Druckartikel: Zwiegespräch zwischen Violoncello und Klavier

Zwiegespräch zwischen Violoncello und Klavier


Autor: Thomas Ahnert

Bad Kissingen, Mittwoch, 20. Juni 2018

Man rieb sich ein wenig verwundert die Augen: Kammermusik im Großen Saal ist ja eigentlich ein musikalisches und wirtschaftliches Risiko.
Sol Gabetta (Violoncello) und der französische Pianist Bertrand Chamayou spielten in Bad Kissingen Ludwig van Beethoven. Gerhild Ahnert


Und dann ist das Parkett so voll besetzt, als wäre Grigory Sokolov angekündigt gewesen. Gut, der französische Pianist Bertrand Chamayou ist in Bad Kissingen bei weitem noch nicht so bekannt wie sein Kollege aus St. Petersburg. Er war das erste Mal hier. Aber der Name Sol Gabetta zieht halt doch - nicht erst seit ihrem fabelhafen Elgar-Konzert bei der Eröffnung vor wenigen Tagen. Und das Programm hatte ja auch seinen Reiz: Beethoven: na klar; Britten: da muss man halt durch; und Chopin geht immer.

Die historisch interessanteste Sonate stand also gleich am Anfang. Denn als Beethoven seine Sonate für Klavier und Violoncello F-dur op. 5/1 schrieb, betrat er Neuland. Bisher hatte das Cello das Cembalo oder auch die Klaviere dieser Zeit nur obligates Instrument begleitet, um die schwächelnde Tiefe der Tasteninstrumente zu unterstützen. Das wollte Beethoven ändern; er wollte da Cello emanzipieren. Aber er tat das nicht radikal, sondern auch er musste über Experimente und Zwischenschritte zum Ergebnis kommen. Die F-dur-Sonate zeigt den Anfang dieses Weges. Das Klavier ist zwar noch dominant, aber das Cello hat schon seine eigenen Auftritte, und es ist vor allem virtuos aufgewertet.

Das war natürlich das richtige Futter für Bertrand Chamayou und Sol Gabetta, die diese verrutschenden Herrschaftsverhältnisse sehr deutlich machten mit kleinen Ausbruchsversuchen des Cellos und dem Wiedereinfangen durch das Klavier. Wobei es Chamayou gelang, mit seinem farbigen Anschlag auch in einigen für das Hammerklavier noch typischen Figurationen so zum Klingen zu bringen, dass das historische Instrument wieder zum Leben erwachte.



Die beiden brauchten ein bisschen Zeit, um aus der vertrauten Routine des Musizierens in die Gestaltung des Augenblicks zu kommen. Aber man muss Bertrand Chamayou auch hoch anrechnen, dass er überhaupt angetreten ist mit dem Risiko, sich unter Wert verkaufen zu müssen. Wäre er Sänger, hätte er mit einer derartigen Erkältung schon längst das Weite gesucht. Eigentlich war es ein kleines Wunder, dass er nur in den Satzpausen husten musste. Aber Konzentration kann auch Berge versetzen.

Benjamin Britten war da angekommen, wo Beethoven hinwollte, zu einem Spiel voller technischer Herausforderungen und musikalischer Überraschung, zu einer absoluten Gleichberechtigung der Instrumente. Man merkte Sol Gabetta und Bertrand Chamayou an, dass sie diese C-dur-Sonate gerne spielen, dass sie da mitten drin sind, dass sie sie blind spielen können. Und sie zelebrierten die Anforderungen, ohne das Musikalische in die zweite Reihe zu stellen: die rhythmischen Raffinessen, die enormen grifftechnischen Schwierigkeiten in beiden Instrumenten, den Witz des Pizzicatosatzes oder die gespenstischen Flageolettpassagen. Man konnte sich als Zuhörer freuen, dass die Sonate nicht vier, sondern fünf Sätze hat.

Und dann die g-moll-Sonate op. 65 von Frédéric Chopin. Das ist ein echter Problembär unter den Sonaten. Der Pole war ein unumstrittener Meister der kleinen Klavierform. Aber hier, zudem mit einem zweiten Instrument, geriet er an seine Grenzen, vor allem im ersten, fast möchte man sagen unnötig langen Satz, der sich in ständigen Wiederholungen erschöpft. Zudem wird man nie den Eindruck los, dass Auguste Franchomme, Chopins cellistischer Berater, hier die Chance sah und nutzte, sich mit der Cellostimme ein virtuos einigermaßen bequemes Denkmal zu schaffen. Denn strichtechnisch ist die Sonate mit ihrem permanenten Legatospiel ziemlich uninteressant, auch wenn es die beliebten langen romantischen Phrasen ermöglicht. Da war Beethoven 55 Jahre früher schon wesentlich weiter.

Dass man gedanklich nicht abschweifte, lag an den beiden Interpreten, denn sie zogen die Aufmerksamkeit durch ihr Spiel auf sich. Da konnte man sich freuen über den Zugriff und die Artikulation, über die agogische Abstimmung, über ein ausgefeiltes dynamisches Konzept, denn eine Konfrontation findet in dieser Musik nicht wirklich statt, über die Sonorität der tiefen Cellosaiten oder darüber, wie sich die beiden am fulminanten Schluss virtuos in die Kurve legten.
Und dann gab es noch zwei atmosphärisch wunderbare Zugaben: die beiden Sätze "Nana" und "Polo" aus der "Suite populaire espagnole" von Manuel de Falla.