Alle Wege führen nach oben
Autor: Christoph Hägele
Dörrnwasserlos, Dienstag, 28. Juli 2020
Kein Bäcker, kein Imbiss, kein Geschäft. Wer in Dörrnwasserlos Geselligkeit sucht, der fährt zu Schwester Anna auf den Marienberg.
In der Bibel werden Schwerter zu Pflugscharen. In Dörrnwasserlos werden Flugabwehrraketen zu einer Kirche . Droben über dem Ort thront auf 567 Metern Höhe der Marienberg. Auf dem kleinen, von Wäldern eingefassten Plateau hat die katholische Kirche ihr Schönstatt-Zentrum aufgeschlagen. Auf die Besucher warten eine Kirche , ein Gästehaus zum Übernachten, ein Imbiss mit Stühlen und Tischen davor.
So idyllisch war es nicht immer auf dem Marienberg: 1977 bezogen amerikanische Nato-Truppen ihn als Stützpunkt für ihre Radarüberwachung und mobile Flugabwehrraketen. Als im November 1989 die Berliner Mauer fiel, zogen sie wieder ab. Die Soldaten und ihre Raketen wurden auf dem Marienberg nicht mehr gebraucht.
Ein Stück der Mauer, mit Stacheldraht und bunten Graffitis, hält auf dem Marienberg die Erinnerung wach an den Kalten Krieg und daran, dass selbst das kleine Dörrnwasserlos in ihn verstrickt war.
Das Bier lagert im Bunker
Aber gegen die Schönheit des Orts und seinen Frieden kommen die dunklen Erinnerungen an Kriegsangst und Flugabwehrraketen nicht an. Schmetterlinge, Blumen, Bienen, Sonne, Wind, Wald, Wolken: Selbst in religiös unempfindlichen Menschen bringt der Marienberg eine Saite zum Schwingen.
Und mittendrin Schwester Anna. Eine Nonne, wie sich jeder eine Nonne vorstellt, der es gut mit der Kirche meint. Herzlich, strahlend, zupackend. Das Jahr, in dem man sie zur Nonne weihte, kommt wie aus der Pistole geschossen: 1988. Bei der Frage nach ihrem Alter muss sie nachdenken. "1965 zur Welt gekommen." Kurze Pause: "Also 55 Jahre alt."
Wer Not fühlt, darf zu ihr auf den Marienberg. Der darf reden, weinen und eine Kerze anzünden. Wer Lust auf Gemeinschaft hat, auf Kuchen, Kaffee , Spezi oder Bier: Der darf ebenso gerne hoch auf den Marienberg. Das Bier lagert dort, wo die Soldaten einst Schutz vor einschlagenden Geschossen gefunden hätten. "Heute ist es eher ein Bierbunker", sagt Schwester Anna.
Unten im Dorf mit seinen etwa 80 Einwohnern und zwei, drei Straßen eine andere Welt. Kein Bäcker, kein Imbiss, nicht ein einziges Geschäft: "Brauchen wir doch alles nicht. Wir fahren einmal in der Woche zum Einkaufen. Das reicht", sagt Jakob Hoh.