Sprung ins kalte Wasser: So versuchten diese Polizisten, ein Leben zu retten
Autor: Susanne Will
Oerlenbach, Montag, 14. Februar 2022
Michael Simon und Lukas Stark hatten Dienst, als eine Frau in ihrem Auto im tiefen Wasser versank. Sie dachten nur eins: Wir müssen diesen Menschen befreien. Was sie dann versuchten, macht die Männer zu Helden. Allerdings zu traurigen Helden.
Polizist zu werden steht bei vielen Kindern ganz oben auf der Berufswunschliste. Manche von ihnen entscheiden sich später tatsächlich für den Staatsdienst, verbunden mit Kräfte fressenden Schichtdiensten, belastenden, gefährlichen oder wie jüngst beim Polizisten-Doppelmord sogar tödlichen Einsätzen. Die allermeisten Polizistinnen und Polizisten eint ein Faktor bei der Berufswahl: Sie wollen helfen. Wie Michael Simon (38) und Lukas Stark (28) von der Polizeiinspektion Bad Kissingen. Am Montagabend, 7. Februar 2022, setzten sie ihre Gesundheit aufs Spiel, um eine Frau (36) zu retten, die mit ihrem Auto in einem tiefen und eiskalten Regenrückhaltebecken untergegangen war.
Michael Simon ist Polizeihauptmeister, mit vier Sternen auf der Schulter ein wenig vor seinem jüngeren Kollegen Lukas Stark, Polizeiobermeister. Die Schicht an jenem Montag begann um 13 Uhr mit Routinen. Stark nahm eine Anzeige in Bad Kissingen auf, die Vernehmung und die Sachbearbeitung zog sich. Am Nachmittag bat die Inspektion Bad Neustadt um Unterstützung, ein junger Mann musste ins Krankenhaus begleitet werden. Stark: "In der Nähe von Oerlenbach erreichte uns gegen 17.30 Uhr die Meldung: ,Verkehrsunfall, Pkw in Regenrückhaltebecken'." Stark und sein Streifenpartner erreichten nach kurzer Fahrt den Unfallort. Fast zeitgleich traf auch Michael Simon ein, der mit einem Kollegen gerade auf der Autobahn unterwegs war und mit Blaulicht zum Unfallort raste. Auch die Oerlenbacher Feuerwehr bremste da gerade ihre Einsatzfahrzeuge am Regenrückhaltebecken ab.
Beifahrer konnte sich retten
Michael Simon: "Meine erste Wahrnehmung: Ein Rad des Autos war an der Wasseroberfläche noch zu erkennen, am Ufer kümmerte sich der Rettungsdienst um einen Mann, er war in eine Rettungsdecke gewickelt." Der Beifahrer. Simon: "Ich rannte zum Weiher, ich musste schnell dahin, um die Lage zu sondieren."
Die Lage: Eine Frau hatte auf der B286 die Kontrolle über ihren Wagen verloren. Das Auto war rechts von der Straße abgekommen, hatte sich mehrfach überschlagen und den Zaun zum Regenrückhaltebecken niedergewalzt. Das Auto lag komplett im Wasser.
Keine Sicht unter Wasser
Michael Simon: "Dieser Tümpel war eine gräuliche Brühe. Durch den Aufschlag ist aller Morast durcheinandergewirbelt worden, es war kaum etwas zu sehen." So war es ihm nicht möglich zu eruieren, wo die Fenster sind, die Türgriffe. "Ich bin schwer aus der Ruhe zu bringen. Aber ich stand unter unglaublichem Zeitdruck, denn in solchen Situationen geht es um Sekunden." Die Situation, die Simon im Kopf durchspielte: Hat der Mensch im Inneren den Unfall überlebt? Lebt er jetzt noch? Wie lange schon ist er unter Wasser? Wie lange kann das ein Körper aushalten? Und auch das ging Michael Simon durch den Kopf: Im kalten Wasser sind die Überlebenschancen höher.
"Was mache ich? Was kann ich leisten - was kann mein Körper leisten?" Michael Simon hält beim Erzählen auf der Dienststelle drei Tage später inne. Vermutlich wäre es egal gewesen, was sein Kopf ihm gesagt hätte. Dass er sich verletzten kann; dass er unterkühlt sein wird; dass er eine Lungenentzündung hätte entwickeln können. "Ich wusste ja, dass jede Sekunde, die ich zögere, eine zu viel für den Menschen unter Wasser sein kann." Und er sagt: "Als Polizist ist man bereit, das Risiko für sich selbst einzugehen, um anderen zu helfen."
"Ich habe die Kälte nicht wahrgenommen"
Er zog seine Schutzweste aus. Sein Kollege Lukas Stark tat es ihm gleich, er legte Pistolengurt und Schlagstock weg. Michael Simon: "Ich machte einen Schritt ins Wasser, das Ufer fiel steil ab, mit zwei Zügen war ich am Auto." Ja, natürlich habe er bemerkt, dass das Wasser kalt war. "Aber mehr auch nicht. Mehr hat mir mein Körper nicht signalisiert." Die Gnade eines Adrenalinausstoßes, wie es sein Kollege Lukas Stark ausdrückte.