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Zum Schluss großes Kino für die Ohren


Autor: Thomas Ahnert

Bad Kissingen, Montag, 14. Juli 2014

Beim Abschlusskonzert im Großen Saal trotzten die meisten Besucher den Lockungen des Fußballs und kamen nach der Pause wieder. Sonst hätten sie Sergej Rachmaninoffs 2. Sinfonie verpasst.
Sabine Meyer spielte vier bearbeitete Einlagearien von Mozart mit dem NSOPR und Lukasz Borowicz.


von unserem Redaktionsmitglied 
Thomas Ahnert

Bad Kissingen — Jetzt ist er also wieder zu Ende, der Höhenflug des Kissinger Sommers. Als musikliebende Fußballfans oder fußballliebende Musikfans sind wir vor viereinhalb Wochen gestartet und als Weltmeister gelandet. Das Abschlusskonzert bot, was die personelle Ausstattung betraf, die kongeniale Begleitmusik mit dem National-Symphonieorchester des Polnischen Rundfunks Katowice unter der Leitung

von Lukasz Borowicz, der als der beste polnische Dirigent der jüngeren Generation gehandelt wird, sowie mit der Pianistin Lise de la Salle und der Klarinettistin Sabine Meyer.
Borowicz hatte ja schon als Dirigent der "Festlichen Operngala" eine Woche zuvor mit dem Orchester der Polnischen Nationaloper Warschau einen ausgezeichneten Eindruck hinterlassen, der seinen Ruf unterstrich. Und er erwies sich auch als ein hervorragender Orchesterdirigent, der sehr klare Vorstellungen hat und sie auch umsetzt. Das NSOPR, das handwerklich ausgezeichnet arbeitet, machte ihm da auch keine Probleme. Wenn man beckmessern wollte, könnte man vielleicht sagen, dass die Bläser manchmal etwas geheimnisvoller sein könnten.
Vom Programm musste man allerdings nicht lückenlos begeistert sein. Das g-moll-Konzert op. 22 von Camille Saint-Saëns ist nicht sein stärkstes Stück Musik. Man merkt ihm an, dass es unter erheblichem Zeitdruck entstanden ist. Vieles ist einfach nur Wiederholung, um die Seiten zu füllen. Der Solopart ist virtuos ungemein angedickt und ungemein schwer zu spielen - und man muss sagen, dass Lise de la Salle da souverän durchgepflügt ist, mit enormem Zugriff, mit vollem Risiko und mit erstaunlich vielen Klangfarben. Aber der Orchesterpart! Im ersten Satz könnte man ihn auch weglassen zugunsten einer Klavierfantasie. Auch im zweiten und dritten Satz findet eine Interaktion zwischen Solo und Tutti nicht statt. Es kommen entweder Einwürfe, oder das Orchester musiziert so parallel mit dem Solo, dass es vom Klavier in den Hintergrund gedrängt wird.

Singende Klarinette

Mozarts vier Einlagearien für Sopran und Orchester sind schon in der Originalform eine reizvolle Angelegenheit, weil sie starke virtuose Anforderungen an die Stimme stellen. Schließlich wollten die Primadonnen der damaligen Zeit damit besonders glänzen. Der Hannoveraner Andreas Tarkmann hat die Arien für Sabine Meyer bearbeitet, indem er die Singstimme virtuos aufgepeppt und verschwierigt hat - genau das richtige Futter für die Klarinettistin - wobei die Verdichtung keineswegs Beschleunigung bedeutet. "Schon lacht der holde Frühling" ist in seinem Grundduktus ein ruhiges, heiteres Lied. Aber die dichten Verzierungen, die Sabine Meyer spielte, als seien sie das Normalste der Welt, erweckten den Eindruck hohen Tempos. Andererseits war es erstaunlich, welch weichen Ansatz die Klarinettistin in den schnellen Arien wie "Chi sà, chi sà, qual sia" entwickelte, wenn sie ihn nicht aus Interpretationsgründen schärfte. Wirklich lustvolle Musik.

Eine Stunde Emotion

Nach der Pause also - erstaunlich wenig Besucher waren zum Fußball gewechselt - Sergej Rachmaninoffs 2. Sinfonie. In Fachkreisen wird sie gerne kurz "Rach zwo" genannt, und mancher denkt sich noch ein K davor. Sie hat von Beginn an polarisiert. Man mag diese spätromantische, kalorienreiche Musik, oder man mag sie nicht. Es war das Verdienst von Lukasz Borowicz, die Farbigkeit der Musik auch in den weit entfernten Ecken entdeckt zu haben. Und das Orchester musizierte tadellos, mit großem Einsatz - oft genug sind ja auch tatsächlich alle Musiker beschäftigt. Hier hatte das Orchester die Klarheit, die sie bei Saint-Saëns noch nicht zeigen durfte. Aber Spannung entsteht bekanntlich nicht durch Lautstärke, sondern durch Reibung. Und die hat Rachmaninoff in dieser einstündigen Sinfonie tunlichst vermieden. Eigentlich funktioniert so Filmmusik.