seiner Forderung nach einem ausreichenden Unterricht in deutscher Sprache auf den Artikel 28 der UN-Kinderrechtskonvention und das Grundgesetz. Auch für die Are-Kinder bestehe ein uneingeschränktes Recht auf Bildung.
Zustimmung kam vor allem von den Grünen. Ursula Sowa sprach von Pseudo-Unterricht. Auch ihr war anzumerken, dass das Ja des Stadtrats heute wohl nicht mehr so leicht zustandekommen würde wie vor einem dreiviertel Jahr: "Man hat dem Stadtrat weisgemacht, dass die Flüchtlinge in der Are nur wenige Tage verbringen müssten."
Der Forderung nach mehr Unterrichtsstunden pflichteten auch die anderen Fraktionen bei - nur die CSU hielt sich auffällig zurück. Warum? Kulturbürgermeister Christian Lange widersprach den Forderungen seiner Kollegen nicht, allerdings wandte er ein, dass es wenig Sinn macht, die große Asylpolitik im Bamberger Stadtrat zu diskutieren. "Dafür ist der bayerische Landtag der richtige Ort." Wenig Verständnis zeigte Peter Neller (CSU). Ganz abgesehen von der Zuständigkeitsfrage: "Warum sollte man Flüchtlingskindern Deutschkurse anbieten, die kein Bleiberecht haben?"
Von Menschenrechtsverletzung könne keine Rede sein, entgegnet Ludwig Unger, Pressesprecher im Kultusministerium. In der Are biete der Freistaat Kindern ohne Bleibeperspektive Unterricht an, der für sie unabhängig vom Verbleib in Deutschland wichtig sei. Klar scheint: Auch das Kultusministerium betritt in der Are Neuland. Unger: "Wir sind hier in einem Entwicklungsprozess."
