Urban Priol in Bad Kissingen: Wieso ist die Diskussion eigentlich weiblich?
Autor: Thomas Ahnert
Bad Kissingen, Dienstag, 19. Oktober 2021
Wer sich auf Urban Priol einlässt, braucht nicht nur geistige und physische Kondition, er muss auch up-to-date sein, was die tägliche Politik betrifft. Dann allerdings ist der Abend ein geistreiches Vergnügen.
Beginnen wir mit einer völlig unsatirischen Behauptung: Urban Priol ist ein Klassiker. Begründen lässt sie sich auf zwei Wegen. Zum einen mit der Beobachtung, die man auch beim Kissinger Sommer und in der übrigen Welt machen kann: Klassik ist etwas für die Grauhaarigen, die Silberlocken, die älteren Leute. Wer sich während des Wartens auf Urban Priol im Max-Littmann-Saal - die Einlasskontrollen dauerten eine Viertelstunde länger als vorgesehen - umsah, der fragte sich schnell, ob überhaupt Besucher unter 50 Jahren gekommen waren (Ein paar waren es natürlich schon). Das Publikum scheint mit seinem Kabarettisten alt geworden zu sein. Gedanken über ein Aussterben muss man sich wie bei der klassischen Musik allerdings nicht machen: Die Senioren gehören in die Gruppe der nachwachsenden Rohstoffe. Bei den Kabarettisten wird das schon schwieriger.
Ein Klassiker ist Urban Priol aber auch und vor allem deshalb, weil er ein kompromissloser Vertreter des klassischen Kabaretts ist, und kein Comedian. Das soll nicht heißen, dass Comedians Kleinkünstler sind, bei denen es zum Kabarettisten nicht gereicht hat. Sie bewegen sich nur in anderen Themenkreisen. Kabarettisten kümmern sich um das Allgemeinmenschlich-Politische mit größtmöglicher Aktualität, Comedians eher um das Allgemeinmenschlich- Private - wobei die Grenzen natürlich fließend sind.
Bei Stand-up-Comedians - auf Deutsch: "komische Aufsteh-Schauspieler" - ist das etwas anders. Die kümmern sich, möchte man meinen, vor allem um ihr Selbstwertgefühl. Vor allem Letztere haben mit ihrer steigenden Beliebtheit bei den jüngeren Leuten dem Kabarett ein bisschen das Wasser abgegraben. Sie bieten halt auch leichter Konsumierbares.
Und das ist genau das, was Urban Priol nicht bietet. Wer sich auf ihn einlässt, braucht nicht nur geistige und physische Kondition - drei (!) Stunden Dauerbeschuss (auch mit einer kleinen Pause) muss man das erst einmal durchstehen. Und wer politisch ahnungslos ist, wer nicht weiß, was zurzeit im Lande auf den politischen Bühnen läuft, wer nicht regelmäßig Zeitung liest, Radio hört oder fernsieht, muss diese drei Stunden einigermaßen hilflos absitzen. Selbst Meldungen aus den Abendnachrichten des Auftrittstages werden noch thematisiert. Und die eine oder andere Pushmeldung vom Handy in der Pause.
Man braucht allerdings auch eine enorme Kondition beim Zuhören und Auffassen, weil Urban Priol einer ist, der sehr genau mit dem Sprechtempo spielt, der genau weiß, wann er seinem Publikum mal ein bisschen Zeit zum Atemholen oder geistigen Nachkommen lassen muss. Der es aber am liebsten fordert durch hohe Geschwindigkeit - ohne den Eindruck des Improvisatorischen zu verwischen - natürlich sind nicht alle, aber die meisten Improvisationen zuvor ausformuliert.
Wobei im Augenblick eine Erschwernis hinzukommt: Man wird den ganzen Abend über nicht den Eindruck los, dass Urban Priol alles das, was er in den letzten eineinhalb Jahren nicht sagen durfte und konnte, jetzt in kürzester Zeit nachholen will. Ein gemütlicher, entspannter, humoriger Abend sieht anders aus.
Natürlich hat Urban Priol zwei große Themen, die auch noch ineinander übergehen, weil sie sich gegenseitig in die Quere gekommen sind: Corona und Wahlkampf. Und für beide haben ihm die politisch Verantwortlichen im Lande reichlich Steilvorlagen geliefert. Dass Armin Laschet, Markus Söder und ihre Parteien ihm die meisten Stichwörter geliefert haben, heißt nicht, dass Priol eine linke Socke ist. Er teilt in alle Richtungen aus. Allerdings: "Olaf Scholz kann man eigentlich nur pantomimisch zitieren."