TBC? Ja - aber kein Grund zur Panik
Autor: Susanne Will
Bad Kissingen, Mittwoch, 27. Dezember 2017
Auf der Infektionsstation des Thoraxzentrums sind die Betten belegt. Flüchtlinge brauchen eine besondere Behandlung, damit die Krankheit eingedämmt bleibt
Ein Gerücht macht die Runde. Oben in der "Hustenburg", dem Thoraxzentrum über Münnerstadt, sollen Männer mit schwerer und gefährlicher Tuberkulose liegen. Auf der Quarantäne-Station. Und: Es sind Flüchtlinge. Das stimmt. Aber das ist weder gefährlich noch ungewöhnlich, sagt Dr. Bernd Seese, Chefarzt für Pneumologie. Seit Beginn der Flüchtlingswelle 2015 ist die Zahl der TBC-Kranken angestiegen. Und weil er und sein Team die Menschen behandeln, bleibt die Tuberkulose weiter unter Kontrolle.
Eine schwere Krankheit, eingeschleppt von Fremden - und schon könnte sich Hysterie einen Weg bahnen. Dass das unsinnig ist, erklärt Seese im Gespräch mit dieser Zeitung.
Auch in Deutschland war früher die TBC, die sogenannte Schwindsucht, häufig. Um diesen Zeitpunkt herum wurde da auch eigens die damalige Heilstätte im Wald über Münnerstadt gebaut. "TBC war damals einer der häufigsten Lungenerkrankung", sagt Seese. So war es überall: In den Wäldern wurden die Lungenheilstätten errichtet, weit weg von den Gesunden, isoliert. "Die Pneumologie in Deutschland hat sich so im Wald entwickelt."
Durch die medizinischen Fortschritte gelang es, die TBC auf eine Randerscheinung unserer heutigen Gesellschaft zu reduzieren. "TBC muss heute niemanden mehr in Panik versetzen", sagt der Arzt, dessen Alltag aus der Behandlung von Bronchialkarzinomen, COPD und dem Lungenemphysem besteht, meist hervorgerufen durchs Rauchen.
Bis 2015 ging die Zahl der TBC-Erkrankten in Deutschland kontinuierlich nach unten. Dann kamen die Flüchtlinge - und während sich die Zahl der deutschen Kranken weiter nach unten bewegte, nahm die der Zuwanderer zu. Der Staat hat dazu Kontrollmechanismen eingerichtet: Sobald Flüchtlinge in Auffangzentren angekommen sind, werden alle untersucht. Gibt es Hinweise auf TBC wie Husten, Fieber oder Gewichtsverlust, werden der Auswurf und das Blut getestet und ein Röntgenbild angefertigt. Wenn sich im Röntgenbild Veränderungen zeigen, ist die Frage: Ist es eine alte TBC oder eine neue Infektion?
"Die Lunge eines TBC-Kranken kann wie ein Schweizer Käse aussehen", erklärt Seese, sie ist voller Vernarbungen und Höhlen. Nur: Auf dem Röntgenbild ist nicht sichtbar, ob es sich um eine akute oder eine alte TBC handelt. Und: "Die Abgabe von Auswurf allein ist nicht zuverlässig. Mancher möchte auch krank sein, denn damit hat er erst einmal einen Bleibeschein." Finden sich zunächst keine Erreger und deutet der Zustand dennoch auf TBC hin, wird mit einer Bronchioskopie sichergestellt, dass der Patient wirklich Erreger-frei ist. Im Zweifelsfall gibt es noch eine Hürde, die der Patient nehmen muss, um wirklich sicherzustellen, dass er keine Bazillen einschleppt: Der Lunge wird Gewebe entnommen.
Die TBC-Patienten kommen auf die Isolierstation. Auch aktuell liegen Menschen dort in ihren Betten. "Nicht nur", schränkt Seese ein. Denn eine komplette Isolation macht jeden Menschen noch kränker. Als die Flüchtlinge kamen und die Zahl der Erkrankten sich nach oben bewegte, wurde draußen ein abgeschiedener Fußballplatz eingerichtet, sie können Tischtennis spielen, es gibt Internet, um Mütter mit ihren Kindern kümmern sich Sozialarbeiter.
Die Behandlung von erkrankten Flüchtlinge unterscheiden sich von einheimischen Kranken. "Das beginnt bei der Sprachbarriere." Es gibt eine App, in der die TBC, Beschwerden, Behandlung und Nebenwirkungen in der jeweiligen Sprache erklärt werden. "In manchen Fällen kommt auch ein Dolmetscher." Wichtig ist, den Menschen klarzumachen, dass und wie sie die vier Antibiotika täglich einnehmen müssen. "Schon allein deshalb müssen wir sie hier behalten", so Seese. Denn wenn die Tabletten nicht genau eingenommen werden würde, würden sich die gefürchteten Resistenzen gegen den Erreger bilden. "Dazu kommt, dass die Flüchtlinge aus Syrien mal ein gut funktionierendes Gesundheitssystem hatten. In jetzt stabilen Staaten wird dort die Therapie aber nicht mehr so streng überwacht, auch dadurch steigt das Risiko von Resistenzen. Und nur durch konsequente Behandlung können wir gewährleisten, die Erreger wirklich in den Griff zu kriegen."
Wobei Seese als Experte die Gefährlichkeit der Erreger, die sich über Tröpfchen beim Niesen oder Husten verbreiten, einordnet: "Sie stecken sich nicht einfach auf der Straße beim Vorbeilaufen an. Sie müssen schon etwa 18 Stunden in einem geschlossenen Raum mit einem Infizierten verbringen, erst dann besteht eine Möglichkeit der Ansteckung. Hysterie ist hier fehl am Platz."
Während deutsche Patienten um die zwei bis vier Wochen im Thoraxzentrum bleiben, dauert es bei den Flüchtlingen deutlich länger, bis sie es wieder verlassen können. Seese: "Deutsche haben ein Tuberkulöschen, Flüchtlingen hatten auf der Flucht und im Krieg nicht auf ihren Husten geachtet, dazu kommt, dass die Auswirkungen aufgrund der Mangelernährung viel stärker sind und die TBC dadurch oft weiter fortgeschritten ist.."
Er hört im Hinterkopf bereits die Kritiker, die danach fragen, "was das wohl kostet". Seese: "Es ist ganz einfach. Diese Menschen verbreiten den Erreger. Nur die strikte Hygiene der TBC-Nachsorge hat in Deutschland dafür gesorgt, dass TBC für uns kein großes Thema mehr ist." Auch jetzt nicht, trotz der Flüchtlinge, "denn wir filtern genau aus und können die Menschen behandeln - in ein Flugzeug setzen und zurückschicken können wir nicht, denn da verteilen sie die Keime".
So bleiben sie also zunächst im Thoraxzentrum, bis sie gesund sind. Erschwerend kommen unterschiedliche kulturelle Einstellungen dazu, die im Einzelfall zu Streitigkeiten führen können. Wenn sich einer renitent verhält, wird er in der Justizvollzugsanstalt Parsberg zwangsuntergebracht", denn dort gibt es eine geschlossene klinische Einrichtung.
Die TBC ist weltweit die häufigste Infektionskrankheit. Bei 25 Prozent der Menschen kommt es zu einer spontanen Heilung, 50 Prozent sterben daran, wenn sie nicht behandelt werden, der Rest entwickelt unbehandelt eine schwelende, chronische Krankheit. In den 1970er Jahren gelang es, durch sinnvolle Seuchenhygiene, Überwachung und Therapie die Krankheit in den Griff zu bekommen. Ein Problem durch TBC sieht Seese nicht. "Wir müssen jetzt alle Anstrengungen unternehmen, die TBC früh zu erkennen und zu behandeln."