Trinkkur und viel frische Luft
Autor: Heike Beudert
Bad Kissingen, Freitag, 28. Juli 2017
Seinen Aufstieg zum Weltbad erlebte Bad Kissingen im 19. Jahrhundert. Gäste aus dem ganzen Land und aus Europa besuchten den aufstrebenden Kurort.
Ein Weinhändler aus Kitzingen, ein Freyherr aus Breslau, eine Lady Simpson samt Gatte, Sohn und Bedienung aus London, ein Fabrikant aus Münchberg, ein Rittergutbesitzer aus Posen und ein "Litterat" mit Gattin und Bedienung aus Paris. Sie alle reisten am 29. Juli 1847 in Bad Kissingen zur Kur an. Sie wollten ihre Gesundheit und das gesellschaftliche Leben pflegen. Beides war in dieser Zeit eng miteinander verknüpft, weiß die Historikerin Birgit Schmalz. Sie hat sich mit der Kur in Bad Kissingen intensiv beschäftigt und diese auch im Museum in der Oberen Saline aufgearbeitet.
Kur war ab den 1830er Jahren auch ein gesellschaftliches Ereignis. Oft glich sie nach Angaben von Birgit Schmalz einem großen Familientreffen; so standen die Adelshäuser vielfach in verwandtschaftlicher Beziehung zueinander.
Bad Kissingen erlebte in der Zeit ab 1820 seinen Aufstieg zum Weltbad. Der Hochadel reiste nach Bad Kissingen, auch im Jahr 1847. Im Gästebuch finden sich im Juli 1847 Namen wie Prinz Christian von Holstein-Glücksburg (der spätere dänische König) und weitere blaublütige Gäste, beispielsweise aus dem Hause Wettin (Sachsen-Coburg) oder dem Dunstkreis der Romanows. Das Wort "Paparazzi" kannte der Adel zur damaligen Zeit wohl noch nicht, doch die eigene Bekanntheit war auch damals dem einen oder anderen eine Bürde. So reisten Kaiser und Könige, Fürsten und Prinzen oft unter Decknamen nach Bad Kissingen. Hinter den Namen von Wettin, von Borodinsky oder von Werdenfels verbargen sich meist Angehörige des Hochadels, erklärt die Bad Kissinger Historikerin.
Birgit Schmalz gibt jedoch zu bedenken, dass es längst nicht nur der Adel war, der sich eine Kur leistete. Vor allem bürgerliche Gäste seien nach Bad Kissingen gekommen, durchaus auch weniger betuchte Menschen. Für diese Gruppe wird sich nur nicht so stark interessiert. In Kissingen gab es sogar Freibäder und Pensionen für Arme. Kur im Jahr 1847 war deshalb nicht nur Gesellschaftsleben, Heiratsmarkt oder Politik in entspannter Runde. Die Gäste unterwarfen sich ihrer Gesundheit zuliebe wochenlang einem genauen Zeitplan, um die Beschwerden damaliger Zivilisationskrankheiten zu lindern.
Im 19. Jahrhundert entstanden die ersten arztgeführten Kurhäuser. Die Sanatorien von damals sind am besten vergleichbar mit den heutigen Rehakliniken. Der klassische Kurarzt dagegen hatte bis ins 19. Jahrhundert hinein oft gar keine eigene Praxis, sondern wartete im Kurgarten auf seine Patienten. Erst zu dieser Zeit setzte mit zunehmendem Wissen um den menschlichen Körper und besserer Diagnostik eine Professionalisierung in diesem Bereich ein.
Früh um sechs Uhr startete der Tag mit der Trinkkur. Die Gäste mussten auf nüchternen Magen Schluck für Schluck und auf und ab gehend das Heilwasser trinken. Es konnte aber auch Ziegenmolke sein, je nach Beschwerden und Verordnung.
Wer seine morgendliche Trinkkur absolviert hatte, konnte direkt an den Brunnen ein Frühstück einnehmen. Birgit Schmalz erzählt von Bäckerständen am Heilwasserausschank. Frühstück gab es natürlich auch in den Kurhäusern. Viele hatten sich im 19. Jahrhundert ein Salettl, einen Pavillon, gebaut, in dem es sich im Freien hübsch frühstücken ließ. Frische Luft war angesagt; da der Kurbetrieb zu dieser Zeit nur von Mai bis September dauerte, war ein Frühstück im Salettl oft möglich.
Nach dem Frühstücken war Ruhe ein Gebot, ehe eine Bade-Einheit folgte. Das 19. Jahrhundert war der Beginn der Bäderkur. Die Solequellen wurden erschlossen. Anfangs wurde in den Quartieren gebadet. Später entstanden Kurbäder. Ein regelrechter Run darauf setzte ein. Wer konnte, ging am Vormittag ins Bad. Das war zwar teuer. Doch den Nachmittag hielt sich, wer konnte, frei für Spaziergänge, Ausflüge und Konzerte. Meist wurde zum Mittagessen leichte Kost serviert. "Viele Gäste waren damals schon beleibt", erklärt Birgit Schmalz. Es zwickte im Magen, Leber, Galle, Darm. Die Ärzte verordneten deshalb Schonkost. Der Aufenthalt im Freien, Zerstreuung bei Konzerten und Gesprächen waren am Nachmittag wichtiger Teil des Kurprogrammes. Schon 1847 existierte ein Lesesaal mit internationaler Presse.
Von 18 bis 20 Uhr war die Zeit der Abendkur, wieder eine Trinkeinheit, der ein kurzes Abendprogramm folgte. Die Gäste gingen früh zu Bett; der Tag hatte ja zeitig begonnen.
Die Jubiläumsserie wird am Samstag, 12. August, von Ralf Ruppert fortgesetzt. Sein Thema: "Über Jahrzehnte das erste Haus am Platz: Ein langjähriger Steigenberger-Mitarbeiter erinnert sich, und wir kramen im Zeitungsarchiv."