Messerstecher-Prozess in Bamberg: Aufhebung des Haftbefehls sorgt für Unruhe
Autor: Gertrud Glössner-Möschk
Bamberg, Dienstag, 19. Juli 2016
Die Schwurgerichtskammer hat den Haftbefehl gegen den 36-jährigen Bamberger, der am 26. Juni 2015 einen Nachbarn erstochen hat, aufgehoben.
Die Hauptverhandlung gegen Alexander L. hat am Dienstag eine dramatische Zuspitzung erfahren. Zuerst hob die Kammer den Haftbefehl gegen den Angeklagten auf, der sich nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft eines Mordes aus Heimtücke strafbar gemacht hat. L. konnte den Gerichtssaal nach dem vierten Verhandlungstag als freier Mann verlassen.
Als Reaktion darauf brachte sich die Staatsanwaltschaft mit schwerem Geschütz in Stellung: Oberstaatsanwalt Otto Heyder stellte einen Befangenheitsantrag gegen die Schwurgerichtskammer. Langjährige Beobachter von Gerichtsverhandlungen in Bamberg können sich nicht erinnern, dass in den letzten Jahrzehnten jemals ein Staatsanwalt eine Strafkammer als befangen abgelehnt hätte.
Zeugen in Angst
Die Aufhebung des Haftbefehls sorgte für Unruhe. Zuschauer im Sitzungssaal gerieten in Wut ("Eine Sauerei ist das."), Zeugen sahen sich plötzlich in Angst und Schrecken versetzt. Rechtsanwalt Dieter Widmann, Vertreter der Nebenklage, hält die Freilassung des Angeklagten aus der Untersuchungshaft "zum jetzigen Zeitpunkt für unverständlich". Noch stehe das Gutachten des Psychiaters aus sowie Zeugenaussagen zur Aggressionsbereitschaft des Angeklagten. "Es müssen erst einmal die Zeugen zu möglichen Verhaltensauffälligkeiten und etwaiger Gefährlichkeit befragt werden." Diese Zeugen wurden zwar noch am Nachmittag vernommen, die Aufhebung des Haftbefehls war da aber längst gültig. Oberstaatsanwalt Heyder kündigte Beschwerde gegen den Beschluss der Kammer an, doch muss über diese erst das Oberlandesgericht entscheiden.
Vorsitzender Richter Manfred Schmidt führte eine Reihe von Gründen an, weshalb er den Haftprüfungsantrag der Verteidigung im Sinne des Angeklagten entschieden habe. Ein Argument war, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Opfer vor dem tödlichen Angriff einen Schlag gegen Alexander L. geführt habe. Möglich sei auch, dass sich L., wie er selbst behauptet hatte, vor Angst eingenässt habe. Die Reihenfolge der Stiche sei komplett unklar, der Stich sei den Rücken sei nicht von hinten, sondern seitlich geführt worden. Auch über das, was sich vor dem Angriff im Treppenhaus des Schuhhauses in der Langen Straße ereignet habe sowie das übrige Kampfgeschehen gebe es "keine Klarheit". Aus der erst unmittelbar vor Beginn der Hauptverhandlung bekannt gewordenen Whats-App-Kommunikation des späteren Opfers sei ersichtlich, dass der Mann alles andere als eine Deeskalation beabsichtigt habe.
In seiner Entgegnung griff Oberstaatsanwalt Heyder die Verteidigung an, die einen Kriminalbeamten grundlos einer Falschaussage bezichtige. Ihre Strategie ziele darauf ab, den Prozess zu verzögern, und sie falle durch ein "grob ungebührliches Verhalten" im Gerichtssaal auf. Heyder nahm kein Blatt vor den Mund: Unsachlich und "lauthals schreiend, geradezu hysterisch und kaum zu beruhigen" habe Rechtsanwältin Katharina Rausch am zweiten Verhandlungstag versucht, die Befragung einer Zeugin zu verhindern.
Anschließend ging zwischen Heyder und Richter Schmidt wiederholt der Streit darum, wie lang eine Unterbrechung sein müsse, damit Heyder seine Beschwerde gegen die Aufhebung des Haftbefehls begründen kann. Als Schmidt seinen Beschluss verkündete, die Hauptverhandlung nicht zu unterbrechen, bat Heyder wiederum um Unterbrechung für einen "unverzüglich zu stellenden Antrag".
Damit war klar, dass es für die Kammer ernst wird: Heyder lehnt das Gericht als befangen ab. Unter mehreren Gründen nannte er die Tatsache, dass ihm die Kammer keine zwei Stunden Zeit gewährt habe, den Aufhebungsbeschluss zu sichten und Stellung zu nehmen. "15 Minuten sind höchstens ausreichend, den Beschluss zu überfliegen." Heyder erklärte sein "Misstrauen in die Unparteilichkeit der Zweiten Strafkammer". Über den Antrag werden in Kürze andere Richter entscheiden.
Am Nachmittag wurden sechs Zeugen vernommen, die mitbekommen haben, wie Alexander L. im Jahr 2014 auf der Reckendorfer Kirchweih gewalttätig geworden ist. Damals warf er laut Ermittlungen der Polizei einen jungen Mann zu Boden und trat ihm mit dem Fuß ins Gesicht. Als sich ein Freund des Opfers kurze Zeit später Alexander L. entgegenstellte, soll dieser ein Messer gezogen, zugestochen, aber nur das T-Shirt des Mannes getroffen und beschädigt haben.