Zu Gast beim mondänen Bruder
Autor: Edgar Bartl
Bad Kissingen, Dienstag, 16. Sept. 2014
Ist die alljährliche Studienfahrt des Bad Kissinger Kreistags und der Bürgermeister doch nur ein Betriebsausflug? Jein. Im Mittelpunkt stehen der Erfahrungsaustausch und der Blick über den Tellerrand. Diesmal war er auf Baden-Baden und das Biosphärenreservat Pfälzerwald / Nordvogesen gerichtet.
Wenn einer eine Reise tut, dann kann er nicht nur was erzählen, sondern auch eine Menge lernen. Das gilt gerade bei einem Baden-Baden-Besuch. Landrat Thomas Bold (CSU) sagte es so: Da könne man sich schon das eine oder andere abschauen. Als ein Beispiel nannte er die "klare Marketingstrategie", die Oberbürgermeisterin Margret Mergen (CDU) und Tourismus-Chefin Brigitte Goertz-Meissner bei einem Empfang im historischen Rathaus vorgestellt haben.
Sie machten deutlich, warum Baden-Baden in den vergangenen 15 Jahren einen rasanten Aufschwung genommen hat.
Beide Kurstädte haben durchaus einiges gemeinsam. Bad Kissingen punktet im direkten Vergleich mit seinen Übernachtungszahlen (1,5 Millionen gegenüber 950 000) und - vor allem - mit seinen Kuranlagen. Baden-Baden ist größer, jünger, quirliger, mondäner. Es gibt wenig Rollatoren, aber viele Luxus-Limousinen. Hervorragend sind das kulturelle Angebot, die Verkehrsanbindung und die Hotellerie mit 16 Vier- und Fünf-Sterne-Häusern. Alleine die beiden Spitzen-Herbergen bieten 481 Betten. Das Casino begrüßt an einem Wochenendtag bis zu 1000 Spieler.
Kleine, feine Geschäfte
Die exklusive Geschäftswelt in der Stadt - OB Mergen: "Klein, aber fein" - spricht besondere Zielgruppen an. Bei Gästen aus Russland, Japan oder Saudi-Arabien sitzt das Geld lockerer als bei Patienten der Rentenversicherung. Zwei Beispiele: Hier wie dort gibt es in der Fußgängerzone einen Fischladen. Beide verkaufen Seelachsbrötchen, der Baden-Badener aber hat auch Langustenschwänze im Sonderangebot. Und eine Vier-Zimmer-Wohnung im Zentrum für 990 000 Euro gilt durchaus noch als "Schnäppchen". Die Russen sind eine wichtige Gästegruppe, das wirkt sich auch auf die Grundstückspreise aus. Viele kaufen sich eine Immobilie, die sie nur wenige Monate im Jahr nutzen und ansonsten leer steht.
Acht Millionen Tagesbesucher
Tourismus-Chefin Goertz-Meissner brachte die Marketingstrategie auf diesen Punkt: "Qualität statt Quantität". Denn "die Masse schaffen wir nicht, dann ist das Kleinod kaputt". Zwischen Kaviar und Aldi werde sich die Nachfrage auftrennen. Die Hotels sähen sich nicht als Konkurrenten, sondern als Partner. Bei 18,2 Prozent der Gäste sei eine Kur der Reisegrund. Sie und knapp acht Millionen Tagesbesucher - viele aus Frankreich und der Schweiz - sicherten einen Gesamtumsatz von 534 Millionen Euro im Jahr. Ein Hauptarbeitgeber aber ist der Südwestrundfunk (SWR).
Ein Politiker habe einmal geklagt, Baden-Baden sei die teuerste Stadt im Ländle. Denn der Staat überweist Zuschüsse in Millionenhöhe. Aber auch die relativ hohe Kurtaxe, die Fremdenverkehrsabgabe und eine Zweitwohnungssteuer spülen Geld in die Stadtkasse.
In einer anderen Liga
Bad Kissingen und Baden-Baden streben mit 14 anderen Kurstädten aus sieben Ländern als "Great Spas of Europe" auf die Liste des Unesco-Welterbes. Dazu sagte OB Mergen, bis zur Bewerbung 2017 müsse noch eine Menge Arbeit geleistet werden. Aber wenn die Vorzüge der Städte in einer schlüssigen Bewerbung vorgelegt würden, "haben wir eine Chance".
Wolfgang Görner, Chef der SPD-Kreistagsfraktion und einer der nur wenigen Teilnehmer aus Bad Kissingen, fasste seine Eindrücke zusammen: "Bei den Kuranlagen braucht Bad Kis singen sich nicht zu verstecken." Ansonsten spielten die beiden Städte in anderen Ligen. Baden-Baden sei, so Thomas Bold, "eines der wirklich großen Bäder. Es könnte durchaus den einen oder anderen Impuls für Bad Kissingen geben".
"Wahnsinniger Imageverlust"
Das gilt so nicht beim zweiten Reiseschwerpunkt, den Biosphären. Dabei spielte auch die Diskussion um die geplante Mega-Stromtrasse eine große Rolle. Hier sei, so Landrat Bold, die Biosphäre "unser wichtigstes politisches Instrument". Die Querung durch eine Riesenleitung brächte einen "wahnsinnigen Imageverlust" mit sich, befürchtet nicht nur der Landrat. Dabei scheint die Rhön in Sachen Biosphäre einen Schritt weiter zu sein, als die Region im Südwesten. Thomas Bold: "Wir haben eine sehr gute Entwicklung genommen und werden auch außerhalb als Vorreiter gesehen."
Dabei wird es den beiden Schutzgebieten nicht immer leicht gemacht. In der Rhön seien es so manche Verwaltungsvorschrift oder Förderrichtlinie. Im Südwesten müsse oft die Sprachbarriere mittels Dolmetscher überwunden werden, sagte Arno Weiß von der Pfalz-Akademie in Lambrecht. Die Verständigung der Nachbarn in Vogesen und Pfalz ist offenbar nicht immer einfach. Gleiches gilt auch bei der Erweiterung der Kernzonen. Arno Weiß stellte die Biosphäre und deren Arbeitsschwerpunkte vor. Ein aktuelles Projekt ist ein Baumwipfelpfad, der in der Rhön auch eine echte Attraktion wäre.
Weinprobe und Museumsbesuch
Nach der Pflicht die Kür. Die "Studienreisen" sollen auch die Arbeitsatmosphäre im neuen Kreistag verbessern, den Insider schon jetzt "harmoniesüchtig" nennen. Das war auch früher schon so. Die meisten Entscheidungen sind einstimmig oder mit großer Mehrheit gefallen. Da schaden gemeinsame Weinprobe und Museumsbesuch nicht. Gesangseinlagen (Wolfgang Back, Bad Bocklet) und Selbstgebrannter aus Schondra (Rita Jörg) haben Tradition.
Stellvertretende Landrätin Monika Horcher (Grüne) sagte, gerade durch solche Fahrten werde das Gemeinschaftsgefühl deutlich verbessert. Erstmals dabei war der neue Nüdlinger Bürgermeister Harald Hofmann (CSU). Er freute sich, die Mitglieder der anderen Fraktionen einmal näher kennenlernen zu können. Sein Eindruck sei positiv. Das gilt auch für die anderen Teilnehmer.
Die Ziele der Studienfahrt
Der Kurort Baden-Baden ist ein Heilbad mit großer Tradition. Schon die Römer nutzten vor 2000 Jahren die zwölf Thermalquellen. Die 53 000-Einwohner-Stadt hat zwei Thermen, das älteste Casino der Welt sowie das zweitgrößte Opern- und Konzerthaus Europas. Die Gäste kommen aus der ganzen Welt. Ihnen stehen Hotels aller Kategorien mit 5400 Betten, fünf Museen, neun Golfplätze in der Region, 400 Kilometer Wander- und 150 Kilometer Reitwege zur Verfügung. Wichtige Zielgruppen sind Russen und Araber. Die Geschäftswelt hat sich auf dieses Klientel eingestellt, viele Angebote werden auch auf Russisch gemacht. Legendär sind die Galopprennen in Iffezheim und andere Events. Baden-Baden ist auch mit dem ICE und per Regionalflughafen zu erreichen.
Die Umgebung 310 500 Hek tar groß (180 000 Hektar in Deutschland) ist das seit 1992 anerkannte, grenzüberschreitende Biosphärenreservat Pfälzerwald / Nordvogesen. Es umfasst neun Landkreise und kreisfreie Städte. Dort leben in 102 Kommunen 230 000 Menschen. Besonderheiten sind das größte zusammenhängende Waldgebiet Deutschlands, viele Buntsandsteinformationen, 7000 Kilometer Wanderwege, rund 100 Felsenburgen und der "Hüttenzauber". 85 Prozent der Besucher sind Wanderer. Außerdem kommen Mountainbiker, Reiter und Paraglider. Ein großer Teil der Fläche wird intensiv für den Weinbau genutzt. Wie auch in der Rhön geht es darum, die Infrastruktur zu verbessern. Hier wie dort ist die Nutzung der Windkraft sehr umstritten. Die Schaffung einer Dachmarke ist bislang am Widerstand der Partnerbetriebe gescheitert.