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17 neue Stolpersteine erinnern an NS-Opfer


Autor: Sarah Seewald

Bamberg, Mittwoch, 11. Sept. 2013

Die Willy-Aron-Gesellschaft verlegt am Donnerstag 17 neue "Stolpersteine". Die kleinen, eckigen Mahnmale sollen an die Vernichtung und Verfolgung von ehemaligen Bamberger Bürgerinnen und Bürgern im Dritten Reich erinnern.
Viktor Freudenthal (auf der rechten Seite stehend) im Kreis seiner Freunde.   Fotos: privat


Nicht in Vergessenheit geraten! Siebzehn weitere, gold-glänzende Mahnmale werden am Donnerstag in der Bamberger Innenstadt verlegt. Auf den kleinen Messingplatten kann man jeweils den Namen eines Bamberger Opfers aus der Zeit des Nationalsozialismus lesen. Das Kunstprojekt von Gunter Demnig soll europaweit an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Zigeuner, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas und der Euthanasieopfer in den Jahren 1933 bis 1945 gedenken. Weit über 35000 "Stolpersteine" wurden bereits in ganz Europa gegen das Vergessen verlegt. Künstler und Initiator Gunter Demnig ist bei fast jeder Verlegung vor Ort, um die Gedenksteine selbst in den Boden zu schlagen.

Es sind die kleinen, eigentlich unscheinbaren Messingplatten, über die der aufmerksame Fußgänger sprichwörtlich "stolpern" soll. Keine Sorge - das Mahnmal stellt kein Hindernis auf der Straße dar.

Dem Kölner Künstler Gunter Demnig geht es um das "gedankliche Stolpern". Die Menschen sollen sich in ihrem Alltag an oft längst vergessene Verbrechen in der Vergangenheit erinnern. Die goldene Platte ist zehn auf zehn Zentimeter groß und wird - wenn möglich - in die Gehsteige vor den ehemaligen Wohnhäusern der Opfer, eingelassen.

Andreas Ullmann, Mitglied der Willy-Aron-Gesellschaft, erinnert sich an ein krasses Beispiel: "In der Innenstadt konnten wir einen Stolperstein für einen französischen Inhaftierten verlegen, der direkt dort, an Ort und Stelle, bei einem Fluchtversuch erschossen wurde."

Andreas Ullmann und Daniel Dorsch, der Vorstand des Vereins, stehen hinter dem Projekt der "Stolpersteine", weil es Verantwortung gegenüber zukünftiger Generationen und eine Frage des Respekts gegenüber den Opfern bedeutet. Der Geschichtswissenschaftler Andreas Ullmann ist der Meinung: "Was sind denn all die historischen Dokumente wert, wenn man nicht die Bezüge zu heute schafft?" Zum symbolischen Akt des "Nicht-Vergessens" zählt weit mehr als der Austausch eines Pflastersteines in einen "Stolperstein". Im Voraus werden die Biografien der Schicksale erschlossen. Oft sind es Schüler und Schülerinnen, so wie Christina Ther. Sie hat sich für das geschichtliche Projekt, im Rahmen ihrer Seminararbeit für das Abitur, engagiert. Tagelange Arbeit, unzählige Stunden im Stadtarchiv - besonders schwierig ist es, etwas über die nicht-jüdischen Verfolgungen in Erfahrung zu bringen.

"Kann sich keiner vorstellen"

Die Schülerin Christina Ther hat sich mit der Familiengeschichte von Friedrich Reuß befasst: Im Jahr 1920 wird der angehende Lehrer nach Bamberg versetzt. Die kleine Familie zieht in eine Wohnung am Marienplatz 12. 1923 wird Friedrich Reuß als Studienrat an der Oberrealschule, heutiges Clavius-Gymnasium, angestellt. 1927 tritt er der Bamberger Freimaurerloge "Zur Verbrüderung an der Regnitz" bei. Im September 1933 wird Friedrich Reuß von den Nationalsozialisten in Schutzhaft genommen und nach dem Gesetz "zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" aus dem Staatsdienst entlassen. Die Nationalsozialisten hielten Reuß für einen Staatsfeind, weil die Familie kommunistische Freunde hatte und hin und wieder an kommunistischen Treffen teilnahm.

"Aus der Recherche ging klar hervor, dass Friedrich Reuß ein differenziert denkender Mann war. Er fand die Ideen des Kommunismus spannend - überzeugter Kommunist war er aber nicht." Christina Ther stößt bei ihrer Arbeit immer wieder auf kleine Details, die ihr Zutritt in das Leben des Verfolgten verschaffen. Die Familie verließ Bamberg rechtzeitig 1933 und konnte nach Moskau fliehen. Dort stirbt Doktor Friedrich Reuß am 15.12.1935. Mutter und Tochter flüchten nach Kasachstan - 1947 verstirbt auch seine Ehefrau, Chaja Anja Reuß. Die Tochter Margarete Liselotte kehrt nach dem Krieg in ihre alte Heimat Bamberg zurück und lebt später in München.

Anstoß für jede Generation

"Ich weiß noch, wie ich mit meinem Freund in München war, um Bilder der ehemaligen Wohnsitze zu machen. Ich konnte es überhaupt nicht fassen, dass Friedrich Reuß hier gelebt hat und war total aufgedreht - das wiederum konnte mein Freund überhaupt nicht nachvollziehen. Aber er hatte einfach nicht den Bezug zu dem Leben, so wie ich." Christina Ther hat sich "ein ganzes Jahr mit einem Leben auseinander gesetzt". Eine starke innere Verbundenheit und persönliches Interesse steht hinter dem Projekt der "Stoplersteine". Wer sich für eine Patenschaft entscheidet, liefert einen Anstoß für Jung und Alt.

Sicherlich werden die "Stolpersteine" unterschiedlich wahrgenommen. Für viele alte Menschen steht hinter dem Mahnmal oft die "Erinnerung an kollektive Schuld", weiß Daniel Dorsch. Christina Ther findet, dass die "Stolpersteine" ein wichtiges Generationenprojekt sind: "Wir bekommen in der Schule immer wieder vermittelt, was da politisch passiert ist. Aber wirklich vorstellen, kann man sich das Ausmaß nicht", wie lange die Verbrechen zurückliegen, erkennt Christina bei der Aufklärungsarbeit, "nicht einmal meine Oma kann sich noch so richtig an den Krieg erinnern." Persönliche Erinnerungen an die NS-Zeit haben nicht mehr viele - in Vergessenheit geraten sollten die Ereignisse aber nicht.

Obwohl persönliche Tragödien im Vordergrund stehen - Stolpersteine erinnern keinesfalls an Einzelschicksale. Es sind exemplarische Lebensläufe, wie die von Familie Reuß oder die des Metzgers Viktor Freudenthal und seiner Frau Else.

Der Besitzer einer koscheren Metzgerei und seine Familie wurden als Juden aus Bamberg vertrieben. In Folge des Novemberpogroms im Jahr 1938 war Viktor Freudenthal für einen Monat in Dachau inhaftiert. Danach wurde er bis zu seiner Deportation als Zwangsarbeiter im Tiefbauamt beschäftigt. Am 27. November 1941 werden Viktor Freudenthal, seine Ehefrau Else und die Tochter Carola aus Bamberg in die Hauptstadt Lettlands, nach Riga, gebracht.

Aus Archiven geht hervor, dass Alfred Freudenthal anschließend erst in das Konzentrationslager Sutthoff und 1944 nach Buchenwald verschleppt wurde. Zum Tod von Mutter und Tochter kennt man keine näheren Umstände bekannt. Der Sohn, Alfred Freudenthal, konnte zu einem unbekannten Zeitpunkt aus Bamberg nach Frankreich fliehen und im Untergrund überleben.

Daniel Dorsch und Andreas Ullmann sind sehr stolz, dass der Enkel von Friedrich Reuß, also der Sohn des damals geflohenen Alfred Reuß, in diesen Tagen nach Bamberg kommt - und bei der Verlegung der "Stolpersteine" zu Ehren seiner Familie dabei sein kann.

Obwohl die Gedenkarbeit als Prestigeprojekt der Stadt angesehen ist - Zuschüsse gibt es keine! 2004 wurde der erste Bamberger "Stolperstein" für Willy Aron in der Luitpoldstraße verlegt, inzwischen sind es 97. Für Andreas Ullmann und Daniel Dorsch ist ganz klar: "Wir brauchen noch mindestens 300 weitere Stolpersteine in Bamberg." Die beiden Geschichtswissenschaftler würden sich wünschen, dass endlich ein Forschungsprojekt zur Aufklärung der vielen Verfolgten in Bamberg gefördert werden würde.