Tod in Schweinfurter Polizeizelle: Staatsanwaltschaft rollt Fall neu auf
Autor: Susanne Will
Schweinfurt, Donnerstag, 02. Juli 2020
Ein Somalier (22) erhängte sich in einer Zelle der Schweinfurter Polizeiinspektion. Suizid, sagen Polizisten, Mediziner und Staatsanwaltschaft, der Fall wird eingestellt. Kritiker zweifeln am Selbstmord. Nun liegt die Akte wieder auf dem Tisch von Oberstaatsanwalt Axel Weihprecht.
Rooble Warsame hatte den Traum von Deutschland. Seine Flucht aus Somalia endete in einer Polizeizelle am 26. Februar 2019 mit seinem Freitod. Das haben Ermittlungen des Landeskriminalamts, der Staatsanwaltschaft Schweinfurt und die Ergebnisse aus der Obduktion ergeben. Die Familie des Somaliers glaubt nicht, dass der junge Mann Suizid begangen hat. Und weil auch eine Organisation aus Berlin die Selbsttötung anzweifelt und eine große deutsche Tageszeitung Rooble Warsames Tod selbst nach Einstellung des Verfahrens in einem Atemzug mit noch ungeklärten oder mysteriösen Todesfällen schwarzer Menschen in Haftzellen genannt hat, hat die Staatsanwaltschaft Schweinfurt in dieser Woche die Ermittlungen wieder aufgenommen.
"Allem nachgehen, was in den Raum gestellt wird"
Axel Weihprecht, Leitender Oberstaatsanwalt in Schweinfurt: "Im Herbst wurden die Ermittlungen abgeschlossen. Herr Warsame hat sich in seiner Zelle erhängt. Dennoch wird im Hintergrund agitiert, immer wieder steht im Raum, dass an der Tragödie etwas unklar wäre." Da in diesen Mitteilungen Aussagen zu hören sind, die im vorhergehenden Ermittlungsverfahren nicht zu finden waren, entschloss sich Weihprecht, die Ermittlungen wieder aufzunehmen. "Nicht, weil mir etwas komisch vorkommt, sondern um allem nachzugehen, was in den Raum gestellt wird."
Nach Streit im Ankerzentrum in die Zelle
Rückblick: Rooble Warsame wurde an jenem 26. Februar aus der Asylunterkunft Anker-Zentrum in Schweinfurt zur Dienststelle der Polizei gebracht und in eine Gewahrsamszelle gesperrt. In dieser Nacht hatte er wiederholt Streit gesucht, die gerufenen Beamten nahmen ihn mit, ohne dass es laut Auskunft der Staatsanwaltschaft zu einem Widerstand seinerseits gekommen war. "Die Polizisten wurden von ihm nicht angegriffen, nicht beleidigt", so Weihprecht. Auf der Fahrt in die Dienststelle sagte Warsame laut Weihprecht zweimal: "Zu viel Alkohol." Ein Alkomat-Test war nicht möglich, weil der 22-Jährige die Handhabung nicht verstanden habe.
Falscher Name im Computer
Bevor Warsame in die Zelle geschickt wurde, gaben die Beamten seinen Namen im Ausländerzentralregister ein. Der Computer spuckte aus, dass Warsame einmal Ladendiebstahl begangen habe. Ein Fehler, wie sich erst später herausstellte. Denn die Polizisten gaben den Namen ein, der ihnen vom Anker-Zentrum genannt wurde - und der war wegen eines Drehers der verschieden Vornamen fehlerhaft. Sie gaben also einen anderen, ähnlichen Namen ein und nicht den, unter dem Warsame bei der Polizei bereits drei Wochen vorher erfasst worden war.
Axel Weihprecht: "Er führte einen Ausweis des Ankerzentrum mit, in dem sein Name mit "Warsame" und sein Vorname mit "Rooble Muse" vermerkt war. Nach diesen Angaben wurde in der Nacht des 26. Februar eine Vorgangsabfrage durchgeführt. In der Duldung und im Ausländerzentralregister ist der Name des Verstorbenen mit "Muse Warsame" und der Vorname "Rooble" angegeben. Unter diesen Personalien war in der Vorgangsverwaltung der Polizei der erwähnte Vorfall vom 5./6. Februar registriert. Mit dem Familiennamen "Warsame" war dieser Vorgang nicht recherchier bar. Herr Warsame war den Polizeibeamten, die in der Nacht des 26. Februar mit ihm zu tun hatten, nicht bekannt."
Warsame war vorher wegen Selbstgefährdung in der Psychiatrie
So konnten die Schweinfurter Beamten auf Grundlage der falschen Infos in dieser Nacht nicht wissen, dass Warsame nur drei Wochen vorher eine Nacht in der Psychiatrie in Werneck verbracht hat. Eingeliefert wurde er wegen Selbstgefährdung: Am 5. Februar wurde er wegen Missbrauchs von Notrufen festgenommen und zur Polizeidienststelle in Schweinfurt gebracht. In der Zelle hatte er mehrfach seinen Kopf gegen die Gitterstäbe der Tür geschlagen und laut Weihprecht geäußert, man möge ihn umbringen, sonst mache er es selbst. Bereits am nächsten Tag wurde Warsame aus der Wernecker Einrichtung entlassen, die Ärzte sahen keine Selbst- oder Fremdgefährdung mehr.
Zurück zum 26. Februar 2019: Warsame kam um 5 Uhr in die Zelle. Um 7.30 Uhr findet ein Beamter den Mann bei einem Kontrollgang leblos vor. Warsame hatte laut Ermittlungsakten den Rand der Decke im Verwahrraum abgetrennt, sich daraus ein sechs Zentimeter breites und 1,95 Meter langes Seil gemacht. Das eine Ende hatte er ans Zellengitter, das andere um seinen Hals geknotet. Der Beamte fand Warsame kauernd am Boden, halb kniend, halb sitzend, nicht ansprechbar. Er ließ Notarzt und Rettungsdienst verständigen, löste die Knoten, lagerte mit einem Kollegen Warsame auf der Pritsche. Es seien weder Puls noch Atem feststellbar gewesen, so der Staatsanwalt, der Polizist begann mit Mund- zu-Mund-Beatmung, bis der Notarzt fünf Minuten später eintraf. Doch auch dessen Bemühen hatte keinen Erfolg: Warsames Tod wurde um 8.10 Uhr festgestellt.