Auge in Auge mit dem Wolf
Autor: Günter Flegel
Bamberg, Donnerstag, 09. Mai 2019
Die Chance, in freier Wildbahn ein Raubtier zu treffen, ist in Franken größer geworden. Die Rückkehr der Wölfe polarisiert, obwohl die meisten Menschen über den Urahn der Hunde nur wenig wissen.
Am liebsten liegt er faul in einer stillen Ecke und schläft. Würde man das Fellknäuel so zu Gesicht bekommen, würde man auf den ersten Blick keinen Unterschied erkennen zwischen Canis lupus und Canis lupus familiaris. Wie kommt es, dass der Eine, der Haushund, als der beste Freund des Menschen gilt, der Andere aber, der Wolf, der Urahn aller Hunde, als Monster?
"Er steht da, schaut dir in die Augen und signalisiert dir, dass du ihm völlig gleichgültig bist. Weder Aggression noch Angst. Auf Augenhöhe." Vielleicht liegt in dieser Beschreibung der Geografin Verena Schröder von der Universität Eichstätt der Ur-Grund für das Misstrauen gegen den Ur-Hund. Er kommt zurück und kratzt an der menschlichen Überlegenheit.
Verena Schröder hat für ihre Doktorarbeit die Rückkehr der Wölfe in einem Bergmassiv in der Schweiz untersucht. Das Calanda-Gebirge ist mitnichten nur Wildnis. Landwirte nutzen große Flächen, die Stadt Chur liegt innerhalb des Aktionsradius' der Wölfe, die sich hier vor knapp zehn Jahren angesiedelt haben.
Geht das ohne Konflikte, ist der Wolf in der Schweiz über Nacht zum zweitbesten Freund des Menschen geworden? So einfach ist es nicht, sagt die Geografin. Sie hat für ihre Doktorarbeit die Interaktion zwischen Wolf und Mensch untersucht - gefragt, wie Mensch und Tier miteinander umgehen. "Dabei ist deutlich geworden, dass der Wolf schon in der Sprache überwiegend negativ besetzt ist", sagt Verena Schröder.
Im kollektiven Bewusstsein lauert der "böse Wolf" aus dem Märchen auf Beute, das blutrünstige Raubtier, das Rotkäppchen und die Großmutter verschlingt. Im Horrorfilm verwandelt sich der Mensch in einen Werwolf, und nur selten darf er auch mal gut sein, der Wolf, wenn Kevin Kostner mit ihm tanzt.
Eine tiefgreifende Erfahrung
Die negative Färbung des Wolfes beißt sich mit der Tatsache, dass nach Schröders Erfahrung alle, die dem wilden Tier begegnet sind, etwas ganz anderes schildern. "Es war für sie stets eine tiefgreifende, in jedem Fall positive Erfahrung", sagt die Wissenschaftlerin, die Jäger, Förster, Landwirte, Wanderer und andere befragt hat.
Ja: Der Wolf ist anders. "Ich denke, unterschwellig macht uns Menschen die Gleichgültigkeit zu schaffen, mit der er wieder Einzug hält." Und die Intelligenz und das Selbstbewusstsein, die ihn vor Jahrtausenden problemlos vom Wild- zum Haustier werden ließen, weil er sich neuen Gegebenheiten sehr gut anpassen kann. "Wölfe sind sehr schlaue und neugierige Tiere. Sie können einem auch mal in die Augen sehen."