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Wildfleckens geballte Kraft fordert Schondras Reservisten heraus


Autor: Sebastian Schmitt

Oberwildflecken, Donnerstag, 01. Oktober 2015

Auch eine Form von Willkommens-Kultur: Der Zusammenschluss von SCK Oberwildflecken und SV Wildflecken war eine sportliche Notwendigkeit. Im Spiel gegen die DJK Schondra II/Breitenbach will man beweisen, wie gut diese Ehe funktioniert.
Die Rhöner Hand-Reichung: Aufeinander zugegangen zum Wohle des Fußballsports in den Ortschaften sind der SV Wildflecken und der SCK Oberwildflecken. Auf unserem Bild symbolisieren dies SCKler Benjamin Witke (links) und SV-Spielführer Reinhard Bramowski. Foto: ssp


Schondras Reserve gegen die funkelnagelneue SG Wildflecken in Oberwildflecken. Da drängen sich kuriose Vorgeschichten auf, die teilweise sogar bundesweit Schlagzeilen machten. Denn dass Rhöner Derbys zuweilen die Massen in den Bann ziehen können, ist ja hinlänglich bekannt. Dass ein Nachbarschaftsduell am Fuße des Kreuzbergs allerdings sogar einmal das renommierte Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" brennend interessierte, kommt wohl höchstselten vor. So gesehen, war eines der letzten Derbys zwischen dem SV Wildflecken und dem SCK Oberwildflecken in der vergangenen Saison wirklich ein absolut historisches Ereignis.
Wildfleckens damaliger Keeper André Schmidtke hatte vollkommen absichtlich ein Eigentor erzielt, weil seine Elf gegen den SCK genau in dem Moment ein Tor geschossen hatte, als ein gegnerischer Spieler verletzt am Boden lag. Um den alten Zwei tore-Abstand wieder herzustellen, hatte Schmidtke sich gedankenschnell zu diesem äußerst ungewöhnlichen Schritt entschlossen. Nebenbei: Sein Wildfleckener Team unterlag in dieser prestigeträchtigen Auseinandersetzung.


Telefon stand nicht mehr still

Nachdem die Saale-Zeitung dieses Thema ausführlich aufgegriffen hatte, stand bei Wildfleckens Abteilungsleiter Andreas Schmid das Telefon tagelang nicht mehr still. Auch der "Spiegel" klopfte beim SV an, um Details zu erfahren. Doch unerbittlich ist der Wandel der Zeit. Schmidtke ist zwar mehrfach für sein Fairplay ausgezeichnet worden, jedoch weggezogen und daher längst nicht mehr Keeper in Wildflecken. Und das publikumswirksame Derby zwischen den alten Rivalen Oberwildflecken und Wildflecken wird es künftig sowieso nicht mehr geben. Wie kommt's? Ganz einfach. Es ging nicht mehr anders. Eine unaufhaltsame sportliche Talfahrt hatte den SV Wildflecken zunächst zu einer Spielgemeinschaft mit der Reserve des VfR Stadt Bischofsheim bewogen. Das ging komplett schief, die A-Klassisten schossen sich reihenweise warm gegen ein gelegentlich völlig unkoordiniert zusammengewürfeltes und zumeist hoffnungslos unterlegenes Team. Also wurde diese voreilig geschlossene Ehe nach nur einem Jahr für nichtig erklärt und der SVW probierte sein Glück wieder eigenständig in der B-Klasse. Mit einem Kader von theoretisch 17 Spielern, darunter fünf aus dem U-19-Team und einigen "alten Hasen", startete man in die neue Saison. Als Ziel wurde von der Vereinsführung vorgegeben, dass sich eine neue Mannschaft bilden soll, die möglichst harmonisch und freundschaftlich miteinander umgeht.


Das große Grübeln

Doch als der harte Rhöner Winter naht, mehren sich die Verletzungen. Zeitweise stehen nur elf einsatzbereite Kicker zur Verfügung. Das große Grübeln beginnt, immerhin stoßen Alexander Hert, Max Sigle, Sergej Baster und Alexander Schäfer vor Beginn der Rückrunde neu beziehungsweise zurück zum Team. Und dann passiert etwas, was selbst Einheimische niemals für möglich gehalten hätten. Im rhönwinterlichen Februar 2015 beginnen die Mannschaften des SVW und des SCK Oberwildflecken als direkte Konkurrenten gemeinsam zu trainieren. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit.


Massive Personalnot

Längst hat sich auch beim traditionsreichen Sportclub am Kreuzberg eine massive Personalnot eingeschlichen. Bei den ersten gemeinsamen Trainingseinheiten zeigt sich sofort, dass die Vereine dringend umdenken müssen. SVW und SCK kommen zusammen zunächst gerade mal auf zwölf kontinuierlich trainierende Kicker. Manchmal sind es sogar weniger. Den Verantwortlichen wird schmerzhaft bewusst, dass nun sehr viel auf dem Spiel steht. Eigentlich alles. Und so klopfen die Oberwildfleckener in Wildflecken an, stellen eine Frage, die man beim stolzen und familiär gehaltenen SCK eigentlich immer kategorisch ausgeschlossen hatte. Während die Aktiven seit Wochen bei den Übungseinheiten gemeinsam auf dem Platz stehen, wird hinter verschlossenen Türen eifrig verhandelt und beraten. "Auf Augenhöhe", berichtet rückblickend Herbert Nowak vom SCK. Thema: eine dauerhafte und zukunftsfähige Spielgemeinschaft der alten Rivalen. Denn in Oberwildflecken gibt es für den SCK, der im kleinen Ortsteil weitaus mehr als ein Fußballverein ist, keine sportliche Perspektive mehr, mangels Nachwuchs. Viele Wochen kursieren unterschiedliche Gerüchte in der Marktgemeinde, dann wagt sich SCK-Urgestein Georg Zurek sichtlich bewegt und wehmütig an die Öffentlichkeit: "Wir werden diese Runde noch so gut es irgendwie geht mit letzter Kraft überstehen. Aber in der kommenden Saison können wir keine eigene Mannschaft mehr stellen. Wir haben dann noch acht Spieler, das reicht einfach nicht. Wir wollen nicht, dass der Spielbetrieb völlig zum Erliegen kommt."


Wertvolle Tipps

Die Verhandlungen mit dem SV Wildflecken hatten auf Seiten der Oberwildfleckener Harald Huber, Glenn Jobs und Herbert Nowak eingeläutet, die sich allesamt von der ersten Reihe der Vereinsführung mittlerweile an die Basis zurückgezogen haben, aber weiterhin im Hintergrund mit Rat und Tat zur Verfügung stehen. SCK und SVW stellen ausschließlich die Fußballmannschaft gemeinsam auf die Beine, bleiben aber ansonsten vollkommen eigenständige Vereine. Gerade in Oberwildflecken geht ohne den SCK fast keine Veranstaltung über die Bühne. Nach der Partie wird in Oberwildflecken übrigens gleich Oktoberfest am und im Sportheim gefeiert. "Die neue Zusammenarbeit klappt super", freut sich Trainer Alexander Latus. "Wir tragen unsere Heimspiele künftig je zur Hälfte in Oberwildflecken und Wildflecken aus."


Der Kreis schließt sich

Bei der DJK Schondra hat mittlerweile die DJK Breitenbach/Mitgenfeld Unterschlupf gefunden, die zwar im dörflichen Leben weiterhin eine tragende Rolle spielt, aber ihre verbliebenen Kicker quasi nach Schondra entsendet. Nun schließt sich der sportliche Kreis sogar von der Schondra bis an den Kreuzberg, denn vor gut zwei Jahren haben SV Wildflecken, SC Oberbach, SV Riedenberg, DJK Schondra/Breitenbach/Mitgenfeld und FC Bad Brückenau die Juniorenfördergemeinschaft Sinntal-Schondratal gegründet. Nur so konnten die Vereine sicherstellen, dass die Kinder und Jugendlichen in allen Altersklassen weiterhin kicken können. Denn sportlicher Nachwuchs wird im Altlandkreis Bad Brückenau dringend gebraucht. "Personell wird diese Saison so schwierig wie wohl selten zuvor", räumt Daniel Kleinhenz ein, der die zweite Mannschaft in Schondra betreut. "Bei uns trainieren alle Spieler grundsätzlich zusammen, erste und zweite Mannschaft bilden also einen gemeinsamen Kader. Aber wir haben einige Langzeitverletzte und es gab auch Abgänge zu verkraften. Insgesamt stehen uns im Vergleich zur letzten Saison derzeit 15 Spieler weniger zur Verfügung", schildert Kleinhenz die Lage. "Das muss man erst einmal verkraften."


Schondraer Kraftakt

Und so geriet der Saisonauftakt für die ersatzgeschwächte Schondraer Reserve zum echten Kraftakt. "Wir waren eigentlich nicht chancenlos in unseren bisherigen Spielen, aber wir haben in der Offensive unsere Probleme. Vier Tore aus sechs Spielen, das ist wirklich zu wenig. Wollbach hat im gleichen Zeitraum 28 Tore geschossen." Für Kleinhenz steht fest, "dass in Schondra die erste Mannschaft stärker im Fokus ist". Doch gerade in einer Zeit, in der auch bei der Kreisklasse-Mannschaft Personalsorgen an der Tagesordnung sind, spiele die zweite Mannschaft als Rückgrat eine wichtige Rolle. "Wir haben ja auch noch unsere Alten Herren, wenn es mal eng wird. Bei jedem Spiel werden die Karten neu gemischt. Wir geben immer alles, damit elf Mann am Platz stehen. Das ist doch selbstverständlich."


Eine attraktive Liga

Kleinhenz ist mit der derzeitigen Zusammensetzung der B-Klasse 1 sehr zufrieden: "Es sind viele erste Mannschaften dabei. Das ist natürlich sehr attraktiv. Und trotzdem kann jedes Team ein Spiel gewinnen. Jeder ist heuer zu schlagen." Dass Kleinhenz angesichts des geschrumpften Kaders auch selbst die Kickstiefel schnüren muss, ist für ihn kein Beinbruch, denn die vergangene Saison habe doch gezeigt, dass die "kleinen" Schondraer immer wieder für positive Überraschungen gut sind. Für den Oberwildfleckener Alexander Latus wird die sportliche Zukunft hingegen an der Seitenlinie liegen. Eine schwere Knieverletzung zwingt den technisch exzellenten Kicker seit einiger Zeit an den Spielfeldrand. "Ich darf eigentlich nicht mehr spielen", sagt Latus wehmütig. Umso glücklicher ist Latus darüber, dass der Zusammenschluss nun zu einem soliden Kader geführt hat. "Wir hatten in dieser Saison meistens 15 Spieler, die super mitziehen. Ich bin mir sicher, dass es auch ohne mich klappt." Und weil die sportlich aktive Karriere auf dem Rasen für Latus nun ein abgeschlossenes Kapitel ist, wird er sich künftig als Abteilungsleiter und Coach einbringen.
Kuriose Vorgeschichten führen manchmal zu ungewöhnlichen Entscheidungen. Aber die Rhöner Kicker haben längst noch nicht aufgegeben und kämpfen dafür, dass das runde Leder weiter wollt. An der Schondra genauso wie am heiligen Berg der Franken.


So tippt die Prominenz

Reinhard Bramowski ist Wildfleckens Kapitän und tippt ein 3:0 für seine Elf, weil die Kreuzberg-Kicker voll auf Offensive setzen.

Alexander Latus, Abteilungsleiter und Coach aus Oberwildflecken, tippt 4:1 für die Gastgeber, "weil wir eine gute Truppe haben".

Thomas Schmitt (Jugendleiter DJK Schondra): "Weil der Gegner in der Aufbauphase ist und wir ersatzgeschwächt sind, glaube ich an ein leistungsgerechtes 1:1 - was auch im Sinne der JFG wäre.

Felix Henn und Lorenz Beck sind Schondras Spieler und tippen einen knappen Auswärtssieg für Schondra, weil sie trotz großer Personalnot für eine kleine Überraschung am Kreuzberg sorgen wollen.