Druckartikel: Warum Gerd Schaller und die Philharmonie Festiva in Bad Kissingen wie entfesselt spielten

Warum Gerd Schaller und die Philharmonie Festiva in Bad Kissingen wie entfesselt spielten


Autor: Thomas Ahnert

Bad Kissingen, Montag, 10. Januar 2022

Gute Laune im Max-Littmann-Saal: Der Chef und sein Projektorchester werden in diesem Jahr nicht allzu viele Gelegenheiten zum gemeinsamen Auftreten gehabt haben.
Johannes Gmeinder (vorne) erwies sich als ein Musiker, der Töne gleichsam aus dem Nichtshervorholen kann, der ein gutes Gespür für Phrasierungen und dynamische und klangliche Differenzierungen hat.


Es war, man kann es nicht anders sagen, das richtige Konzert zur rechten Zeit, auch wenn es das Abschlusskonzert war. Am Beginn eines Jahres, das vor allem Trübsinn verspricht, wurde zum Ende des Winterzaubers 2021/22 ein Programm zusammengestellt, das man unter Normalbedingungen vielleicht als ein bisschen gefällig bezeichnen würde. Aber jetzt war es genau richtig, denn bei Rossinis "Barbiere"-Ouvertüre, Mozarts Klarinettenkonzert und Beethovens 7. Sinfonie konnte man, trotz Einlasskontrolle und Maskenpflicht, Corona einmal für eineinhalb Stunden vergessen.

Es lag allerdings nicht nur am Programm, dass schon bald gute Laune im Max-Littmann-Saal einzog, sondern auch an den Ausführenden. Gerd Schaller und die Philharmonie Festiva spielten auf wie befreit, um nicht zu sagen: entfesselt. Der Chef und sein Projektorchester werden in diesem Jahr nicht allzu viele Gelegenheiten zum gemeinsamen Auftreten gehabt haben.

Rossinis Ouvertüre zu "Il barbiere di Siviglia" ist ja an sich schon schwungvoll und schmissig. Aber hier bekam sie nach einem kurzen, behutsamen Hineintasten einen mitreißenden Vortrieb, eine enorme Zielstrebigkeit. Wobei die Unruhe, die die Musik so ansteckend machte, nie aufgesetzt oder verhetzt wirkte, sondern aus einer untergründigen Agogik. Und dann war dieses Furiosum mit seinen Überraschungen und Beschleunigungen auch noch blitzsauber musiziert. Besser konnte das Konzert nicht beginnen.

Als dann Johannes Gmeinder mit seiner Klarinette das Podium betrat, kam man schon kurz ins Nachdenken: Wie viele hundert Male hat er Mozarts letztes vollendetes Konzert wohl schon gespielt? Nicht nur, weil es bei Veranstaltern und Publikum sehr beliebt ist, sondern auch, weil es nicht allzu viele Konzerte für die Klarinette gibt. Umso größer war die Überraschung, als das Orchester in der langen Exposition die Themen vorgestellt hatte und der Solist einsetzte: Das war alles andere als runtergenudelt: Johannes Gmeinder erwies sich als ein Musiker mit einem wunderbaren Ansatz, der Töne gleichsam aus dem Nichts erzeugen und hervorholen kann, der ein gutes Gespür für Phrasierungen und dynamische und klangliche Differenzierungen hat. Und den auch Mozarts virtuose Höchstanforderungen wie vor allem im Finalsatz nicht aus der Ruhe und Klarheit bringen können. Der langsame Satz mit seinen langen Bögen wurde zum emotionalen Höhepunkt, die beiden Ecksätze zu Beispielen einer unaufgeregten Virtuosität und spielerischen Souveränität, die Spaß machte.

Allerdings musste auch Gerd Schaller seine Leute nicht extra bitten, sich auf dieses Spiel einzulassen. Sie fanden zu einer ausgezeichneten Balance im Zusammenspiel mit dem Solisten, spielten genauso gestalterisch engagiert und lieferten Vorlagen. Wirklich ein Musizieren auf Augenhöhe.

"Was soll man nach so einem Werk, Mozarts letzter abgeschlossener Komposition, noch als Zugabe spielen?", fragte Johannes Gmeinder. Er hatte eine überraschende, aber auch ausgezeichnete Lösung gefunden: "Gehen wir in die Oper. Ich werde Ihnen eine Orchesterstelle spielen. Sie kennen sie." Da hatte er recht. Sie war allerdings nicht von Mozart, sondern von Giacomo Puccini aus seiner Oper "Tosca". Zu Beginn des 3. Aktes schreibt der zum Tode verurteilte Maler Cavaradossi in seinem Verlies in der Engelsburg einen Abschiedsbrief an seine Geliebte Tosca: "E lucevan le stelle" - eine der emotionalsten Melodien, die Puccini gefunden hat und eine Bravour-Arie nicht nur für Tenöre, sondern auch für Klarinettisten, die diese Melodie einführen und begleiten.

Ja, und dann Beethovens 7. Sinfonie, die ja nun auch eines der bekanntesten und meistgespielten Werke der Klassik, nicht nur der Wiener Klassik ist. Aber auch hier gab es Überraschung. Fast so, als seien alle auf dem Podium froh, mal wieder eine Sinfonie spielen zu können, nahm Gerd Schaller die Tempi durchgehend ein bisschen schneller als üblich, und das kam der Musik ungemein zugute.

Schon der Beginn des ersten Satzes, in dem sich die Musik zwischen markanten Akkordschlägen in das Geschehen hineintastet, war nicht bremsend zelebriert, sondern spannend beschleunigt. Vor allem aber der lange zweite Satz mit dem berühmten Trauermarsch behielt so seine unzeremonielle Spannung und rückte die rhythmische Gestaltung in den Vordergrund.

Im 3. und 4. Satz ließ Gerd Schaller seine Leute dann endgültig von der Leine. Da wurde mit einer Kraft musiziert, dass man als Zuhörer kurzatmig werden konnte. Sicher ähnelten sich die beiden Sätze dadurch ein wenig, aber nicht nur das sichtliche Spielvergnügen, sondern auch das Hörvergnügen litten nicht im Geringsten. Und bei so viel musikalischer Kraft bekam man plötzlich ein Gespür dafür, warum Beethoven gerne als Wegbereiter der Romantik bezeichnet wird. Ein fulminantes Ende.

Die Zugabe konnte man sich schon fast denken, nachdem die Philharmonie Festiva und Gerd Schaller dem Publikum ein gutes neues Jahr gewünscht hatten: Nein, nicht der Radetzkymarsch, sondern der Ungarische Tanz Nr. 5 von Johannes Brahms. Der ist auch ein bisschen spannender.