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Prozess in Bamberg: Angeklagter brach in Tränen aus


Autor: Gertrud Glössner-Möschk

Bamberg, Dienstag, 30. August 2016

Ein 42-jähriger Drogenabhängiger will sein Leben ändern. Weinend entschuldigte er sich bei seinem Vater.
Der Angeklagte mit seinem Verteidiger, Rechtsanwalt Maximilian Glabasnia  Foto: Gertrud Glössner-Möschk


Am Montag dieser Woche hat die Polizei in einer Presseerklärung mitgeteilt, einen 65 Jahre alten Bamberger als Drogendealer überführt und festgenommen zu haben. Am gestrigen Dienstag wurde in einer Gerichtsverhandlung der Öffentlichkeit bekannt, wem die Polizei diesen Erfolg zu verdanken hat.

Es ist der 42-jährige Jürgen P. (Name von der Redaktion geändert), ein ehemaliger "Geschäftspartner" des Gefassten. P. hat in der Untersuchungshaft die umfangreichen Drogengeschäfte des 65-Jährigen auffliegen lassen. So konnte vergangene Woche dessen Wohnung durchsucht werden. Die Polizei stellte 3,5 Kilo Haschisch, 800 LSD-Trips, 117 Ecstasy-Tabletten, 90 Gramm Crystal und Bargeld in Höhe von 27 500 Euro sicher.


Mit Frau und bald mit Kind

Ohne Jürgen P., der sich am Dienstag wegen seines eigenen umfangreichen Handels mit rund 350 Gramm Crystal vor Gericht verantworten musste, hätte die Polizei keine Chance gehabt, den Großdealer auffliegen zu lassen, sagte gestern ein Kriminalbeamter als Zeuge vor Gericht. Der 65-Jährige sei nicht im Visier der Ermittlungsbehörden gewesen.

Die Aussage hat die Chancen des Angeklagten P. auf eine drogenfreie Zukunft mit einer neuen Familie - seine Verlobte erwartet von ihm ein Kind - deutlich gesteigert: Er wurde zwar zu vier Jahren und zehn Monate Freiheitsstrafe für sieben Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie Anstiftung zum Handeltreiben verurteilt. Davon muss er aber nur 17 Monate ins Gefängnis, wobei die Zeit der Untersuchungshaft angerechnet wird. An die Haft schließt sich die Unterbringung in einer Therapieeinrichtung an.
Der psychiatrische Gutachter Christoph Mattern empfahl, nicht auf eine stationäre, sondern auf eine langfristige ambulante Behandlung zu setzen. Diese werde bei dem Angeklagten größere Wirkung erzielen, denn er habe bereits Fortschritte auf dem Weg aus seiner Crystal-Sucht gemacht.

Für Mattern ist die Drogenkarriere des gelernten Bürokaufmanns P. ohne Weiteres nachvollziehbar. Den Hauptgrund für die Sucht sieht der Psychiater in den Folgen des Leistungssports, den P. seit früher Kindheit betreiben musste. Wie dieser selbst dem Gericht erzählte, musste er schon als Fünfjähriger sechs Tage die Woche für die Nordische Kombination aus Langlauf und Skispringen trainieren. Er war Mitglied der Jugendnationalmannschaft und damals noch rundum begeistert: "Mein ganzes Leben hat sich um den Sport gedreht!"


Vom Skiverband fallen gelassen

Die starke körperliche Belastung, vor allem aber die viel Kraft erfordernden Sprünge, führten im Alter von 15 Jahren zu ersten Schäden an seinen Knien. Mit 17 wurde er drei Mal operiert - und die mit Freizeit und hohem Einsatz hart erkaufte Karriere war plötzlich zu Ende.

Mattern wollte wissen, ob er danach keine Unterstützung vom Deutschen Skiverband bekommen habe. "Nein", lautete die Antwort. "Bei mir hat sich niemand gemeldet. Ich bin durch das Raster gefallen."

Für den gelernten Bürokaufmann ging es bald auch beruflich bergab: Der Versuch, eine Diskothek zu betreiben, scheiterte. Aus dem Dauertief flüchtete er sich in Rauschgift: "Die erste Linie Amphetamin war für mich unbeschreiblich." Inzwischen ist er seit 22 Jahren drogenabhängig.

Einschlägige Haftstrafen und Therapien wechselten sich in schöner Regelmäßigkeit ab. Von 2002 bis 2006 saß er fast fünf Jahre im Gefängnis "Das war die längste Zeit, in der ich sauber war." Im vergangenen Jahr sah es so aus, als könnte P. endlich die Kurve kriegen und in ein straffreies Leben ohne Drogen abbiegen. Als Zusteller, der schwere Haushaltsmaschinen in Wohnungen schleppte und täglich bis zu 2,5 Tonnen bewegte, war er so tüchtig und zuverlässig, dass er eine Festanstellung bekam.

Doch seine kriminelle Vergangenheit holte ihn ein, als er einen alten Bekannten wieder traf. Im Oktober 2015 begann er erneut, Crystal zu konsumieren. Um die Sucht zu finanzieren, schickte er Komplizen nach Tschechien auf den "Fidschi-Markt", wie der Vietnamesen-Markt in Drogenkreisen genannt wird. Er ließ sie jeweils 30 bis 40 Gramm Crystal einkaufen und nach Deutschland bringen. Sie lieferten den Stoff in seine Wohnung in Gaustadt. Den größeren Teil verkaufte er weiter, einen kleineren konsumierte er selbst. Im März wurde P. festgenommen. Ursprünglich war die Staatsanwaltschaft von bandenmäßigem Handeltreiben ausgegangen, was die Strafe für P. deutlich erhöht hätte. Dafür aber fanden sich keine hinreichenden Beweise, so dass die Kammer unter Vorsitzendem Richter Manfred Schmidt von einer normalen Käufer-Verkäufer-Beziehung unter den Beteiligten ausging. Zu seinen Gunsten rechnete man ihm sein Geständnis an und natürlich die Tatsache, dass allein durch ihn ein anderer Drogendealer gefasst werden konnte.