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"aktiv" holt Arbeitslose aus der Isolation


Autor: Anette Schreiber

Rattelsdorf, Montag, 09. Sept. 2013

Dank eines Programms des Jobcenters, "aktiv", hat der 41-jährige Matthias Martin zumindest wieder ein strukturiertes Leben und Anerkennung. Damit tun sich nach vielen Jahren Arbeitslosigkeit neue Perspektiven auf.
Jetzt hat Matthias Martin wieder eine Aufgabe . Fotos: Anette Schreiber


Wer hat denn den Schuppen so schön aufgeräumt? Maria Stingl staunt. Matthias Martin grinst verschmitzt. "Sie überraschen mich immer wieder." Jetzt strahlt der 41-Jährige. Und auch die Miene von Nicole Strätz ist Zufriedenheit pur. Matthias Martin sorgt seit einigen Monaten für Sauberkeit und Ordnung rund um das"Haus an der Itz", er pflegt auch das Grün. Über einen Hektar, da ist viel zu tun. Mit den Pflanzen blüht augenscheinlich auch der Reckendorfer auf.

"Ich kämpfe, dass ich bleiben darf", sagt er leise, während seine Augen energisch durch die Brille funkeln. Maria Stingl hört's gerne, kann aber nichts versprechen. Denn Martins Zeit im "Haus an der Itz" ist eigentlich eine befristete.

Das Projekt "Aktiv" hat ihn über das Job-Center hierher gebracht.

Kaum Chancen

Matthias Martin ist einer, der auf dem ersten Arbeitsmarkt nach über zwölf Jahren Arbeitslosigkeit derzeit wohl kaum Chancen hat. Als Hartz-IV-Empfänger fällt er in die Zuständigkeit des Jobcenters, und das hat für ihn Kontakt zum Verein für innovative Sozialarbeit (ISO) geknüpft, einer von zwei verschiedenen Bildungsträgern (der zweite ist Konzept Bildung), die ein "Aktiv"-Projekt umsetzen. "Aktiv" beinhaltet individuelles Coaching für Einzelpersonen und Bedarfsgemeinschaften. Seit 2008 ist Iso im "Aktiv"-Projekt aktiv und hat hier über 220 Menschen begleitet, 310 bei Konzept Bildung.

Nicole Strätz begleitet Matthias Martin als dessen Coach. Etwa alle zwei Wochen treffen sie sich. Beim Coaching geht es ganz generell um Stabilisierung im Lebensumfeld mit den Bereichen Familie, Beziehung, Schulden, Sucht, Umzug, führt sie dazu aus. Unterstützung bei Behördengängen gehört gleichfalls dazu. Ziel ist zumindest eine Heranführung an den Arbeitsmarkt. Der Weg dorthin besteht aus Etappen mit Tätigkeiten bei gemeinnützigen Einrichtungen. Es geht um Arbeitsgelegenheiten, so dass keine regulären Arbeitsplätze aus dem ersten Arbeitsmarkt dadurch wegfallen.

Aber, und das ist ganz wichtig: Es gibt am Ende ein Zeugnis. Und für den Teilnehmer wird im Anschluss nach Möglichkeit auch eine Beschäftigung gesucht. "Aktiv"-Arbeitsgelegenheiten bieten sich unter anderem in Seniorenheimen, Bauhöfen, bei der Betreuung von Demenzkranken oder auch bei diversen Praktika. Allein Iso verfügt über ein Netzwerk von gut 100 Stellen, so Iso-Bereichsleiter Michael Gerstner. "Wichtig ist dabei die gute Erreichbarkeit für den Teilnehmer, also die Nähe zum Wohnort."

Matthias Martin fährt jeden Tag mit seinem Motorroller von Reckendorf nach Rattelsdorf. Er arbeitet 30 Stunden die Woche, das erlaubte Maximum. Die Vergütung - eher symbolisch. Kompliziert angesichts der Anrechnung von Hartz IV. Aber ums Geld geht es ja nicht primär. Die Arbeitsgelegenheiten werden fachlich betreut und begleitet. Matthias Martin hat seine Arbeitsgelegenheit im "Haus an der Itz", AWO-Wohnheim für psychisch Kranke.

Maria Stingl kommt nicht aus dem Loben heraus: Am Anfang musste Martin alles genau vorgegeben werden. Jetzt erkennt er Handlungsbedarf und geht die Dinge entsprechend an. Aus einem schüchternen, stillen Menschen ist nun ein aufgeweckter fröhlicher geworden, der sich nicht nur mit dem Personal, sondern auch mit den 37 Hausbewohnern bestens versteht. "Ich will arbeiten und es macht mir Spaß hier." Manchmal ist er schier nicht zu bremsen, so scheint es.

Viel Pech gehabt

Vielleicht war genau das ein Grund dafür, dass der Reckendorfer im regulären Berufsleben "viel Pech hatte", wie es Diplom-Pädagogin Strätz formuliert. Eigentlich wäre Matthias Martin ja gerne Bäcker geworden. Er war Gehilfe in einer Bäckerei, mit vielen 14-Stunden-Arbeitstagen. Bis ihm aus gesundheitlichen Gründen nach sieben Jahren von einen Tag auf den anderen gekündigt wurde. Dann ging's bergab. Martin war bei einer Vielzahl von Zeitarbeitsfirmen beschäftigt. Der Begriff allein genügt für einen überaus gequälten Gesichtsausdruck. Miese Tätigkeiten, unbezahlte Überstunden, ausstehender Lohn... und das plötzliche Aus. "Ich wurde immer wieder gekündigt." Dann kamen die langen Jahre der Arbeitslosigkeit, Hartz IV, eine Sackgasse. "Ich will ja arbeiten," sagt Martin immer wieder. Doch mit Jahren der Arbeitslosigkeit fehlt die Struktur im Leben, die Anerkennung, das Abgleiten in die Isolation, Schulden und, und, und... "Aktiv" ist ein Weg raus aus dem, was Gerstner als "Gedanken-Karussell" bezeichnet.

"Aktiv" bedeutet eine Umkehr. Coach Nicole Strätz kann nicht alles für Matthias Martin organisieren, aber Flankierendes und Flankierende. Martin hat in der Zwischenzeit einen Betreuer und er hat Zuversicht. "Ich möchte hier bleiben", betont er noch einmal."Ich denke über Perspektiven nach", lässt Maria Stingl ihn wissen. Mehr ist im Moment nicht drin.

Vermittlungsquote 20 Prozent

"Die Vermittlungsquote beträgt 20 Prozent," merkt Michael Gerstner zur Zielsetzung an. Wobei Vermittlung sich auf eine in geringfügige oder geförderte Beschäftigung bedeutet. Es ist aber auch schon gelungen, jemandem durch "Aktiv" den Weg zu einer Ausbildung zu ebnen. Freilich kann am Ende des Aktiv-Projekts, das in der Regel etwa ein halbes bis ein Dreivierteljahr dauert (Verlängerungen sind) möglich, nicht immer die Arbeit, so Gerstner. Entscheidend ist die Stabilisierung, der Weg aus der Isolation und die Wiedererlangung des Selbstwertgefühls. "Ich kämpfe darum, hier bleiben zu dürfen", wiederholt Matthias Martin und schnappt sich den Rasenmäher.

In der Stadt Bamberg gab es im August 1162 Menschen, die von Hartz IV lebten, im Landkreis waren es 859, so die Zahlen der zuständigen Jobcenter.