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Unschöne reiche Welt


Autor: Gerhild Ahnert

Bad Kissingen, Donnerstag, 17. Dezember 2015

Mit der Bühnenadaption von F. Scott Fitzgeralds berühmtem Roman "Der große Gatsby" gastierten die Theatergastspiele Kempf im Kurtheater.
Jay Gatsby (links hinten Hans Piesbergen), muss mitansehen, wie sein Lebenstraum, seine Jugendliebe Daisy (Ursula Buschhorn), zu ihrem Ehemann Tom (Thorsten Nindel) zurückfindet, während Nick (Henrik Winkler) und Jordan (Nicole Lohfink) das Ende ihrer Beziehung schon mit ihrer Körpersprache deutlich machen.  Foto: Ahnert


Wer ist Gatsby? Ist er einer von uns? Oder nur einer von den schnell reich gewordenen Aufsteigern? Die Frage bewegt New Yorks Superreiche der 1920er. Die Leser von F. Scott Fitzgeralds berühmtem Roman über sie, "Der große Gatsby", hält sie ebenfalls in Spannung. "Der große Gatsby" katapultierte seinen Autor in die Höhen der Weltliteratur und wird noch immer als ein Sittenbild der "roaring twenties", des Jahrzehnt des schnellen Reichtums für einige und des

verheerenden Absturzes in die Wirtschaftskrise für fast alle, geschätzt und wurde vor einigen Jahren von Hollywood zum Blockbuster verfilmt. Der schwelgt im Ambiente der bombastischen Villa, die der superreiche Gatsby auf Long Island zu dem einzigen Zweck erbaut hat, Daisy, die Liebe seines Lebens, doch noch zu gewinnen, die in seiner Abwesenheit einen stinkreichen Macho-Hohlkopf aus dem amerikanischen Geldadel geheiratet hat.


Gesellschaftskritik eines Insiders

Fitzgerald spart nicht an Kritik an diesen gelangweilten Verschwendern, stellt ihnen aber die andere Welt, die der einfach gestrickten, leicht zu lenkenden Leute inmitten mörderischer Industrieanlagen, keineswegs klassenkämpferisch ideal, sondern eher als dumpf und abstoßend gegenüber.


Nicht ganz einfache Umsetzung

Dieses große Panorama in ein Theaterstück umzuformen, haben Gerold Theobalt als Autor und Silvia Armbruster, die Regisseurin der Theatergastspiele Kempf, unternommen. Haben sie es geschafft, dieses Herunterdampfen auf zweieinhalb Stunden Theater? Nun ja, es gab in der Tat die berühmten Gewichtsverluste durch die Arbeit mit Andeutungen wie rhythmischen Schlägen aus dem Lautsprecher anstelle einer ganzen Industrielandschaft, bluesig-jazzigen Musikeinlagen (zum Vergnügen des Publikums live musiziert) als Symbole für den gewaltigen musikalischen Aufbruch des Jazz Age, gut choreographierte Tänze zur Darstellung der ausgelassenen "Tänze auf dem Vulkan". Und es gab herrliche Zeitkostüme. Aber die Aufführung machte keinen Hehl daraus, dass Bühnenillusionen im Kopf der Zuschauer entstehen müssen.(Ausstattung: Claudia Weinhart) Dass die Zuschauer anlässlich einer Party bei Gatsby einzeln und persönlich als die Finanzmagnaten jener Zeit begrüßt werden, macht diesen auch noch großen Spaß.


Das Ende ist der Anfang

Theaterillusion wird laut Shakespeare durch das Wort geschaffen und dafür ist Nick Carraway zuständig, ein Hungerleider aus dem Mittleren Westen, der in New York sein Glück als Börsenmakler suchte. Da er es aber ablehnt, sich in lukrative, weil illegale Geschäfte verwickeln zu lassen, fährt er am Ende genauso arm nach Hause zurück. Er beobachtet das Geschehen, erzählt, kommentiert, leitet über, ist aber auch Teil der Clique, in die er als ländlicher Cousin von Gatsbys Angebeteter Daisy, und Nachbar von Gatsby gerät. Hendrik Winkler spielte diese Rolle, die ihn fast ständig auf der Bühne hält, sehr charmant als Conférencier, sehr zurückhaltend als Möchtegern-Liebhaber von Daisys Tennisstar-Freundin Jordan und sehr eindrücklich in seiner romantischen Schwärmerei für Daisy und seiner Bewunderung und Zuneigung für den Aufsteiger Gatsby. Die reiche Jordan Baker ist für ihn genauso unerreichbar wie es Daisy für Gatsby war. Nicole Lohfink spielte Jordan als coole Sportsfrau, als Vertreterin des anderen Rollenbildes der Frau in den 20ern. Sie ist ein gefeierter Star und möchte ihre neu errungene Freiheit nicht unbedingt angesichts des Drängens ihrer Familie auf Suche nach einem Ehemann aufgeben.


Vertreter der Unterschicht

Die beiden Vertreter der Unterschicht, der Mechaniker und Tankwart George Wilson und seine sex-, geld- und aufstiegsgeile Frau Myrtle, Geliebte von Daisys Ehemann Tom Buchanan, fungieren in der komprimierten Bühnenfassung noch deutlicher als Katalysatoren der Katastrophe des Jay Gatsby. Stephanie Marin spielte Myrtle lasziv und raffiniert in ihren Dessous in der dezent hinter das Sofa verlegten Sexszene, machte aber auch die wilde Sehnsucht dieser nicht ganz so dumpfen Person nach einem anderen, besseren Leben deutlich. Andreas Bittl gab ihren Mann George als brutalen Macho, der sie schlägt, einsperrt, als sein Eigentum behandelt und der sich kritik- und problemlos von Tom Buchanan in den Mord an Gatsby treiben lässt. Thorsten Nindel spielte ihren Liebhaber und Daisys ständig untreuen Ehemann Tom strotzend vor Selbstbewusstsein und seinem Wissen um seine Privilegiertheit, körperliche und sexuelle Überlegenheit und seinem Glauben an die Allmacht seines Reichtums.


Konsequenter Tod

Gatsby macht es George und damit auch Tom am Ende leicht, ihn zu vernichten, denn schon bevor der tödliche Schuss fällt, weiß er, dass er in seinem Ringen um Daisy gescheitert ist. Hans Piesbergen gab dessen Smartness, Eleganz, Eloquenz zwar mit dem ganzen Impetus eines seinem Liebesobjekt völlig Verfallenen, doch immer auch mit einem Schuss Melancholie. Ursula Buschhorn, die so Vergötterte, machte es durch die Betonung des Gewöhnlichen, vollkommen Ungöttlichen, sehr eindringlich deutlich, dass seine Fixierung auf eine nicht lebbare Beziehung, auf ein gar nicht der Wirklichkeit entsprechendes Ideal der Grund für seinen tragischen Niedergang ist.

Und in diesem Finale löste die Aufführung ihre Bühnentauglichkeit vollends ein, wurde der lange und anfangs auch mühsam zu knüpfende Spannungsbogen zu einem mitreißenden Ende gebracht. Das Publikum zeigte sich beeindruckt und feierte die Truppe mit langem Beifall.