Wenn die Mama ein Mann ist
Autor: Gerhild Ahnert
Bad Kissingen, Montag, 16. Mai 2016
Ein Problemkind kommt ins Haus einen gleichgeschlchtlich männlichen Ehepaares. Das kann durchaus amüsant sein, auf jeden Fall lehrreich - für die Zuschauer.
In den Fernsehern im richtigen Leben draußen vor dem Kurtheater lief das Finale des Eurovision Song Contest 2016 in Stockholm. Aber wer stattdessen die in Stockholm 1994 uraufgeführte Komödie "Patrick 1,5" im Kurtheater als Abendunterhaltung gewählt hatte, war wohl besser dran, denn bei der Großveranstaltung klang nach Meinung von Augenzeugen alles gleich.
Auf der Bühne dagegen war so manches anders als gewohnt und das machte großes Vergnügen.
Titelheld Patrick ist ein Adoptivkind, das bei zwei Schwulen einziehen soll. Da beim Alter "1,5" steht, haben sie das Kinderzimmer mit allem gefüllt, was ein Eineinhalbjähriger an Buntem haben sollte: Plüschtiere, Puppen, poppige Plastiktrinkgefäße, Bobby Cars in Rot und Gelb, ein kleiner Laptop mit Zeichentrickfilm für die ganz Kleinen.
Und Göran trainiert beim Warten auf das Kind anhand einer Audio-Anleitung Windelwechseln und schwärmt unablässig von dem "süßen kleinen Patrick", der seinem Partner und ihm ihren lang ersehnten und durch alle Instanzen des schwedischen Adoptionsrechts verfolgten Wunsch erfüllt.
Göran ist sauer
Und dann steht ein Halbwüchsiger im Raum und ist nicht, wie Göran annimmt, der neue Postbote, sondern
"ihr" Patrick. Bei dessen Altersangabe ist dem Jugendamt halt das Komma verrutscht (wieso das nach der Fünf einen Sinn gemacht hätte, weiß man nicht so genau). An diesem Patrick ist nichts süß: aus seiner Akte erfährt man, dass er straffällig geworden ist, jemanden mit dem Messer tödliche Verletzungen beigebracht hat.
Und er macht seiner Wut darüber, in einen Schwulenhaushalt geschickt worden zu sein, mit drastischen Beschimpfungen seiner beiden "Väter" Luft. Da kommt alles raus an Ressentiments gegen Homosexuelle, die bald mit ihren Vorurteilen gegenüber jugendlichen Verbrechern nicht weniger heftig zurückschlagen.
Das Theater als Reagenzglas
Die Zuschauer als Beobachter von Menschen, deren Zusammentreffen turbulente Reaktionen
hervorruft, das ist der Normalfall. Hier sind es Menschen, die viele der Zuschauer nicht wirklich kennen, weshalb sie Patricks Vorurteile gegenüber schwulen Paaren und die von Göran und seinem Partner Sven gegenüber asozialen Jugendlichen zumindest alle schon mal gehört haben. Dass aus der heftigen Reaktion beim Aufeinandertreffen einmal ein nicht nur freundlicher, sondern liebevoller Umgang miteinander werden kann, wenn man nicht dichtmacht und auf seinen Vorurteilen hocken
bleibt, sondern sich einlässt auf das Anderssein der Anderen, führt das Stück vor.Und es nimmt seine Zuschauer mit in diese Erfahrung, denn die drei Protagonisten schaffen es in eineinhalb Stunden, dass die Zuschauer das Anderssein ihrer Rollenfiguren völlig vergessen, da sie sie als skurrile, aber warmherzige - Göran mit verrückten Erfindungen und echtem Interesse an Patricks verquerter Lebensgeschichte - oder zutiefst verletzte und nach Geborgenheit suchende - Patrick, um den sich keiner kümmern kann/will - oder von ihrem Job bis zum heimlichen Alkoholismus gefrustete - Sozialarbeiter Sven mit tiefen Hass auf seinen Chef und einige seiner Klienten - Menschen kennen und lieben lernen.
Eine - andere - Familie
Die trotz aller Ehe-Kabbeleien sehr tiefe Liebe zwischen den beiden Schwulen, ihr von ihnen nie in Frage gestelltes Zusammengehörigkeitsgefühl schaffen eine Familie
für den gestrandeten Patrick mit seiner Homophobie. Der mosert an seinen Vätern herum wie ein Jugendlicher bei den Eltern, wenn er sie beim Schmusen überrascht, aber er befragt sie auch nach ihrer Lebensgeschichte als Schwule, vom Erkennen ihres Andersseins über die Reaktionen der Eltern bis zum ausgelassenen Glücklichsein an ihrem Hochzeitstag.
Alle drei lernen sich kennen und dadurch lieben und das tut auch das Publikum.Thomas Rohmer hat die knackig kurze Spielfassung des 2008 in Schweden sehr erfolgreich verfilmten skandinavischen Erfolgsstückes erstellt und selbst Regie geführt. Aber obwohl das Programmheft keinen Hehl daraus macht, dass es bei diesem Stück um Aufklärung über Reizthemen wie "Gleichstellung der Homo-Ehe" oder "Schwulenadoptionsrecht" geht, haben sie es geschafft, aus dem Blick aufs Reagenzglas einen fesselnden Einblick in eine zunächst andere, zunehmend völlig normal wirkende Familienkonstellation zu machen.