AWO-Chef meldet sich zu Wort und Fehlern
Autor: Anette Schreiber
Bischberg, Donnerstag, 05. April 2018
AWO-Kreisvorsitzender Reinhard Schmid ist derzeit nicht im Amt. Zu den Missbrauchsfällen musste er alles erst erfragen: Er sieht große Fehler.
Eigentlich hat der kommissarische AWO-Kreisvorsitzende Klaus Stieringer Order erteilt, von Kreisvorsitzendem Reinhard Schmid alle Aufregung fernzuhalten, nachdem dieser Anfang Januar einen schweren Herzinfarkt erlitten hatte. Mittlerweile hat Schmid jedoch von den sich überstürzenden Meldungen zu den Missbrauchsvorwürfen und -Anzeigen über inFranken.de erfahren und sich diese Woche an den Fränkischen Tag gewendet, um Ereignisse aus seiner Warte wieder zu geben.
Demnach hatte ihn ein Anwaltskollege und Bischberger Gemeinderat im September vergangenen Jahres nach dem Vorkommnis mit einem angehenden Erzieher gefragt. Der soll die Enkelin des Mannes sexuell belästigt, konkret auf den Mund geküsst haben. Der Großvater, so Schmid, hatte daraufhin den ihm bekannten Gemeinderat angesprochen und dieser wiederum Schmid.
Er selbst habe es dann, so Schmid weiter, AWO-Geschäftsführer Werner Dippold gesagt. Dann habe er über Dippolds Geschäftsführerkollegen Frank Eiben, der für Personalangelegenheiten zuständig ist, erfahren, dass dieser sowohl mit den Eltern des Mädchens als auch mit dem beschuldigten Erzieher Kontakt hatte. Der Erzieher sei daraufhin erst freigestellt, dann gekündigt worden.
Bei einem Verein mit über 1300 Mitarbeitern erfahre man zwangsläufig nicht alles und die Kreisvorstandschaft mische sich normalerweise nicht in das operative Geschäft ein, so Schmid.
Aber in so einem Fall und konkret bei Missbrauchsvorwürfen, so betont Schmid, verhalte es sich anders. "Bei so was muss man eine Info kriegen!" Nachdem auch arbeitsrechtliche Konsequenzen erfolgt waren und nach den Gesprächen mit Eiben, der laut Schmid damit richtig gehandelt hatte, war die Sache für ihn (Schmid) erledigt. Auch nachdem keine Informationen, etwa zu dem ihm nunmehr bekannten weiteren Fall kamen. Er frage und wundere sich nun, an wem das lag.
Beim ihm persönlich kam dann Anfang des Jahres der Herzinfarkt, so Schmid gegenüber unserer Zeitung. Erst letzte Woche und über den FT habe er dann von der weiteren Entwicklung erfahren.
Keinen Zweifel lässt Schmidt daran, dass seitens der AWO eine andere Informationspolitik hätte erfolgen müssen, die Initiative zum dem von den Eltern geforderten ersten Gespräch, von der AWO und nicht von den Eltern hätte ausgehen müssen und man die Brisanz hätte erkennen müssen. Damit spielt Schmid darauf an, dass Geschäftsführer Dippold wegen eines Staus am ersten Eltern-Gespräch nicht hatte teilnehmen können.
Fest steht für Schmid gleichfalls: "Hilfe vor allem für Eltern und deren Kinder hätte früher kommen müssen". Zur Aufarbeitung gehöre Selbstkritik und das Eingestehen von Fehlern. Er selbst, so merkt er zerknirscht an, sei nicht informiert worden und "musste alles erfragen". Nun hoffe er, dass alles Weitere für Kinder und Familien gut läuft und die Folgen nicht so sind, dass sich die Kinder nicht mehr erholen. Sein Stellvertreter Klaus Stieringer sei noch am Aufarbeiten und Recherchieren.
Er, so Schmid weiter, wolle - obwohl sein Ehrenamt derzeit krankheitsbedingt noch ruhe - bei der nächsten Kreisvorstandssitzung in etwa zwei Wochen auf jeden Fall dabei sein. Es interessiere ihn, was Stieringers Recherchen zutage bringen, was dabei rauskommt. Der habe es richtig gemacht, sich eingeklinkt, entschuldigt und für Hilfsangebote gesorgt. Das alles hätte freilich weitaus früher geschehen müssen, gibt Schmid unumwunden zu. Derzeit, so hat er erfahren, gehen bei der AWO anonyme Anrufe ein und Stieringer sei, obwohl er nichts dafür könne, der Prellbock.
Die Kooperation der AWO mit Dirk Bayer, Spezialist in Missbrauchs-Prävention, begrüßt Schmid ausdrücklich.Nach den Missbrauchsvorwürfen in der Bischberger AWO-Kita ist der Kreisverband der Arbeitnehmerwohlfahrt an Dirk Bayer herangetreten. Der ausgewiesene Präventions- und Theaterpädagoge und Coach soll Eltern und Kindern Hilfe sein.
Ein Kurzinterview mit Dirk Bayer zum Thema
Herr Bayer, Sie haben sicherlich von den Vorwürfen und den mutmaßlichen Fällen sexuellen Missbrauchs in der AWO-Kita in Bischberg gehört, was sagen Sie ganz spontan dazu?
Dirk Bayer: Letzte Woche hat mich deswegen Geschäftsführer Dippold angerufen. Das fand ich gut. Wenn mich jemand anruft, geht es ums Eingemachte. Die Leiterin der Einrichtung am Vogelberg ist übrigens eine der wenigen, die regelmäßig Prävention wollte und sich dafür auch ein Konzept hat erstellen lassen. Vielleicht hat gerade dies dazu beigetragen, dass die Kinder sich eher geäußert haben. Man muss wissen, dass ein Kind etwa sieben Anläufe bei Erwachsenen braucht, bis ihm mal einer glaubt. Deswegen ist die Sensibilisierung von Fachpersonal und Eltern so wichtig. Gute Prävention kann Missbrauch nicht verhindern, aber dafür sorgen, dass er nicht andauert.
Was raten Sie den Eltern von Kindern, die in AWO-Kitas in Bischberg und Hallstadt gehen. Sollen sie ihre Kinder gezielt fragen?
Das würde ich nicht machen. Gerade weil man ohne vorheriges Coaching zu Suggestivfragen in der Art neigt, 'hat der Betreffende dies und das gemacht'. Das wird bei einem möglichen Gerichtsverfahren jeder Verteidiger auseinandernehmen. Andererseits soll man den Kindern auch nicht ausweichen, wenn sie nun fragen. Wichtig ist es, dem Kind zu vermitteln, dass man es und das was es sagt ernst nimmt. Dass das Kind ok ist. Auch wenn das was passiert war, nicht ok ist. Es geht darum, dem Kind gegenüber sensibel zu sein
Zum Thema sexueller Missbrauch bei Kindern, gibt es da Zahlen?
Die gibt es in der Tat. Laut Statistik ist jedes vierte Mädchen und jeder sechste Junge, viele Fälle im Alter unter sieben Jahre und dann ab Beginn der Pubertät, Opfer sexueller Grenzüberschreitung geworden. Wenn ich also Veranstaltungen mache und durchzähle, ist das erschreckend. Missbrauch umfasst unter anderem anfassen, anschauen, Fotos machen, Pornos zeigen und so weiter.
Was konkret bietet die AWO über Sie nun an?
Es geht um Begleitung bei der Aufarbeitung des Geschehenen. Ich werde unter anderem Elternabende halten. Daneben geht es wohl um ein richtig großes Präventionskonzept für Leitung, Mitarbeiter sowie Präventionsveranstaltungen für Eltern und Kinder.
Sie beschäftigen sich schon lange mit dem Thema sexueller Missbrauch und Prävention, was ist Ihre Empfehlung?
Für Grundschulen gibt es seit dem Jahr 2001 das Präventionstheaterstück "Hau ab!", für Kindergärten seit 2006. Das Kiga-Stück wird begleitet von einem Nachbereitungs-Workshop und einem Elternabend, schon über 4000 Mal war es gebucht. Im Anschluss steigt meist die Zahl der Anrufe bei Beratungsstellen. Es ist gut, wenn über die Thematik geredet, bei Zweifeln nachgehakt wird.
Reden, wie nun, nach den aktuellen Vorfällen?
Ja. Dazu braucht es einen geschützten Raum und geschulte Fachleute mit entsprechender Ausbildung wie ich sie habe, oder Psychologen und Notrufmitarbeiter. Es ist wichtig, den Kindern nun eine Chance zur Verarbeitung zu geben, eben im Reden. Wenn alle gehört und wahrgenommen worden sind, dann reicht es aber auch. Die kindliche Psyche ist in der Lage, sich selbst ein Stück weit zu helfen. Dass Narben, Verletzungen bleiben, ist leider nicht auszuschließen.
Das Interview führte Anette Schreiber.