Auf dem Weg in die Rentnerdemokratie?
Autor: Christoph Hägele
Erlangen, Montag, 05. Mai 2014
Die über 60-Jährigen bekommen bei Wahlen immer mehr Gewicht. Wolfgang Gründinger aus Kalchreuth bei Erlangen sieht die jüngeren Generationen im Nachteil und will mit einer Klage erreichen, dass das Mindestwahlalter gesenkt wird.
Wofür die Gesellschaft Geld ausgibt oder wer wann unter welchen Bedingungen in den Ruhestand gehen darf, entscheidet in einem demokratischen Rechtsstaat die Mehrheit. Bei der Bundestagswahl im vergangenen September waren 33,7 Prozent der Wahlberechtigten über 60 Jahre und 3,6 Prozent jünger als 21. Wer will, kann darin die Ouvertüre einer Rentnerdemokratie erkennen, in der die Jungen keine Stimme mehr haben, weil sie dramatisch in der Minderheit sind. Einer, der das entschieden so sieht, ist Wolfgang Gründinger, einer der Mitgründer der "Stiftung für Generationengerechtigkeit.
Er hat deshalb beim Bundeswahlleiter Einspruch gegen die Bundestagswahl eingelegt. Angela Merkel und ihre Minister aus dem Amt klagen möchte Gründinger dabei allerdings nicht. Mit seiner Klage verknüpft er stattdessen die Forderung, das Mindestwahlalter im Bund von derzeit 18 Jahren zu senken.
Bisher erlauben nur einzelne Bundesländer, 16-Jährigen die Teilnahme an Kommunal- und Landtagswahlen. Geht es nach Gründinger, darf künftig wählen, wer will: Kinder, mindestens aber Jugendliche.
Zur Not bis nach Karlsruhe
In seiner schriftlichen Begründung rechtfertigt Gründinger dies mit der Notwendigkeit eines "Korrektivs für die demografische Alterung der Gesellschaft".
Erklärt hat sich der Wahlprüfungsausschuss des Bundestags noch nicht. Schmettert er Gründingers Einspruch ab, will der vor die nächste Instanz. "Dann geht es vor Verfassungsgericht." Der 29-Jährige aus dem mittelfränkischen Kalch-reuth ist so etwas wie die politische Stimme der Jungen in Deutschland. Er wird von Talkshow-Redakteuren immer dann gebucht, wenn noch ein Jüngerer gegen den vermeintlichen Egoismus der Alten in Stellung gebracht werden muss.
Gründinger ist allerdings zu schlau, um sich für einen inszenierten Verteilungskampf zwischen Alt und Jung einspannen zu lassen.
Was ihn umtreibt, ist stattdessen die Frage, wie auch unter den Bedingungen des demografischen Wandels junge Menschen und ihre legitimen Interessen angemessen repräsentiert werden können. Demografischer Wandel, das bedeutet ganz konkret: 1960 machten die unter 20-Jährigen noch knapp ein Drittel der Bevölkerung aus und die über 60-Jährigen ein Sechstel. 2020 wird sich dieses Verhältnis genau umgekehrt haben.
Mit dieser Entwicklung geht für Gründinger die Gefahr einher, dass ältere Menschen kraft ihrer bloßen Masse die politische Agenda dominieren könnten. Was Gründinger fordert, versteckt sich hinter dem etwas sperrigen Begriff der Generationengerechtigkeit: Die definiert er als einen Zustand, in dem "die nachfolgende Generationen eine vergleichbare Lebensqualität genießen kann wie die vorhergehende".
Er bezieht das auf das Klima, auf ausreichend vorhandene Rohstoffe oder auf eine den Lebensstandard sichernde Rente. Dass die große Koalition diesen Ansprüchen gerecht wird, verneint Gründinger. Allein das Rentenpaket der Regierung, zu dem auch die Reform der Mütterrente zählt, soll bis 2030 rund 160 Milliarden Euro kosten. Tragen werden die Kosten die derzeitigen, vor allem die künftigen Beitragszahler. Anika Rasner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforchung (DIW) spricht von einem "bewussten Bruch mit der Rentenpolitik der vergangenen Jahrzehnte", und folgert: "Es wird zu einer spürbaren Umverteilung von Jung zu Alt kommen."
Was Gründinger beklagt, betrachtet Harald Wilkoszewski mit dem nüchternen Blick eines Insektenforschers: "Alte und Junge unterscheiden sich deutlich in ihren Erwartungen an den Sozialstaat und seinen verteilungspolitischen Aufgaben hinsichtlich der verschiedenen Generationen", sagt Wilkoszewski, der darüber für das Max-Planck-Institut geforscht hat.
Kapitulation des Politischen
Ältere, und vor allem dann, wenn sie keine Kinder haben, befürworteten etwa wesentlich seltener eine Erhöhung des Kindergelds, Steuererleichterungen für Kinder oder öffentliche Kinderbetreuung.
Wenn die Regierung tatsächlich so handelt, wie ihnen Gründinger vorwirft, wäre das auf der einen Seite die Kapitulation des Politischen vor dem Status quo. Auf der anderen Seite wäre es rational. Die Älteren sind es ja, denen sie ihre Ämter verdanken. Bei der letzten Bundestagswahl beispielsweise haben CDU/CSU bei der Gruppe der über 60-Jährigen mit 49 Prozent ihr bestes Ergebnis erzielt.
Diese Arithmetik politischer Macht will Gründinger nun für sich nutzen. Von einem abgesenkten Wahlalter verspricht sich Gründinger eine Stärkung dessen, was er sich unter einer generationengerechten Politik vorstellt: Schuldenabbau, Klima- und Umweltschutz, Ausbildung oder Netzpolitik. "Nur wer wählt, zählt", glaubt Gründinger.
"Kommunalpolitik ist der ideale Einstieg" - Emmi Zeulner im Interview
Seit September vertritt Emmi Zeulner den Wahlkreis Kulmbach im Bundestag. Sie ist mit 27 Jahren die jüngste Frau, die 2013 in den Bundestag gewählt worden ist.
Werden Jüngere im politischen System angemessen repräsentiert?
Zeulner: Ich erkenne an, dass jede Generation unterschiedliche Interessen hat. Bei einem Durchschnittsalter von 49,6 Jahren im Bundestag wird offensichtlich, dass junge Menschen von der Zahl der Abgeordneten her nicht ausreichend repräsentiert. sind
Braucht es deshalb neue Formen der Beteiligung?
Die Kommunalpolitik ist der ideale Einstieg für junge Menschen, die sich engagieren wollen. Ergebnisse sind schnell sichtbar, das motiviert. Jugendparlamente vor Ort machen Lust mitzumischen.
Was halten Sie davon, das Wahlalter zu senken?
Prinzipiell stehe ich der Absenkung aufgeschlossen gegenüber. Allerdings ist zu bedenken, dass mit der Wahl auch eine große Verantwortung verbunden ist. Jugendliche fangen ja erst an, sich für die Politik zu interessieren. Um eine Wahl treffen zu können, ist es aber auch nötig, dass der Wähler die politische Entwicklung verfolgt und Erfahrungen gesammelt hat Ich plädiere dafür, dass junge Menschen die Möglichkeiten, die ihnen gegeben sind, voll ausschöpfen. Damit wäre viel gewonnen.
Die Fragen stellte
Christoph Hägele