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Insiderbericht: Interview mit einem Abschiebebetreuer


Autor: Michael Wehner

Bamberg, Dienstag, 08. März 2016

Das Balkanzentrum in Bamberg steht in der Kritik. Doch gibt es Alternativen zum System des Abschiebelagers? Ein Interview mit einem Betreuer.
Stundenplan im Bamberger Aufnahmezentrum: Werden hier die Kinderrechte verletzt, wie die Bundesgrünen sagen?  Foto: p.


Als das Balkanzentrum im August 2015 im Bamberger Stadtrat erstmals diskutiert wurde, gab es eine breite Mehrheit von Fraktionen, die die Einrichtung unterstützt haben. In der Hoffnung auf eine schnelle Konversion ließen sich manche locken, die grundsätzlich kritisch dachten, die Grünen etwa oder die SPD. Freie Wähler, Bamberger Bürger-Block und der Bamberger Realist Michael Bosch verweigerten indes die Zustimmung.


SPD und Grüne prangern Abschiebelager an

Heute sieht das Bild in der Bamberger Parteienlandschaft weit weniger geschlossen aus. Bamberger Grüne, aber auch die Bundespartei der Grünen haben sich auf das aus ihrer Sicht inhumane System des Abschiebelagers eingeschossen; unmissverständlich prangert auch die SPD-Fraktion Missstände an der Pödeldorfer Straße an. Da geht es um die Schulausbildung der Kinder, die den Standards nicht genügen soll. Auch die nicht vorhandene Sozialberatung wird angemahnt. Zuletzt war an Hand von Einzelfällen sogar die Rede von Bamberg als einem Ort von Menschenrechtsverletzungen.


Die andere Sicht eines "Insiders"

Freilich gibt es hinter den Kulissen der von der Regierung von Oberfranken relativ hermetisch abgeriegelten Rückführungseinrichtung auch eine ganz eigene Sicht der Dinge. Sie dringt selten und eher nur am Rande offizieller Mitteilungen nach außen. Wie ergeht es den Mitarbeitern, die im Aufnahmezentrum arbeiten, wie erleben sie den Alltag in einer Einrichtung, aus der seit September 1000 Menschen freiwillig zurückreisten und 370 Menschen abgeschoben wurden?

Wir sprachen mit einem der medizinisch Betreuenden, der seit vielen Jahren bei Abschiebungen dabei ist und Erfahrungen in Deutschland und anderen europäischen Ländern gesammelt hat. Er will aus verschiedenen Gründen unerkannt bleiben, deshalb nennen wir keinen Namen.

Wenn Sie die nicht verstummende Kritik an der Bamberger Abschiebeeinrichtung hören, was denken Sie dann?
Diese Vorwürfe sind aus meiner Sicht völlig unbegründet und werden der Arbeitsweise und dem rechtsstaatlichen Verfahren nicht gerecht. Das deutsche Abschiebeverfahren ist hochbürokratisch, man kann sagen, durchgestylt bis ins Letzte und bietet den Betroffenen an vielen Punkten Chancen zum Widerspruch, was auch weidlich ausgenutzt wird. Andere Länder gehen sehr viel weniger zimperlich mit Abschiebungen um, um nicht zu sagen martialischer.

Ist das für Sie ein Vorbild?
Nein, wir können uns als Deutsche gar nichts anderes leisten, als peinlich genau darauf zu achten, dass alles korrekt verläuft. Aber es ist einfach nicht so, dass die Abzuschiebenden Opfer eines brutalen Systems wären, wie immer wieder der Eindruck erweckt wird.

Nehmen wir die Vorwürfe, die Schulausbildung sei nur ein Notmodell.
Das sehe ich ganz anders. Der Unterricht, der hier erteilt wird, ist eine sehr beachtenswerte Leistung, um den hier auf kurze Zeit zusammengeführten Menschen und ihren Kindern gerecht werden zu können. Wie sollte ein vollwertiger Unterricht für Menschen möglich sein, die praktisch keine Bleibeperspektive haben und jeden Tag damit rechnen müssen, abgeschoben zu werden. Und wer sollte das bezahlen, wenn sich überhaupt genug Lehrer finden?

Immer wieder ist auch von der drangvollen Enge im Bamberger Balkanzentrum die Rede. Familien müssten ohne Chance auf Privatsphäre in Durchgangszimmern hausen. Ist das berechtigt?
Wer das beklagt, muss eindeutig sagen, wie es anders geht und wie es bezahlt werden soll. Wir standen und stehen vor der Aufgabe, für Tausende von Menschen in kurzer Zeit ein Dach über den Kopf anbieten zu können. In Bamberg kommt dazu, dass hier Menschen leben, die möglichst schnell wieder in ihre Heimat zurückgebracht werden sollen. Auch wenn es nicht alle wissen wollen: Das Balkanzentrum ist ein Abschiebelager.

Wie läuft eine Abschiebung ab?
Kürzlich hatten wir einen typischen Fall: Die Familien haben bis zuletzt versucht, sich der Abschiebung bei klipp und klarer Verwaltungslage zu verweigern. Sie haben sich dann bei der Ankunft der Beamten über Deutschland ausgelassen und haben die Polizei beschimpft. Häufig erleben wir solche Tiraden; immer wieder kommt es auch zum Versuch, sich der Abschiebung durch Vorspiegeln von Krankheiten zu entziehen. Es werden Geschichten erfunden, um doch noch bleiben zu können. Mehrfach haben wir Menschen abgeschoben, die schon drei Mal in Deutschland waren und dann bei der Abschiebung unverblümt bekannten, dass sie wieder kommen werden. Selten habe ich ein Wort des Dankes für eine "gute Zeit" in Deutschland gehört.

Würden Sie sagen, dass es sich um eine schmutzige Arbeit handelt, die Sie da machen?
Nein, es geht nicht anders. Jemand muss diese Arbeit als gesetzliche Maßnahme machen. Wenn wir den wirklich Hilfsbedürftigen helfen wollen, die nach Deutschland kommen, müssen wir einen Unterschied machen. Das ist das Wesen unseres Asylrechts, dass es Schutz vor politischer Verfolgung gewährt und nicht jenen, die in erster Linie ein besseres Leben wollen.

Was empfinden Sie und Ihre Kollegen bei der Arbeit?
Es hilft, wenn man seine Position gefunden hat. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass diese Arbeit viel Kraft kostet und menschlich viel abverlangt: Viele Polizisten, die bei Abschiebungen regelmäßig dabei sind, sind ziemlich frustriert. Das liegt an den Begleitumständen, aber mehr noch daran, dass sie nicht den Eindruck haben, die nötige Rückendeckung von der Politik zu bekommen. Sie müssen einerseits eine Arbeit verrichten, ohne die es nicht geht. Doch hinterher spüren sie häufig, dass diese Arbeit nicht akzeptiert wird.

Die Bamberger Flüchtlingsorganisation Freund statt Fremd hat letzte Woche von einem sechsjährigen Mädchen berichtet, das ohne Rücksicht auf seine Behandlungsbedürftigkeit aus Bamberg abgeschoben worden sei.
Dieses Mädchen wurde mit seiner Familie in die Heimat zurückgebracht, aber es gibt keinerlei Beweise, dass diese angebliche Vergewaltigung tatsächlich stattgefunden hat.

Das Gespräch führte Michael Wehner