Uralt und doch ganz gegenwärtig
Autor: Gerhild Ahnert
Bad Kissingen, Montag, 23. März 2015
Die griechische Tragödie "König Ödipus" begeisterte im Bad Kissinger Kurtheater. Der Truppe des "a.gon"-Theaters gelang es, den antiken Stoff für moderne Menschen fassbar zu machen.
Antikes griechisches Drama - uncool, ganz vorgestrig, ein alter Hut? Die Zuschauer im Kurtheater wurden eines Besseren belehrt: Schon das Stück verdient die Aufnahme ins "Unewsco Welterbe für Geschriebenes" denn "König Ödipus", um 420 vor Christus entstanden, hat schon immer das europäische und globale Denken beeinflusst. Schon zur Entstehungszeit galt es als das ideale Drama
In diesem Drama ist in fast unheimlicher Weise alles vorhanden, was die Tragödien und
Trauerspiele in den nächsten zweieinhalb tausend Jahren immer wieder darzustellen versuchten: der Große, der durch das Glücksrad nach oben getragen wird und genauso flugs nach unten stürzt, der Verbrecher, der mit seiner Tat schuldig wird, seinen ganzen Staat ins Unglück stürzt und am Ende sich und sein gesamtes Umfeld zerstört.
Trotz seines Alters ist "König Ödipus" aber auch so anrührend geblieben, weil sein ganz persönliches Schicksal uns berührt: Sein Leben lang hängt über ihm jene Weissagung, dass er seinen Vater töten und seine Mutter heiraten wird. Und alle Anstrengungen, diesem Schicksal zu entgehen führen dann doch genau dorthin. Ohne seinen echten Vater zu kennen, erschlägt Ödipus diesen und heiratet unwissend seine echte Mutter. Die beiden werden in ihrer inzestuösen Ehe glücklich, bis plötzlich alles schief geht und Ödipus in einer Art kriminalistischer Bestandsaufnahme herausfindet, dass er selbst schuld an dem Unheil ist, das die Götter über die ihm regierte Stadt verhängen. Eine entsetzliche Erkenntnis, ein erschütternder Zusammenbruch.
Scheu vor dem schwierigen Text, dem Tragischen, dem Philosophischen auf der Bühne, erwies sich als unbegründet, denn die Truppe des a.gon-Theaters München, das zum ersten Mal beim Theaterring im Kurtheater gastierte, schaffte es, diese Handlung uns Heutigen nahe zu bringen, es fast ganz heutig erscheinen zu lassen. Regisseur Stefan Zimmermann und sein Ausstatter Peter Schultze haben haben den Text entschlackt, mit einigen Gegenwartsfloskeln versehen, ihm jedoch weitgehend die Würde einer Versrede gelassen. Sie haben ihm einen Spielort geschaffen, der gleichermaßen die antike Würde eines Tempels mit Opferstelle wie die moderne Kulisse einer Public-Viewing-Wahlkampfrede vermitteln konnte. Und sie haben die im Stehen deklamierten steifen Wechselreden der Antike aufgebrochen in eine vielschichtige Handlung mit ganz heutigen Emotionen, einer wohldurchdachten Mimik und genauer Personenregie, die spannende Dialoge zwischen dem vierköpfigen Chor aus Händlerinnen vor dem Tempel, den drei Protagonisten Ödipus, Iokaste und Kreon wie auch den Hirten, dem Seher, dem Boten zuließen.
So wurde das Ganze keineswegs zu einer musealen Kulturerbe-Vermittlung, sondern es gab zu sehen, zu hören, alle Möglichkeiten der Veranschaulichung wurden genutzt - bis hin zu den Schutzanzügen und Desinfektionssprays, weil doch Ödipus die Seuche über Theben gebracht hat.
Mit Oliver Severin war der Part des König Ödipus mit einem Typen besetzt, der durchaus zeigen konnte, dass es nicht nur das blinde Schicksal ist, das bei ihm wütet. Er wurde als der kleine Aufsteiger, geschickt manipulierende Politiker gezeigt, der sich in die recht unverhofft errungene Macht verliebt hat und von ihr korrumpiert ist. Er lästert die Götter, er foltert ihren Mittelsmann, den Seher Teiresias, er ist so unsicher, dass er sofort seinen wohlmeinenden Schwager Kreon verdächtigt, nach seinem Thron zu gieren und ihn hinrichten lassen will. Hier verstieg sich wirklich und deutlich einer in Hybris, Hochmut, Überheblichkeit, die auch in einer Tragödie vor dem Fall kommen. Und dennoch konnte man sich doch auch identifizieren mit ihm in seiner dringlichen Suche nach den Mördern seines Vorgängers, in seiner Liebe zu Iokaste und der Angst in seiner "beruflich unsicheren Situation".
Nicole Spiekermann spielte die Iokaste ganz heutig, als loyale Gemahlin, die den Gatten wirklich liebt, und die dann in ihrer Verzweiflung zusammenbricht, als sich herausstellt, dass sie mit ihrem Sohn das Bett geteilt hat, der ihren vorherigen Mann erschlagen hat.
Stefan Rehberg erschien zunächst als ein standhafter, würdiger Kreon, doch zeigte er am Schluss in seiner lamettabehängten Uniform, dass Ödipus durchaus Recht hatte mit dem Verdacht, dass er Ödipus aus dem Weg und sich auf dem Thron sehen wollte - der Mythos zeigt ihn ja auch als den unbeugbar herrschenden Onkel, an dem in Sophokles "Antigone" die Titelheldin zerbricht. Gut besetzt und gespielt auch die Rollen von Priester und Bote, die Michael Althauser mit viel Überzeugungskraft übernahm und vom blinden Seher Teiresias und dem alten Hirten, die Georg Luibl sehr eindrücklich in ihrer Altersschwäche und Bestimmtheit spielte. Die vier Damen Adela Florow als Chorführerin und Sandra Bosch, Sophie Meinecke und Dominique Elisabeth Layla zeigten wie die ganze Aufführung, dass man auch den antiken Chor, das äußerst unrealistische Mittel des gemeinsamen rhythmischen Sprechens ernst nehmen und als ebenso faszinierend fremdes wie auch in der Handlung vollkommen plausibles Element der Kommentierung des Geschicks von Ödipus und der Menschheit insgesamt nutzen kann.
Die so packende Begegnung mit einem der ältesten Stücke unseres Kulturraums versetzte das Kissinger Publikum in Staunen ob der Wucht und Spannung dieses uralten Stoffes und in Begeisterung ob der leichthändig-überzeugenden Bewältigung der Hauptaufgabe des Theaters durch die Truppe: das Fremde, die Fremden aus dem Text nahe bringen, sodass wir uns in ihnen erkennen. Das ist geglückt und der immer wieder aufbrandende Schlussbeifall freute die Akteure sichtlich.