Zwei, vier, Cha-Cha-Cha
Autor: Sigismund von Dobschütz
Bad Kissingen, Donnerstag, 15. Januar 2015
Barbara Drosd-Tessari ist 45 Jahre Tanzlehrerin und betreibt seit 30 Jahren eine Tanzschule in Bad Kissingen
Bad Kissingen — Während ihres Tanzkurses im heimatlichen Spaichingen (Landkreis Tuttlingen) erwachte 1962 bei der damals 18-jährigen Industriekauffrau die Liebe zum Tanzen. Heuer blickt Barbara Drosd-Tessari (70) auf 45 Jahre als Tanzlehrerin zurück und feiert am Samstag im Regentenbau mit festlichem Abschlussball und Showtanz das 30-jährige Bestehen ihrer Bad Kissinger Tanzschule.
Erst nach Zwischenstationen war die 1944 in Gleiwitz geborene Oberschlesierin nach ihrer Flucht mit den Eltern ins baden-würtembergische Spaichingen gekommen. Nach der mittleren Reife machte sie dort ihre Lehre zur Industriekauffrau. In dieser Zeit besuchte sie die Tanzschule ("Damals ging man erst mit 17 oder 18 Jahren zur Tanzstunde.") und verliebte sich in Rolf Tessari, den Sohn ihres Tanzlehrers.
War es nun die Liebe zum Tanzlehrer-Sohn oder zur Musik? In den nächsten Jahren wuchs die Unzufriedenheit mit ihrem Lehrberuf. "Tanzen hat mir jedenfalls mehr Spaß gemacht als Tippen oder Lohntüten-Packen." Sie heiratete ihren Rolf und begann 1968 in Stuttgart ihre Ausbildung zur Tanzlehrerin. Hier freundete sie sich mit Bobbie Irvine an, der dreizehnfachen Weltmeisterin in Latein und Standard. "Zu meinem Abschluss 1970 schenkte mir Bobbie ihr aktuelles Turnierkleid." Noch heute holt Drosd-Tessari dieses kostbare Erinnerungsstück gern hervor, wenn sie über die beruflichen Anfänge spricht.
Kaum hatte sie ihre Tanzlehrer-Ausbildung erfolgreich abgeschlossen, eröffnete sie vor 45 Jahren mit Ehemann Rolf Tessari die erste eigene Tanzschule in Villingen, zwei Jahre später eine zweite in Tuttlingen. Schöne Jahre waren es damals, ein volles Fotoalbum zeigt die junge Tanzlehrerin bei der Arbeit.
Doch dann kam erst die Trennung vom Ehemann, später auch von der Heimat. Es war eine entscheidende Zäsur in ihrem Leben. 1984 verlegte Drosd-Tessari mit den beiden Töchtern Sabrina (heute 43) und Carina (36) den Wohnsitz nach Bad Kissingen. Zwei Jahre zuvor war sie hier zur Kur gewesen. "Ich fand Bad Kissingen wunderschön."
Erste Unterrichtsstunden bot sie im Jugendstil-Pavillon am Kurheim Altenberg an. Nach einigem Suchen fand sie dann doch ein eigenes Domizil: Die frühere Diskothek in der Groppstraße 5. Das 250 Quadratmeter große Obergeschoss wurde generalsaniert, Büros eingerichtet, die Hälfte des großen Saales mit handgefertigten Sitzgarnituren und Bartresen gemütlich eingerichtet, die restlichen 100 Quadratmeter blieben als Tanzfläche mit Disco-Kugel und Spotlights an der Decke.
Seit 30 Jahren steht Barbara Drosd-Tessari nun tagtäglich an Musikanlage und Mischpult. Blickt sie auf 45 Jahre zurück, sieht sie kaum einen Unterschied zu damals. 1970 seien die 18-Jährigen zur Tanzstunde gekommen, heute sind ihre Schüler im Schnitt zwei Jahre jünger. "Aber der Spaß am Tanzen ist derselbe." Der Unterricht war damals anders. "Die Hälfte bestand noch aus Benimmregeln", erinnert sich Drosd-Tessari. Heute beschränkt man sich auf ein paar Anstandsregeln, wie man sich während des Tanzes seinem Partner oder der Partnerin gegenüber zu verhalten hat. "Es geht um den gegenseitigen Respekt", erklärt Tochter Carina Tessari, selbst seit dem Jahr 2000 Tanzlehrerin in der Groppstraße.
Heute ist alles etwas lockerer. Die Jugendlichen kommen in Jeans und Sportschuhen. "Jeans ging damals gar nicht", platzt es aus Drosd-Tessari heraus. "Die jungen Damen hatten Kleider an, die Herren eine dunkle Stoffhose und ein weißes Hemd oder sogar Anzug." Damals saß man nach Geschlechtern getrennt, heute unterhält man sich in gemütlichen Sitzgruppen. "Viele kennen sich ja aus der Schule."
Früher wurde man von den Eltern geschickt, heute nur zehn Prozent. Die meisten kommen freiwillig. "Tanzen ist eine alternative Freizeitbeschäftigung."
So fing es auch bei Trong Hieu Nguyen (22) alias Jamie Trong an, der als Achtjähriger in die Tanzschule kam und von Sabrina Tessari mehrmals wöchentlich trainiert wurde. Schon zwei Jahre später wurde der knapp zehnjährige Trong Europameister im "Dance-4-Fans-Contest 2001".
Doch alle Lockerheit und Freiwilligkeit schützt nicht vor Lampenfieber. Drosd-Tessari schmunzelt wissend: "Die Angst vor dem Abschlussball ist noch genau so groß wie vor 45 Jahren." Und Tochter Carina bestätigt: "Selbst dem Coolsten flattert dann die Hose."