Tricks mit der Arbeitslosigkeit
Autor: Benedikt Borst
Bad Kissingen, Freitag, 07. April 2017
Nicht jeder Arbeitslose taucht in der offiziellen Statistik auf. Im Landkreis Bad Kissingen sind statt 2100 mehr als 3300 Menschen ohne Job.
2109 Menschen aus dem Landkreis haben im März eine Anstellung gesucht. Die Agentur für Arbeit verzeichnet damit in ihrer offiziellen Statistik einen erfreulich niedrigen Arbeitslosenanteil von 3,7 Prozent. Aber stimmt das? Was ist mit den Menschen, die zwar erwerbslos sind, sich aber nicht bei der Agentur gemeldet haben, weil sie glauben, sowieso keinen passenden Job zu finden? Was ist mit den Hausfrauen, die sich jahrzehntelang um die Familie gekümmert haben und jetzt nach einer Nebentätigkeit suchen? Und was ist mit den Menschen, die gerade über das Jobcenter an einer Umschulung teilnehmen?
Es gibt viele Menschen, die keine Arbeit haben und aus unterschiedlichen Gründen nicht in der Statistik erscheinen. Die Zahlen liefern kein vollständiges Bild - man könnte auch sagen, sie sind geschönt. Nicht, weil die Arbeitsagentur schummelt, sondern weil der Gesetzgeber es so definiert hat.
Wer sich nicht zur Arbeitssuche meldet, wird auch nicht erfasst, erklärt Walter Seit. "Dass Menschen keine Arbeit haben, indiziert nicht, dass sie Arbeit haben wollen", sagt der für Bad Kissingen zuständige Bereichsleiter der Agentur in Schweinfurt. "Bei uns in der Statistik sind die Leute drinnen, die Arbeit wollen." Es gebe keine Schätzwerte darüber, wie viele Arbeitssuchende sich nicht bei der Agentur melden. "Das ist ein Graubereich", sagt Seit.
3300 statt 2100 Arbeitslose
Für andere Personengruppen sind die Zahlen dagegen bekannt (siehe Grafik). So haben im März 667 Arbeitslose an Bildungs-, Trainings- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen teilgenommen. Außerdem wurden 432 Personen gezählt, "die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, weil sie sich zum Beispiel darauf berufen, ein Kind zu betreuen", erklärt Agentur-Sprecherin Tanja Neppe. In Summe gibt es im Landkreis mehr als 3300 Menschen die zwar arbeiten könnten, aber keine Beschäftigung haben. So gerechnet liegt die Arbeitslosenquote bei 5,9 und nicht bei 3,7 Prozent."Der Arbeitsmarkt in Bad Kissingen ist nicht wirklich schlecht", kommentiert Seit die Zahlen. In der Region werde gerade über Bildungsangebote viel getan, um Arbeitslose wieder zu vermitteln. Er ist außerdem der Ansicht, dass es im Landkreis gut gelingt, Menschen aus der sogenannten stillen Reserve (siehe Erklärung unten) in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das lasse sich zwar schlecht belegen, aber: "Die Frauenerwerbstätigkeit hier in der Region ist hoch. Das ist ein Hinweis, wie viel aus der theoretischen stillen Reserve schon in Arbeit ist", sagt er.
"Die stille Reserve ist keine einheitliche Gruppe", erklärt Sonja Schmitt von der Servicestelle Frau und Beruf. Junge Frauen in Elternzeit kehren oft nach Ende des Elterngeldes wieder zu ihrem früheren Arbeitgeber zurück. Sie sind nur vorübergehend Teil der stillen Reserve. "Anders ist das bei Frauen, die 25 Jahre als Hausfrau aus dem Beruf heraus sind", sagt sie. Die seien schwerer zu erreichen. Viele wollen wenn, dann nur unter bestimmten Bedingungen wieder eine Arbeit aufnehmen, etwa in Teilzeit oder als Nebentätigkeit, so dass genug Zeit für die Familie bleibt.
Landkreis müht sich um Ärztinnen
Das Landratsamt setzt jetzt auf eine neue landkreisübergreifende Initiative, um einen qualifizierten Teil der stillen Reserve zu mobilisieren. Das Projekt soll im Sommer anlaufen. "Es gibt in der Region Main-Franken einige Frauen mit Medizinstudium, die nach der Babypause nicht den Weg in den Beruf zurückgehen", sagt Kreisentwickler Jürgen Metz. Das soll sich ändern.Zusätzlich zu den 3300 Arbeitslosen gibt es annähernd 10 300 Minijobber, also Menschen, die für maximal 450 Euro im Monat arbeiten gehen. Damit hat der Landkreis überdurchschnittlich viele geringfügig Beschäftigte. Der hohe Anteil wundert den Experten von der Arbeitsagentur allerdings nicht. "Das liegt an der Branchenstruktur in Bad Kissingen", sagt Seit. Gerade der starke Hotel- und Gastronomiesektor sei für 450-Euro-Jobs prädestiniert.
Nicht Teil der offiziellen Arbeitslosenstatistik
Rausgerechnet Aus der Statistik fallen: Krankgeschriebene, Arbeitslose in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und Arbeitslose über 58 Jahre, die seit einem Jahr kein neues Jobangebot mehr bekommen haben. Menschen, die dem Arbeitsmarkt nicht oder nicht zeitnah zur Verfügung stehen, werden ebenfalls nicht gezählt.Stille Reserve Zur stillen Reserve gehören Menschen, die unter bestimmten Bedingungen bereit wären zu arbeiten, sich aber nicht arbeitslos melden (Hausfrauen, Studenten, Rentner sowie Menschen, die sich entmutigt vom Arbeitsmarkt zurückgezogen haben).