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Unterfranken: Wegen Vergewaltigung vor Gericht - Wo waren seine Finger?


Autor: Carmen Schmitt

Bad Kissingen, Montag, 22. Oktober 2018

Was als Kaffeekränzchen begonnen hatte, endete mit einer Anzeige wegen Vergewaltigung. Der 49-jährige Angeklagte gibt alles zu - fast.
Lust auf ein "Nümmerchen" hatte das Opfer nicht. Auch für Geld wollte sie nicht mit dem Angeklagten ins Bett. Der 49-Jährige aus dem Landkreis versuchte es dann doch - mit Gewalt. Symbolfoto: Matthias Balk/dpa


Bis wohin sind die Hände von Olaf K.* vorgedrungen? Auch ein Gutachten konnte dem Gericht nicht die letzte Gewissheit liefern. Opfer und Täter widersprechen sich. Es geht um viel für den 49-jährigen Angeklagten. Olaf K.* (*Namen von der Redaktion geändert) sitzt wegen eines schweren Vorwurfs auf der Anklagebank im Kissinger Amtsgericht: Vergewaltigung und vorsätzliche Körperverletzung. Ein Jahr ist es her. Das meiste von dem, was die Staatsanwältin aufzählt, gibt er zu. Beim entscheidenden Punkt bleibt er dabei: "Auf keinen Fall." Ein Rechtsmediziner soll jetzt Licht in den Fall bringen.

"Ich weiß nicht, welcher Teufel mich geritten hat", sagt der 49-Jährige heute. Normalerweise lehne er Gewalt ab. An diesem Vormittag schmiss er seine Prinzipien wohl über Bord.

Eigentlich kam er in guter Absicht. Und eigentlich war er schon am Gehen, bevor das passierte, was eine umfängliche Gerichtsverhandlung losgetreten hat.

Es war ein Montag. Olaf K. hatte Urlaub. Auf dem Heimweg vom Einkaufen fiel ihm die Bitte seines Chefs ein. Der Sprössling einer alten Bekannten suchte doch Arbeit, erinnerte er sich, sein Boss wiederum fähige Leute. Er klingelt und im nächsten Moment sitzen er und Rita R.* bei einem Käffchen zusammen in der Küche und gucken Fotos vom letzten Urlaub an.

Man kennt sich: Beide haben mal im gleichen Ort gewohnt. Schon früher hatte der Angeklagte mit dem Ehemann von Rita R. zu tun, als er sich in der Vereinsarbeit engagierte. Man kennt sich sogar noch besser: Vor 20 Jahren soll es eine Art "Techtelmechtel" gegeben haben. Olaf K.* berichtet von einem pikanten Flirt: Rita R. habe ihn kurzerhand zu einem Shopping-Trip eingeladen. Auf dem Einkaufszettel: Sex-Spielzeug. Außer Gefummel sei damals aber nichts gelaufen, sagt der 49-Jährige.

Angeklagter bot Opfer Geld

"Wollen wir ein Nümmerchen schieben", habe er sie gefragt, als sie damals vor einem Jahr so gesellig in der Küche beieinander gehockt hatten. Genauso wie auf die Frage, ob sie ihm einen blasen wolle, lehnte Rita R. ab. Nein, auch nicht für Geld. Nach einem halben Stündchen Plausch verabschiedete sich der Angeklagte, erzählt er. Die 40-Jährige bog daraufhin ins Wohnzimmer ab und ließ sich auf einer Matratze nieder, die dort für ihren Hund gelegen haben soll. "Na, vielleicht hat sie es sich ja doch überlegt", dachte sich Olaf K.

Der 49-Jährige sitzt neben seinem Anwalt, die Hände gekreuzt auf dem Tisch vor sich. Kleine Augen, die Miene starr, Doppelkinn, kurz rasierte Haare. Der Mann lebt auf dem Dorf. Seit kurzer Zeit hat er wieder eine Freundin. Dass er heute hier sitzt, davon weiß fast niemand. Auch nicht seine Eltern, sagt er. Er habe Angst um deren Gesundheit. Olaf K. antwortet, wenn er gefragt wird. Direkt, ruhig und klar. Jeans, T-Shirt, Turnschuhe, der Brustkorb hebt sich schnell. Mit seinen knapp 100 Kilo hatte er Rita R. schließlich da, wo er sie haben wollte. Unter ihm.

"Sie hat sich gewehrt", sagt Olaf K. Als er sich erst neben und dann auf sie legte. Er hält sie fest, drückt sie zurück, grabscht nach der Brust, schlüpft unters Shirt, küsst sie. Olaf K. beschreibt das, was in der Wohnung passiert ist als "Gerangel", das ihm "furchtbar Leid" tue. "Ich erkenne mich selbst nicht wieder. Ich würde es rückgängig machen, wenn ich könnte." Nein, entschuldigt habe er sich nicht. "Ich hatte Angst vor der Reaktion, ich habe mich nicht getraut." Wie Rita R. die Sache erlebt, erfährt die Öffentlichkeit nicht.

Mit der Hand in die Hose

Während sie als Nebenklägerin auf die Fragen des Gerichts antwortet, werden die Zuhörer nach draußen geschickt. Inklusive ihres Ehemanns. Obwohl sie gesagt habe "hör auf", habe er weitergemacht, gibt Olaf K. zu. Mit seiner Hand rutscht er in ihre Hose. Was dann passiert, bildet den Knackpunkt für das Gericht. Ist Olaf K. mit seinen Fingern in die Scheide von Rita R. eingedrungen? Der Täter sagt Nein, das Opfer sagt Ja.

Ein Gutachten der Frauenärztin attestiert keine Verletzungen bei der Mutter. Ein Notarzt stellt eine Oberschenkelzerrung bei ihr fest. Laut Auswertung der Spurensicherung sind überall bei Rita R. DNA-Spuren von Olaf K. gefunden worden: Leggins, T-Shirt, Unterwäsche, Brust. Nur hier nicht: im Genitalbereich.

Für den Anwalt des Angeklagten Grund genug, die Einschätzung eines Experten einzufordern. Nach Ansicht der Staatsanwältin überflüssig, doch das Gericht willigt ein. Bei der Fortsetzung der Verhandlung soll ein Rechtsmediziner und DNA-Experte befragt werden. Das Gericht will dann die Frage klären, mit welcher Wahrscheinlichkeit DNA-Spuren von Olaf K. im Genitalbereich von Rita R. gefunden worden wären, wenn es sich so zugetragen hätte, wie das Opfer behauptet.

Fortgesetzt wird die Verhandlung am Donnerstag, 25. Oktober, vor dem Schöffengericht am Bad Kissinger Amtsgericht. Beginn ist um 9 Uhr.

Sexualstrafrecht Vor zwei Jahren ist ein neues Sexualstrafrecht in Kraft getreten. Die bestehende Rechtsprechung sollte durch diese Reform verschärft werden. Im Zentrum der Neuerung: das Prinzip "Nein heißt Nein". Damit soll künftige ein deutliches "Nein" vor einem Übergriff wie Grabschen oder Küssen ausreichen, um einen Täter vor Gericht zu bestrafen. Der Paragraf 177 des Strafgesetzes, in dem es um sexuelle Nötigung und Vergewaltigung geht, wurde dahingehend angepasst.

Voraussetzung für eine Bestrafung ist seither nicht mehr, ob Gewalt angedroht oder angewandt wurde oder ob sich das Opfer körperlich gewehrt hat. Entscheidend für die Rechtsprechung: Eine sexuelle Handlung passiert gegen den Willen des Opfers und das war für den Täter erkennbar. Der erneuerte Paragraf soll die sexuelle Selbstbestimmung in Zukunft besser schützen. Im Juli 2016 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Gesetz - einstimmig. bcs