Druckartikel: Synagoge trifft Ecclesia - Musikalischer Dialog der Religionen

Synagoge trifft Ecclesia - Musikalischer Dialog der Religionen


Autor: Redaktion

Bad Kissingen, Montag, 23. Oktober 2017

Mit einem besonderen Konzert, das Teil der Jüdischen Kulturtage war, beschloss Kantor Burkhard Ascherl den 29. Bad Kissinger Orgelzyklus.
Die Mitwirkenden in der  Herz-Jesu Kirche.  Werner Nöth


Im Programm standen Chor- und Orgelmusik aus Synagoge und Kathedrale. Synagogale Chormusik besaß in Bad Kissingen zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine große Tradition. Kein Geringerer als Ludwig Steinberger, der Vater des Nobelpreisträgers und Kissinger Ehrenbürgers Jack Steinberger, gestaltete mit dem von ihm geleiteten Chor regelmäßig die Gottesdienste in der Neuen Synagoge in der Maxstraße, die zu den größten und eindrucksvollsten Synagogen in Bayern gehörte. Über die Werke und Komponisten, die Steinberger, der über 40 Jahre als Kantor in der Saalestadt tätig war und selbst eine sehr schöne Stimme besaß, zur Aufführung brachte, ist leider nichts bekannt. Doch dürfte er an dem Konzert, das Burkhard Ascherl mit seinem Ju-Lifa-Chor und der Sopranistin Brigitte Ascherl sowie Ute Stibor am Keyboard und Anne Rustler an der Orgel zu Gehör brachte, sicher seine Freude gehabt haben.

Ascherl lässt es sich seit vielen Jahren trotz seiner zahlreichen Verpflichtungen nicht nehmen, ein abwechslungsreiches Programm speziell für die Jüdischen Kulturtage zusammenzustellen. In dem gut besuchten Konzert mischte er synagogale Chorwerke mit Vertonungen biblischer Psalmen und synagogaler und christlicher Orgelmusik. So entstand ein lebendiger musikalischer Dialog zwischen den beiden großen Weltreligionen, der einmal mehr die tiefe Verankerung christlicher Traditionen im Judentum hervorhob, aber auch die singuläre Stellung des Judentums betonte und damit bestens für die Jüdischen Kulturtage geeignet war.

In seiner Begrüßung griff Stadtpfarrer Gerd Greier das Motto des Weltmissionssonntags "Führe mich hinaus ins Weite" auf und bezog es auf das Konzert, in dem die Besucher musikalisch in die Weite zur Vielfalt der Menschen und Kulturen geführt würden. Der jüdisch-christliche Gebetsschatz der 150 Psalmen würde durch die jüdischen und christlichen Komponisten des Abends zum Klingen gebracht werden und Juden und Christen einladen, das Gemeinsame und Verbindende zu erkennen.

Anne Rustler stimmte mit drei Orgelstücken des jüdisch-deutsch-böhmischen Komponisten, Organisten und Pianisten Josef Löw (1834-1886) die Zuhörer gekonnt ein. Auf die berührende, tief empfundene Elegie folgte eine getragen- romantische Träumerei, die schließlich von einem heiter-festlichen Vivace abgelöst wurde. Im Mittelpunkt der ersten Konzerthälfte standen drei Werke von Louis Lewandowski. Lewandowski (1821-1894) stammte aus sehr armen Verhältnissen und musste mit zwölf Jahren seinen Heimatort Wreschen verlassen, um in Berlin seinen Unterhalt selbst zu verdienen. In der dortigen jüdischen Gemeinde fiel seine außerordentliche Musikalität und seine schöne Stimme auf. Alexander Mendelssohn, ein Cousin des berühmten Komponisten, förderte ihn und finanzierte seine Ausbildung.
In seinen Kompositionen verband er den traditionellen Synagogalgesang mit der modernen europäischen Musikentwicklung. Als Dirigent und Chorleiter an der Oranienburger Synagoge entwickelte er eine neue Liturgie mit Orgelbegleitung für den jüdischen Gottesdienst. Schlichtheit und Sangbarkeit der Melodien hatten für ihn dabei stets Vorrang vor Virtuosität.

In seinen Chorkompositionen hört man nicht selten den Einfluss seines großen Vorbildes Felix Mendelssohn Bartholdy heraus, was ihm den Beinamen "Mendelssohn der Synagogalmusik" eintrug. Seine Vertonung des 150. Psalms, die Burkhard Ascherl neben dem Huldigungsgesang "Ma towu" und dem Psalm 67 auf das Programm gesetzt hatte, erklang bereits bei der Einweihung der Orgel in der Oranienburger Synagoge. Der vierstimmige, gemischte Chor mit Orgelbegleitung, der bei der Uraufführung Otto von Bismarck so sehr begeisterte, dass er sich nach dem Gottesdienst bei Lewandowski für den musikalischen Genuss eigens bedankte, machte auch in der Ausführung des Ju-Lifa-Chors großen Eindruck.

Auch in den anderen teils deutsch, teils hebräisch gesungenen Chorstücken des ersten Teils, die auf Psalmtexten basieren, konnte der Chor, einfühlsam begleitet von Ute Stibor am Klavier, seine Intonationssicherheit, Textverständlichkeit, Homogenität, Klangschönheit, Musikalität und tiefe Empfindungsfähigkeit authentisch zur Geltung bringen. Äußerst gelungen war dabei auch der für die jüdische Liturgie charakteristische Wechsel von Chor- und Solostellen, die von Brigitte Ascherl als Solistin überzeugend gestaltet wurden. Mit dem Qadosch (der Heiligung Gottes) des in Trier geborenen Komponisten und Kirchenmusikers Heinz Martin Lonquich (1937-2014) setzte der Chor ein weiteres von vielen Glanzlichtern.

Die nahtlose Überleitung zum zweiten Teil mit modernen, zum Teil sehr freien Psalmvertonungen auf Englisch, Latein und Deutsch stellte Anne Rustler mit dem getragenen Prière von Leon Boëllmann (1862 - 1897) und dem volltönenden Festival March des 1945 geborenen walisischen Komponisten Robert Jones her, der ihr die Möglichkeit bot, buchstäblich alle Register zu ziehen. Von Jones erklang dann noch eine schöne Vertonung des 117. Psalms, diesmal auf Lateinisch vorgetragen.

Bewundernswert war dabei, wie souverän der Chor den häufigen Wechsel zwischen den verschiedenen Sprachen meisterte. Neben Werken von Klaus Heizmann, Jaques Berthier, Matthias Kreuels und Jester Hairston waren noch drei Werke des englischen Komponisten und Chorleiters John Rutter zu hören, die sich durch den für Rutter so charakteristischen melodischen Erfindungsreichtum auszeichneten. Sein Psalmenpotpourri "This is the day", das er für die Hochzeit von Prinz William und Catherine Middleton in der St Paul's Cathedral komponiert hatte, leitete zu dem von John Hairston bearbeiteten Traditional "Free at last" über, dass nicht nur an die Befreiung der Sklaven in Amerika, sondern auch an das zentrale Bekenntnis Israels im jüdischen Tenach erinnerte: Gott ist der Befreier, der sein Volk aus Unterdrückung und Leid herausführt.

Am Ende des Konzerts lösten die Mitwirkenden den eingangs von Pfarrer Greier geäußerten Wunsch ein, indem sie die Musik in ein religionsübergreifendes Gebet verwandelten, das die Güte des Schöpfers und die Schönheit seiner Schöpfung pries. Mit dem irischen Reisesegen "May the road rise to meet you" in der Vertonung von James E. Moore als Zugabe entließen die Musiker die begeisterten Zuhörer. Hans-Jürgen Beck