Druckartikel: Vom Straßen-Schläger zum Karate-Meister

Vom Straßen-Schläger zum Karate-Meister


Autor: Benedikt Borst

Bad Kissingen, Donnerstag, 29. November 2012

Sensei Gustavo Gondra (8. Dan) aus Argentinien unterrichtet seit 33 Jahren Karate und war im Personenschutz tätig. Einmal im Jahr hält er einen Lehrgang in Bad Kissingen.
Abwehrhaltung: Gustavo Gondra schützt sich mit zwei Schlagstöcken (Tonfas) gegen etwaige Angriffe. Foto: Benedikt Borst


"Karate no smile", erklärt Gustavo Gondra mit todernster Mine, als er sich mit seinen Waffen in Pose stellt. Beim Karate werde nicht gelächelt. Mit unerschütterlicher Ruhe und schwer zu deutendem Blick schaut er in Richtung Kamera. Danach muss er doch grinsen, denn eigentlich ist der Argentinier ein geselliger Typ. Und der böse Blick ein bisschen Show. Der Argentinier reist gern und beruflich bedingt als Karatelehrer auch sehr viel. Dann zieht er es allerdings vor, privat bei seinen Schülern und nicht anonym im Hotel untergebracht zu werden. Andreas Haberzettl (6. Dan) leitet die Uechi-Ryu-Kenyukai Karate-Schule in Bad Kissingen und hat den Lehrmeister für einen einwöchigen Lehrgang an die Saale eingeladen. "Er ist sehr bescheiden und möchte einfach integriert sein", schätzt er die umgängliche Art des Südamerikaners.

Jedoch ist der 54-Jährige nicht nur ein angenehmer Gast, sondern vor allem ein erfahrener Kampfkünstler, der mit den Bad Kissinger Karatekas intensiv trainierte: Vom traditionellen, okinawanischen Waffenkampf (Kobudo) mit Sai-Gabeln und Schlagstöcken (Tonfas) über Selbstverteidigung bis zu Sparringtechniken.

Ein wahr gewordener Traum

Von Bad Kissingen reist Gondra weiter nach Erlangen, dann nach Russland und von dort über Spanien zurück nach Argentinien. Das lange Reisen empfinde er nicht als Belastung, im Gegenteil: "Als Karatelehrer mein Geld zu verdienen ist für mich ein Traum, der wahr geworden ist", antwortet er. Dafür sei er sehr dankbar, denn das Karate bedeute ihm alles. "Für mich ist es mein Leben, meine Leidenschaft, mein Beruf", zählt der achte Dan auf.
Davon war er in seiner Schulzeit allerdings noch weit entfernt. Als Teenager habe er andauernd wegen irgendwelcher Kleinigkeiten Streit provoziert und sich quasi täglich mit anderen Jugendlichen geschlagen. Er war damals noch nicht lange mit seiner Familie vom Landesinneren ins Städtische gezogen. Ob er damals ein schwieriges Umfeld hatte oder sich als Außenseiter fühlte? Gondra schüttelt den Kopf. "Ich war das Problem", sagt er. Mit 13 Jahren entdeckte er ein Kung-Fu-Lehrbuch, das er sich kurzerhand kaufte. Sofort schlug es ihn in seinen Bann. Anfangs im Geheimen - sein Vater wollte nicht, dass er eine Kampfsportart lernte - brachte er sich mit dem Buch Kung-Fu bei und trat bald darauf einer traditionellen Karateschule bei. "Ich denke, das war damals das Richtige für mich. Das Karatetraining hat etwas Bestimmtes in mir entwickelt", meint er rückblickend.

Sei wie ein Tsunami

Gekämpft hat er seitdem nur noch bei Turnieren und nicht mehr auf der Straße. Das Training hat ihm außerdem einiges über traditionelle Werte vermittelt: "Respekt ist wichtig. Es kann jemand ein erfolgreicher Turnier-Kämpfer sein. Wenn der aber dem Dojo gegenüber keinen Respekt zeigt, muss er gehen." 1979 wurde Gustavo Gondra zum ersten Mal zum Schwarzgurt getestet. Im selben Jahr übernahm er die Schule von seinem Lehrer Chozen Nakama und unterrichtet seitdem selbst. "Be like a tsunami", gibt er mit auf den Weg. Wenn man einem Gegner gegenüberstehe, müsse man vollkommen relaxt sein, um im richtigen Augenblick wie eine Welle über ihn hereinzubrechen. Ansatzlos schnellt er nach vorne und schlägt zu. Sei wie ein Tsunami.

Herkunft Gustavo Gondra wurde 1958 in Buenos Aires geboren und wuchs auf dem Land auf. Nach der Schule war er zunächst als Verkäufer für medizinische Produkte tätig. Seit 1979 leitet er sein eigenes Karate-Dojo in Argentinien. 1990 arbeitete er für kurze Zeit im Personenschutz als Bodyguard.

Karate Gustavo Gondra ist Träger des 8. Dan sowohl im Uechi-Ryu Karate und Kobudo. Damit ist er einer der höchsten Schwarzgurtträger außerhalb Okinawas. In den 80er Jahren nahm er an zahlreichen lateinamerikanischen und internationalen Turnieren teil. 1988 wurde er Dritter im Freikampf bei den All Okinawan Championships. Er gehört außerdem zu den international besten Schiedsrichtern für traditionelles Karate.